Kiel. Opposition hält Etat für verfassungswidrig und spricht von Trickserei. Schwarz-Grün sieht Normenkontrollverfahren „gelassen entgegen“.

SPD und FDP machen gemeinsame Sache – und verklagen die schleswig-holsteinische Landesregierung um Daniel Günther. Genau genommen klagen sie vor dem Landesverfassungsgericht gegen den von Schwarz-Grün beschlossenen Haushalt für das laufende Jahr. Sie halten den Etat für verfassungswidrig. Die Klageschrift soll Ende August fertig sein und im Spätsommer eingereicht werden. Das Urteil, das vermutlich Monate auf sich warten lässt, dürfte keine unmittelbaren Auswirkungen auf das laufende Haushaltsjahr haben. Aber SPD und FDP, die sonst so unterschiedliche Vorstellungen in der Finanzpolitik haben, wollen so Günthers Kabinett zwingen, die Bedingungen der Schuldenbremse künftig wieder einzuhalten. Bekämen sie recht, dürfte das vermutlich weitreichende Auswirkungen für die kommenden Haushaltsjahre haben. 

In Schleswig-Holstein, das schon heute mit mehr als 32 Milliarden Euro Schulden bettelarm genannt werden darf, reichen die Steuereinnahmen in diesem Jahr bei Weitem nicht aus, die Ausgaben zu decken. Zwar spart Schwarz-Grün 100 Millionen Euro ein, muss aber trotzdem angesichts der dramatischen Entwicklungen 1,65 Milliarden Euro neue Schulden machen. Der Etat für 2024 sieht Ausgaben von fast 18 Milliarden Euro bei Einnahmen von nur gut 16 Milliarden vor. Um die Lücke zu schließen, verschuldet sich Schwarz-Grün nicht nur neu, sondern bedient sich für die laufenden Ausgaben auch noch an Rücklagen. Schwarz-Grün hält das für rechtskonform, nachdem der Landtag auch für 2024 eine „Notlage“ erklärt hatte, die aus laufenden Mitteln nicht finanziert werden könne.

Politik Schleswig-Holstein: Warum SPD und FDP gegen den Haushalt klagen

Während der Landesrechnungshof Zweifel an der Rechtmäßigkeit hat und „dringend Einsparungen“ einfordert, sind sich SPD und FDP sicher: Regierung und Parlamentsmehrheit haben „getrickst“ und gegen geltendes Recht verstoßen. Die beiden Oppositionsparteien hatten den Bielefelder Rechtswissenschaftler Simon Kempny mit einem Rechtsgutachten beauftragt. Jetzt soll er die Klageschrift ausarbeiten, um nach deren Prüfung eine Normenkontrollklage vor dem Verfassungsgericht des Landes einzureichen.

„Schwarz-Grün hat sich mit dem Haushalt 2024 in eine Sackgasse begeben. Auch jedes noch so gemeinnützige politische Ziel rechtfertigt unter keinen Umständen den Bruch geltenden Rechts“, sagte SPD-Fraktions- und Parteichefin Serpil Midyatli. Die SPD sei nicht grundsätzlich dagegen, neue Notkredite abzuschließen. Aber beim aktuellen Haushalt habe Schwarz-Grün „schwere handwerkliche Fehler gemacht“. So fehlten substanzielle Begründungen („Darlegungspflichten“), mit denen die über Notkredite finanzierten Ausgaben begründet würden.

Vogt: „Schweineställe und Radwege“ aus Notkrediten finanziert

FDP-Fraktionschef Christopher Vogt sprach von „Schweineställen und Fahrradwegen“, die beispielsweise aus dem Corona-Notkredit bezahlt wurden. Vogts Kritik: Das Land finanziere originäre Daueraufgaben über Notkredite. Die FDP war von der ersten Etatberatung an die schärfste Kritikerin der schwarz-grünen Finanzpolitik mit gleich drei Notkrediten, begründet jeweils mit den Folgen von Corona, des Kriegs in der Ukraine und der Ostseesturmflut im vergangenen Herbst. Von Beginn hatte die FDP keinen Zweifel daran gelassen, die Rechtmäßigkeit vom Verfassungsgericht überprüfen zu lassen – nur fehlten ihr dafür genügend eigene Stimmen, um das in Gang zu setzen. Die hat die SPD jetzt geliefert – „trotz sehr unterschiedlichen Vorstellungen von einer Finanzpolitik“, so Vogt.

SPD-Chefin Midyatli erklärte die Klage-Allianz mit dem „verfassungsgemäßen Kontrollauftrag“ einer Opposition.  „Ein offener und bewusster Verfassungsbruch von Regierung und Regierungsfraktionen, der darauf spekuliert, dass die Opposition nicht klagt, ist mit uns nicht machbar.“ Jetzt entscheide das Landesverfassungsgericht, ob die Koalition die Verfassung gebrochen habe. Auch FDP-Fraktionschef Vogt betonte die Kontrollfunktion als Opposition.

CDU-Fraktionschef spricht von Doppelmoral

Für Lasse Petersdotter, den Fraktionschef der Grünen im Kieler Landtag, kommt die Klage „wenig überraschend. Die SPD lässt sich von der FDP in einen finanzpolitischen Irrweg führen. Dieser Irrweg passt absolut nicht zum bisherigen finanzpolitischen Kurs der Sozialdemokraten.“ Er blicke gelassen auf das Gerichtsverfahren, sagt der Finanzexperte.

CDU-Faktionschef Tobias Koch wirft den Klägern Doppelmoral vor. Da die Klage erst im späten Sommer und dann auch nicht als Eilantrag bei Gericht eingereicht werde, sei mit einem Urteil nicht vor 2025 zu rechnen. So wolle die Opposition erreichen, dass die von allen Fraktionen in der Pandemie gemeinsam beschlossenen Notkredite doch noch ausgegeben werden, um anschließend diese Zahlungen als verfassungswidrig anzugreifen. Es gehe SPD und FDP also überhaupt nicht darum, den laufenden Haushalt im laufenden Jahr noch zu stoppen.

Auch in Gewerkschaftskreisen, die massiv Investitionen in die marode öffentliche Infrastruktur fordern, ist man, um es nett auszudrücken, erstaunt, dass die SPD gemeinsam mit der FDP vor dem Schleswiger Verfassungsgericht klagt.

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Die grundsätzliche Auffassung, wie die Finanzpolitik angesichts der großen aktuellen Herausforderungen ausgerichtet werden sollte, könnte kaum unterschiedlicher sein als zwischen SPD und FDP. Wie keine zweite Partei kämpft die FDP für die Schuldenbremse in Reinform und wehrt sich gegen höhere Steuern oder die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Für diese Reichenabgabe macht sich hingegen SPD-Chefin Midyatli genauso stark wie für die Möglichkeit, rechtssicher neue Schulden aufnehmen zu können. Sie hatte die FDP vor einigen Tagen erst öffentlich aufgefordert, sich einer Reform der Schuldenbremse nicht zu verschließen. Deutschland müsse dem Investitionsbedarf sowie der Vorbeugung und Bewältigung von Krisen gerecht werden.