Kiel. Tobias Goldschmidt verantwortet Schleswig-Holsteins Umweltpolitik. Er wirbt für besseren Schutz der Meere. Die Anfeindungen sind groß.

Er ist für viele Schleswig-Holsteiner der Buhmann der Landesregierung. Gäbe es eine aktuelle Umfrage zur Beliebtheit von Daniel Günthers schwarz-grünem Kabinett, Tobias Goldschmidt landete ziemlich sicher auf einem Platz weit hinten. Was ihm die Menschen vor allem zwischen Flensburg und der Lübecker Bucht verübeln, ist sein engagierter Einsatz für einen Nationalpark Ostsee. Für den wirbt der grüne Politiker bei sogenannten Konsultationsprozessen entlang der Küste. Wenngleich Goldschmidt von einem „ergebnisoffenen Verfahren“ spricht, ist klar: Er hält einen großräumigen Nationalpark mit strengen Naturschutzregeln für das eindeutig beste Instrument, die Ostsee zu schützen – auch wenn er massiven Widerstand erlebt.

Was ihn antreibt: Deutschland habe viele Probleme der Ostsee mitverursacht und sollte vorangehen, diese auch zu lösen, fordert Goldschmidt. Er spricht von einem „geschundenen Meer“, weil Menschen Landflächen und Meer vollständig nutzten. Aus der Tatsache leitet er eine ethische Verpflichtung ab, zumindest kleine Teile der Meere wieder der Natur zu überlassen. Wie Deutschland von anderen Ländern Maßnahmen erwartete – beispielsweise bei der Rettung der Regenwälder –, sei es die Aufgabe von Schleswig-Holstein, die eigenen Territorien zu schützen.

Nationalpark Ostsee? Die Hintergründe

Worum es geht: Der Ostsee geht es schlecht. Auf dem Meeresboden verrotten allein vor der schleswig-holsteinischen Küste 100.000 Tonnen Munition aus dem Zweiten Weltkrieg. Aus den Granaten, Patronen, Minen, Torpedos und Sprengfallen treten Schwermetalle und zum Teil hochgiftiges TNT aus. Mit jedem Tag steigt die Gefahr. Experten unter anderem der Kieler Christian-Albrechts-Universität sprechen schon lange von einer „tickenden Zeitbombe“. Über das Problem der rostenden Munition hinaus – am Freitag informierte sich auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke vor Ort über die Gefahren – erwärmt sich die Ostsee in Rekordtempo, es gibt kaum Rückzugsräume für Tiere und Pflanzen, Nährstoffeintragungen führen zu Sauerstoffmangel und Eintrübungen des Wassers.

Vor diesem Hintergrund ist sich das Kieler Kabinett einig: Ein „Weiter so“ kann und wird es nicht geben. Die Munitionsbergung soll in Kürze endlich starten und der Naturschutz massiv ausgeweitet werden. Nur wie das passieren soll – das ist der große Streit. Variante 1 ist ein Nationalpark Ostsee, gegen den Fischer, Landwirte, Wassersportler, Touristiker und auch der CDU-Nachwuchs von der Jungen Union Sturm laufen. Zuletzt bei einer großen Protestfahrt in der Geltinger Bucht und zwei Tage zuvor bei einem Besuch Günthers auf Fehmarn, wo der Ministerpräsident ausgebuht und ausgepfiffen wurde – aber auch gebeten, seinen Umweltminister noch zu stoppen. Auch in Teilen der CDU – nicht aber im Kabinett – wird Goldschmidts Nationalpark-Plan ohne Rücksicht auf Koalitionsdisziplin offen abgelehnt. Jede Partei müsse ihre eigene Position finden, sagt der Grüne nur knapp über den Regierungspartner.

Warum Tobias Goldschmidt für die Idee wirbt

Goldschmidt ist „nach wie vor von der Nationalpark-Idee überzeugt. Das wäre ein gutes Instrument“, bekräftigte er im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt. Und trotzdem sei der laufende politische Prozess ergebnisoffen. „Wir sprechen mit den Menschen, sammeln die Argumente, die Bedenken, die Chancen. Am Ende der Beratungen lege ich der Koalition meinen Vorschlag vor.“

Umweltminister Tobias Goldschmidt von den Grünen wirbt für einen Nationalpark Ostsee.
Umweltminister Tobias Goldschmidt von den Grünen wirbt für einen Nationalpark Ostsee. © dpa | Frank Molter

Dieses Ende der Beratungen steht in wenigen Wochen an. Noch in diesem Jahr will Goldschmidt dem schwarz-grünen Kabinett sein Votum präsentieren. Er wirbt im Gespräch mit dieser Zeitung erneut für die Nationalpark-Idee. Sein Credo: Ein Nationalpark wäre so etwas wie ein ganz großes Naturschutzgebiet mit einheitlicher Verwaltung für Gebietsmanagement, wissenschaftliche Umweltbeobachtung, Umweltbildung und Naturerlebnis. In dem Gebiet könnten natürliche Prozesse wieder ungestört ablaufen, und die Ökologie hätte die Chance, sich regenerieren. „Darüber hinaus übt ein Nationalpark hohe touristische Faszination aus. Das zeigen jedenfalls die 16 bestehenden Nationalparks, alle sind Tourismusmagneten“, wirbt der grüne Politiker.

Was die Menschen an der Küste sorgt

Die Menschen an der Küste treiben, verkürzt gesagt, vor allem zwei Punkte um: Was passiert, wenn es erst einmal einen Nationalpark Ostsee gibt und dann die Regeln durch Land, Bund oder EU nochmals verschärft würden? Und sie sorgen sich um die Verbote, die schon jetzt in einem Nationalpark gelten würden.

Ein Nationalpark ist in Zonen eingeteilt. Die härtesten Regeln gelten in der sogenannten Kernzone. In der ist ein möglichst ungestörter Ablauf der Naturvorgänge vorgeschrieben. In der Kernzone eines Nationalparks Ostsee wären allen voran Fischer von Verboten betroffen. Für sie wären alte Fanggründe fortan tabu.

Was erlaubt wäre und was nicht

Für Tobias Goldschmidt sind diese Kernzonen wesentliche Elemente für einen konsequenten Schutz der Natur. Aber sie seien keine Null-Nutzungszonen, sondern Bereiche, in denen der Mensch Naturvorgänge nicht stören dürfe. So dürfe zum Beispiel dem Meer nichts entnommen oder eingefügt werden. „Aber natürlich darf man mit dem Boot durch diese Zone fahren, Wassersport betreiben, tauchen oder schwimmen – sofern diese Aktivitäten dem Schutzziel nicht entgegenstehen – also zum Beispiel im Winter Meeresenten in ihren Rastgebieten stören.“

Goldschmidt versteht, dass Begriffe wie „Null-Nutzungszone“ die Menschen sorgten. Er verspricht: „Wir schließen generelle Segelverbote aus. Es wird auch keine Schließung von Badestränden geben. Es wird keine großräumigen Wassersportverbote geben und keine Einschränkungen für Campingplätze. Das haben wir alles schon vom Tisch genommen, weil es nicht erforderlich ist und weil wir es auch nicht vorhaben“, verspricht der grüne Minister.

Was die Alternative wäre

Alternativ zu einem Nationalpark könnte sich die Landesregierung am Ende des Konsultationsverfahren auch auf eine kleinere, weniger umstrittene Variante einigen und die bisherigen Flora- und Fauna-Habitat-Gebiete und die bestehenden Vogelschutzgebiete zu großen zusammenhängenden Naturschutzgebieten erklären – samt Nutzungseinschränkungen für die Menschen an der Küste. Zusätzlich könnte das Kabinett Maßnahmen beschließen, um die Nährstoffeinträge an Land zu verringern. Das würde bedeuten, die Landwirtschaft einzuschränken.

Nur: Über diese Alternativen zu einem Nationalpark spricht Goldschmidt nicht gern. Man könne „die Elemente eines Nationalparks auch außerhalb eines Nationalparks machen“, sagt er. Aber: „Mein Vorschlag ist ein Nationalpark. Das ist die beste der Alternativen. Am Ende der Konsultation werden wir entscheiden.“

Wie es jetzt weitergeht

Trotz aller zum Teil massiver Kritik und öffentlicher Anfeindungen kann Goldschmidt dem laufenden Verfahren einiges Positives abgewinnen. Er nehme in den Konsultationsrunden, auch von den Kritikern, eine breite Unterstützung für einen besseren Schutz der Ostsee wahr. Das Gute am Verfahren sei, dass der miserable Zustand des Meeres in den Mittelpunkt des Interesses gerückt sei. „Wir werden von den Kritikern der Nationalparkidee regelrecht aufgefordert, die Ostsee besser zu schützen.“

Ein Teil der Kritik hat Goldschmidt ordentlich zugesetzt. Er spricht von Schauergeschichten und Fake News, die erzählt würden. Wie der von der Stellenausschreibung für die Verwaltung eines Nationalparks Ostsee. „Wir haben für den Zeitraum dieser Konsultation eine Stelle für eine studentische Hilfskraft ausgeschrieben. Die Stelle ist befristet, endet mit dem Konsultationsverfahren“, sagte er. Dieser Mitarbeiter soll helfen, die Menschen mit ihrem großem Informationsbedarf über einen Nationalpark mit Antworten zu versorgen. „Was daraus gemacht wird, ist ein Beispiel, wie Fakten verdreht werden“, ärgert sich Goldschmidt.

„Klima- und Umweltpolitik ist kein Ponyhof“

Persönliche Kritik lasse ihn „natürlich“ nicht kalt. Aber er sei nicht Politiker geworden, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. „Gerade Klima- und Umweltpolitik ist kein Ponyhof. Egal ob es um neue Windmühlen, Küstenschutzmaßnahmen oder Naturschutzgebiete geht: Gegenwind gehört dazu“, sagt der Umweltpolitiker. Ihm sei wichtig, die Meere nachfolgenden Generationen in besserem Zustand zu hinterlassen. „Das bedeutet Veränderungen. Und Veränderungen führen in der heutigen Zeit häufig zu Widerständen, zu intensiven Auseinandersetzungen“, sagt der Grüne. Aber für ihn gehört es zur Aufgabe eines glaubwürdigen Politikers, für Überzeugungen einzustehen.

„Wenn wir Umweltpolitik so betreiben, dass wir immer auf andere warten, dann ist der Planet verloren“, sagt Tobias Goldschmidt.