Kiel. Was Umweltminister Tobias Goldschmidt über den Bau neuer Atomkraftwerke, einen Nationalpark Ostsee und den Klimawandel sagt.
Ein Revival der Atomkraft? Tobias Goldschmidt, grüner Umweltminister im Kabinett von Daniel Günther, erteilt entsprechenden Plänen der CDU eine unmissverständliche Absage. Er wirft der Partei seines Koalitionspartners im Hamburger Abendblatt „energiepolitische Konzeptlosigkeit“ vor. Im Entwurf ihres neuen Grundsatzprogramms fordert die Union eine Kehrtwende beim Atomausstieg. Goldschmidt nennt diesen Vorstoß einen „Schuss in den Ofen“.
Hamburger Abendblatt: Herr Goldschmidt, jetzt ist es zwar nicht Ihre Partei, aber Ihr Koalitionspartner in Schleswig-Holstein: Die Bundes-CDU fordert im Entwurf ihres neuen Grundsatzprogramms eine Renaissance der Atomkraftnutzung. Was sagt der grüne Minister dazu?
Tobias Goldschmidt: Das dürfte eine Forderung sein, die im Grundsatzprogramm versauern wird. Das ist eine Diskussion von vorgestern, die über die energiepolitische Konzeptlosigkeit im Adenauerhaus hinwegtäuschen soll.
Mit den Grünen als möglichem CDU-Koalitionspartner auf Bundesebene gibt es kein Revival der AKW?
Ein Wiedereinstieg in die Nutzung der Atomkraft wird in Deutschland nicht passieren. Und selbst bei einer CDU-Alleinregierung wäre das für Deutschland keine Option, davon bin ich fest überzeugt. Ich bin der für Atomkraft zuständige Minister in Schleswig-Holstein und weiß, wie langwierig Atomkraftwerke geplant werden müssen, wie extrem teuer sie sind, dass Spezialisten fehlen und es noch immer kein Endlager für hoch radioaktive Abfälle gibt. Und ich weiß, dass bereits die Deponierung völlig ungefährlicher Abfälle aus Atomkraftwerken auf geballten Widerstand von CDU-Kommunalpolitikern trifft.
Auch nicht die kleinen AKW nach französischem Vorbild?
Es war eine kluge und weitsichtige Entscheidung, aus der Nutzung der Atomkraft auszusteigen, die Angela Merkel und die CDU-FDP-Bundesregierung 2011 getroffen haben. Die Sachlage hat sich nicht verändert. Der Vorschlag ist ein Schuss in den Ofen.
Goldschmidt: „Ein Nationalpark wäre auch für die Ostsee die beste Lösung“
Apropos. Wird auch Ihre Planung eines Nationalparks Ostsee am Ende des Konsultationsverfahrens ein „Schuss in den Ofen“ gewesen sein?
Natürlich nicht. Wir haben ein Jahr über die Einrichtung eines Nationalparks diskutiert. Zigtausend Menschen haben sich mit der Idee und dem Zustand der Ostsee befasst. Alle haben verstanden, dass etwas passieren muss, allein deshalb ist die Diskussion über einen Nationalpark richtig gewesen. Ich bin ganz sicher, dass wir in der Koalition ein gutes Paket schnüren werden, das die Ostsee schützen wird.
Sie sind weiter für die Ausweisung eines Nationalparks?
Es gibt mehrere Tausend Nationalparks auf der ganzen Welt. Sie sind hochgradig beliebt und ziehen Tausende Touristen an. Ein Nationalpark wäre auch für die Ostsee die beste Lösung. Das ist mein Vorschlag. Ich habe aber auch vernommen, dass eine der koalitionstragenden Parteien einer anderen Auffassung ist. und bin mir sicher, dass wir da einen guten gemeinsamen Weg finden können.
Wie könnte denn dieser gute Kompromiss aussehen, wenn die CDU partout keinen Nationalpark will?
Mein Vorschlag ist ein Nationalpark, alles andere besprechen wir hinter verschlossenen Türen. Aus der Konsultation ergibt sich aber der Wunsch nach einem breiteren Ansatz für den Ostseeschutz. Immer wieder wurde zum Beispiel auf die Nährstoffe hingewiesen, die der Ostsee die Luft zum Atmen nehmen. Da müssen wir ran.
Das heißt, die Landwirtschaft muss ihn reduzieren.
Nährstoffe gelangen auf verschiedenen Wegen in die Ostsee. Die Landwirtschaft trägt den größten Teil dazu bei. Also muss sie auch den Eintrag reduzieren. Ostseeschutz bedeutet auch, die Weltkriegsmunition herauszuholen. Der Bund hat für die Bergung die ersten 100 Millionen Euro bewilligt, noch im ersten Quartal 2024 soll Munition aus der Ostsee geborgen und entsorgt werden. Und drittens braucht es geschützte Räume, in denen die Natur Vorrang hat. Die gibt es in der Ostsee noch nicht. Und für mich gehört zu einem Paket für besseren Ostseeschutz auch die Ausweisung von echten Meeresschutzgebieten.
Was wäre dort erlaubt, was verboten? Surfen? Angeln? Baden?
Das diskutieren wir in der Koalition. Klar ist, dass in Meeresschutzgebieten die Natur Vorrang hat. Das bedeutet aber nicht, dass der Mensch draußen bleiben muss. Wir haben mehr als 500 Schutzgebiete in Schleswig-Holstein, das sind tolle Naherholungsgebiete. Sie machen unser aller Leben besser und gesünder. Der Ministerpräsident und ich haben immer deutlich gesagt, dass Schleswig-Holstein Wassersportland bleiben wird und dass Segeln, Angeln und Baden selbstverständlich in der Ostsee erlaubt bleiben. Ist es wirklich eine Einschränkung, wenn Brutvögel vor Störungen geschützt werden und wenn Speedbootfahrer die Geschwindigkeit für den Erhalt des Schweinswals drosseln müssen?
Also wird es auf jeden Fall zu Nutzungseinschränkungen kommen, egal, was am Ende dieses Prozesses steht.
Der Ministerpräsident und ich haben uns vorgenommen, bis Mitte Februar ein gemeinsames Paket zu schnüren, hinter dem wir beide stehen können.
Goldschmidt: „Die Küstenlinie wird sich verändern“
Im Herbst hat eine sogenannte Jahrhundertflut an der Ostsee Schäden von mehr als 200 Millionen Euro angerichtet. Reichen die bewilligten Mittel für den Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur?
Wir haben sehr schnell die zerstörten oder beschädigten Regionaldeiche notgesichert, sodass sie die nächsten Sturmfluten wieder aushalten. Das war ein guter Anfang, mehr aber nicht. Diese Sturmflut hat gezeigt, dass der Klimawandel nicht nur ein Problem der Kiribatiinseln ist, auch Schleswig-Holstein ist davon direkt betroffen. Die Küstenlinie wird sich verändern. Wir müssen auch an der Ostsee die Deiche verstärken, um Menschen und hohe Sachwerte zu schützen. Und wenn wir die Ostseedeiche klimafit, also höher und breiter, machen wollen, brauchen wir erheblich mehr Geld. Wir gehen von fünf bis zehn Millionen Euro pro Kilometer Klimadeich aus. Klar ist auch: Die Natur braucht mehr Raum, wenn der Meeresspiegel steigt. Die Wellen müssen sich auslaufen können. Wir werden vor Ort auch darüber reden, wo es Sinn macht, Deiche aufzugeben und rückzuverlegen.
Bleiben wir beim Thema Geld und sprechen über den Landeshaushalt für das kommende Jahr. Ihr Umweltministerium muss 2,8 Millionen Euro einsparen gegenüber der ursprünglichen Planung. An welcher Stelle werden Sie das Geld streichen?
Wir werden im Bereich des Gewässerschutzes Einsparungen vornehmen. Aber auch im Naturschutz wird es Abstriche geben. So wird weniger Geld für den Naturschutz im Wald und die Entschädigung von Gänsefraß zur Verfügung stehen. Das sind schmerzhafte Einschnitte, in dieser Größenordnung aber zu rechtfertigen angesichts der dramatischen Haushaltslage.
Goldschmidt: „Es braucht hohe Investitionen in den Klimaschutz und die Energiewende“
Was heißt es konkret, beim Gewässerschutz zu sparen?
Durch die Kürzung können wir im nächsten Jahr zum einen weniger Untersuchungen zum Zustand der Gewässer beauftragen, zum anderen weniger Maßnahmen zur Gewässerentwicklung umsetzen, als wir uns im Rahmen unserer Biodiversitätsstrategie vorgenommen haben. Unsere Verpflichtungen, regelmäßig die Wasserqualität zu überprüfen und die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie zu erreichen, werden wir aber weiterhin einhalten.
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Ist die im Grundgesetz festgelegte Schuldenbremse noch zeitgemäß? Oder sollte sie reformiert werden?
Ich messe der Generationengerechtigkeit hohen Wert bei. Das bedeutet einerseits, auf die finanzielle Lage künftiger Generationen zu achten. Gleichzeitig müssen wir aber auch zukunftsfeste Infrastrukturen schaffen und sicherstellen. Das heißt, es braucht hohe Investitionen in den Klimaschutz und die Energiewende. Solche Investitionen dürfen nicht von einer zu hüftsteifen Schuldenbremse ausgebremst werden. Dann wird sie nämlich zur Zukunftsbremse. Deswegen bin ich auf jeden Fall für eine Reform der Schuldenbremse.