Kiel/Husum. Technologie wurde eigentlich zur Abwehr feindlicher Drohnen entwickelt. Vorreiter sind zwei Husumer Firmen. Was der Umweltminister sagt.
Als die Programmierer, Techniker und Waffenexperten von Rheinmetall ursprünglich mit ihrem Projekt loslegten, hatten sie anderes im Sinn als Seeadler oder Rotmilane. Ihnen ging es darum, mithilfe von Künstlicher Intelligenz, Kameraüberwachung und Triangulation eine Flugabwehr zu entwickeln, die feindliche Drohnen oder Raketen weit entfernt im Anflug erfasst, sie von Kamera zu Kamera „weiterreicht“, um die Flugbahn zu ermitteln, um sie im Zweifelsfall abzuschießen. Genau dieses System, das die Ukraine vor russischen Angriffen schützen soll, kommt jetzt auch auf Äckern bei Neumünster oder in Nordfriesland zum Einsatz – als Schutz von Greifvögeln vor Windrädern.
Künstliche Intelligenz: Ist ein Rotmilan auf Kurs, dreht der Rotor aus dem Wind
Das Antikollisionssystem (AKS) hat inzwischen Serienreife und funktioniert vereinfacht so: An den äußeren Windrädern eines Windparks werden Kameras mit Rundumblick angebracht, die über Pixelveränderungen am Horizont auf bis zu 1000 Meter Entfernung erkennen können, wenn sich ein Vogel nähert. Anhand von Größe, Silhouette, Farbe des Gefieders und der Frequenz des Flügelschlags erkennt das System, um welches Tier es sich handelt.
Genießt der Vogel keinen Gefährdungsstatus, passiert: nichts. Zum Beispiel dann, wenn sich Gänse nähern. Handelt es sich aber um schützenswerte Greifvögel wie den Rotmilan oder den Seeadler auf der Jagd nach Beute – dann haben sie keinen Blick für die Gefahr durch sich drehende Windradflügel – läuft die Maschinerie an: Das Tier wird von mehreren Kameras erfasst und bis 1000 Metern Höhe verfolgt. Dreht der Vogel ab und ändert die Flugbahn, schalten die Kameras in den normalen Überwachungsmodus zurück. Droht aber eine Kollision, dreht das System den Rotor aus dem Wind. Hochgefahren wird nach wenigen Minuten wieder automatisch.
KI-Experten, Militär-Fachleute und Biologen haben sich zusammengetan
Wie das Verfahren funktioniert, hat sich Schleswig-Holsteins Umweltminister Tobias Goldschmidt jetzt im Windpark Timmaspe zeigen lassen. Allein im nördlichsten Bundesland produzieren 3000 Windräder Strom. Zwei Prozent der Landesfläche sind für Windräder reserviert. Geht es nach der Politik, wird die Fläche auf drei Prozent ausgedehnt. Mit dem Ziel, mehr Ökostrom zu produzieren, hat der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck den Artenschutz (unter anderem für Greifvögel) zurückgefahren. Um den Konflikt zwischen Naturschützern und Windmüllern trotzdem zu begrenzen, entwickelte Schleswig-Holstein ein Prüf- und Zertifizierungsverfahren für einen Antikollisionsschutz. Tobias Goldschmidt – wie Habeck ein Grüner – spricht von einem „Windkraftfrieden“.
Zwei Husumer Firmen haben für das Verfahren ihr Know-how zusammengetan. „ProTecBird“, Ende 2021 gegründet, bringt KI- und Elektronikexperten, die von Rheinmetall kommen, in das vom Land geförderte Projekt ein. BioConsult steuert die Fachleute eines ökologischen Forschungsbüros bei, das seit 25 Jahren Gutachten für Windparks erstellt. Zusammen hat man ein Verfahren entwickelt, das über viele Jahre als unmöglich galt: Gezielt schützenswerte Vogelarten zu erkennen und innerhalb von Sekunden die Mühlen aus dem Wind zu drehen, sodass die Tiere nicht durch den Rotorschlag geschreddert werden. Dazu haben sie die Künstliche Intelligenz mit fast fünf Millionen Fotos schützenswerter Vögel gefüttert, haben die Parameter für Flügelschlag oder Gefieder eingegeben und die Maschine auf Vogelschutz trainiert. Thorsten Heinzen, Chef von ProTecBird, spricht von einem „vernetzten KI-basierten System, das die Effektivität und die Nachhaltigkeit der Windenergieerzeugung weiter verbessert“.
Billig ist die Technik nicht: Neuen Windparks bietet ProTecBird das System zum Kauf an, sodass die Kosten Teil der Finanzplanung sind. Nur bei älteren Parks ohne größeres Budget ergibt das keinen Sinn. Und so stattet ProTecBird bestehende Parks mit zehn Windrädern für 8000 Euro monatliche Leasinggebühr mit Antikollisionssystemen aus. Investoren wie die Windmüller aus Timmaspe hoffen auf sinkende Preise, nachdem die Serienproduktion starten kann.
Husumer Firma arbeitet auch im Hamburger Hafen
Auch bislang gilt: Ohne effektiven Vogelschutz kann kein Windpark genehmigt und betrieben werden, erinnerte Umweltminister Goldschmidt in Timmaspe. Bislang konnten die Windmüller dafür die Parks während der Vogelbrut oder beim Mähen gleich tageweise komplett abschalten oder sie konnten die Greifvögel ablenken, indem sie alle paar Tage neue Flächen in der Nähe mähten, um Mäuse als Futter für die Vögel aufzuscheuchen. Wirtschaftlich ist beides nicht. So kam es zuletzt in Timmaspe zu 25 Tagen ohne Verdienst, weil die Mühlen verortet stillstanden.
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ProTecBird scheint mit seinen aus der Militärtechnologie abgewandelten Ideen einen Markt gefunden zu haben. Das Start-up stattet einen Offshore-Windpark von Vattenfall in der Ostsee mit Überwachungstechnik aus, zwei neue Windparks in der Toskana, das Stadion von Bayern München und das Flugfeld von Airbus in Finkenwerder. Auch das jüngste Projekt ist im Hamburger Hafen. Hier sollen bestehende Windräder durch leistungsstärkere ersetzt werden („Repowering“). Um zu wissen, wo die Mühlen den Vogelzug im Frühjahr und im Herbst am wenigsten stören, überwacht ProTecBird von Ende August an und dann wieder ab März 2025 den Vogelflug über insgesamt acht Monate mit sieben Kamerasystemen.