Kiel. Im Haushalt des Bundeslandes fehlen mehrere Hundert Millionen Euro. Behördenchefin kritisiert Landesregierung im Abendblatt-Gespräch.

Nach Wochen parlamentarischer Ruhe und Entspannung in den großen Ferien kehrt wieder Leben in den Kieler Politikbetrieb ein. Ein konfliktbeladenes Thema wird die Arbeit der schwarz-grünen Landesregierung von jetzt bis in den Winter maßgeblich bestimmen: wie man es schafft, die Deckungslücke von rund einer halben Milliarde Euro im nächsten Haushalt zu schließen. Der soll im Spätherbst aufgestellt werden. Die Einnahmen bleiben hinter den Erwartungen zurück, die Ausgaben steigen, und somit wird es „in der Koalition mehr Verteilungskämpfe um das Geld geben“. So hat es der grüne Fraktionschef Lasse Petersdotter formuliert. Deutliche Kritik an der schwarz-grünen Haushaltspolitik übt Landesrechnungshofpräsidentin Gaby Schäfer im Gespräch mit dem Abendblatt.

Die erfahrene Juristin befürchtet, dass sich das zuletzt erwartete jährliche Defizit von 500 Millionen Euro in den nächsten Jahren noch verstärken wird. „Die Wirtschaft stagniert, und die demografische Entwicklung ist, wie sie ist. Das führt zu geringeren Steuereinnahmen“, sagt Schäfer. Sie fordert von der Landesregierung „eine systematische Überprüfung des Landeshaushalts“ ein.

Was Schäfer meint: Welche Ausgaben kann die Landesregierung senken, die sie zuletzt selbst hochgefahren hat, auch durch überdimensionierte Kreditermächtigungen in Folge der Corona-Krise und des Kriegs in der Ukraine? „Diese Kredite auf Vorrat werden auch für Dinge ausgegeben, die sonst möglicherweise nicht finanziert worden wären. Das ist zum Beispiel im Umweltbereich der Fall, aber auch beim Stellenaufbau. Es sind allein in diesem Jahr rund 1600 neue Stellen geplant, das entspricht Kosten von 112 Millionen Euro jedes Jahr.“ Ausgaben, die sich das Land nicht leisten könne.

Schleswig-Holstein: Rechnungshofchefin wünscht sich Klasse statt Masse

Schäfer fordert Schwarz-Grün auf, die zusätzlichen Stellen zunächst zu blocken und einer Bedarfsanalyse zu unterziehen, also kritisch zu hinterfragen, welche Stelle tatsächlich besetzt werden müsse. „Wir sollten nicht Masse einstellen, sondern Klasse, also flinke und kluge Leute. Schulische Bildung – als Beispiel – wird nicht automatisch besser durch zusätzliche Lehrer. Das haben viele Studien gezeigt.“

Statt hier und da zu sparen müsse die Koalition alle Aufgaben auf ihre Notwendigkeit überprüfen und sich dabei immer fragen: „Was bewirkt jeder ausgegebene Euro konkret? Und bei einem unklaren oder schlechten Kosten-Nutzen-Verhältnis muss im Zweifelsfall gestrichen werden. Das wäre eine systematische Herangehensweise“, fordert die Rechnungshofchefin. Darüber hinaus verlangt CDU-Mitglied Schäfer von der Landesregierung eine dezidierte Aufgabenkritik. In den nächsten Jahren gehe bundesweit jeder vierte öffentlich Beschäftigte in den Ruhestand. Da müsse man beantworten, welche Leistungen der Staat vielleicht nicht mehr erbringen kann oder muss. „Wir sind blockiert durch unsere überbordende Bürokratie.“ Das müsse sich ändern.

Schleswig-Holstein: Zuwendungen gehören auf den Prüfstand!

Schäfer fordert von Daniel Günthers Kabinett, die Zuwendungen an Bürger, Vereine und Kommunen zu überprüfen. Hier zahle das Land rund eine Milliarde Euro pro Jahr, ohne das klar sei, was genau mit dem Geld passiere. „Wenn ich eine Milliarde Euro ausgebe, muss ich genauer hinsehen“, sagt die Juristin. Das gelte auch bei den zahlreichen Klimaschutzprogrammen, die das Land finanziere.

Ob die Haushaltssperre im späten Frühjahr unnötiger Aktionismus war oder ein Zeichen fehlenden Vertrauens in die Ausgabendisziplin der eigenen Minister, wisse sie nicht, sagt Schäfer. „Aber sie war auf gar keinen Fall notwendig. Sie war überflüssig.“ Man hätte im Kabinett beraten können, welches Ministerium welchen Sparbeitrag leistet. „Tatsächlich hat man mit dieser Aktion die Menschen im Land zusätzlich in Unruhe versetzt. Das halte ich für völlig falsch.“

Schleswig-Holstein: Die Folgen der Nullzinspolitik der EZB

Wäre Schleswig-Holstein ein Unternehmen – es wäre vermutlich längst in der Insolvenz und stünde unter Zwangsverwaltung. Auf rund 32 Milliarden Euro haben sich die Schulden des Landes aufgetürmt. Schleswig-Holstein hat unter den westlichen Flächenländern das geringste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und die zweithöchste pro Kopf-Verschuldung. Und jetzt sinken auch noch die Steuereinnahmen, und es steigen nach Jahren einer Nullzinspolitik die Zinsen. Das stellt das Land laut der Chefin des Rechnungshofs vor „große Herausforderungen“.

Aus Schäfers Sicht hat die Nullzinspolitik der EZB der vergangenen Jahre Regierungen verleitet, mehr Kredite aufzunehmen und Geld auszugeben. Dadurch sei die Verschuldung trotz hoher Steuereinnahmen weiter gestiegen. „Solange die Zinsen niedrig sind, ist das kein Problem, da der Staat sowieso nicht dazu neigt, seine Schulden zurückzuzahlen. Aber wenn die Zinsen steigen, wird es schwierig. Das sehen wir jetzt.“ Schäfer rechnet vor: Neue Schulden würden aktuell mit rund drei Prozent verzinst. Das wären bei einer Milliarde Euro 30 Millionen Zinsen zusätzlich – jedes Jahr.

Gaby Schäfer – ihre Amtszeit läuft noch gut zwei Jahre – lobt die Küstenkoalition aus SPD, Grünen und SSW und die Anfangszeit von Daniel Günthers erstem Kabinett: Zwischen 2012 und 2018 hätten die Landesregierungen Kredite aktiv zurückgeführt. „Ansonsten hat das Land seit 1970 immer mehr Geld ausgegeben, als es eingenommen hat. Das führte zu diesen hohen Schuldenständen.“ Einschränkend verweist Schäfer auf die Kosten der Abwicklung der HSH Nordbank 2018. Die Geschäftspolitik der Landesbank von Hamburg und Schleswig-Holstein war gründlich schiefgegangen, ohne dass die Politik rechtzeitig eingegriffen hätte. Die Bank wurde schließlich für eine Milliarde Euro – Schäfer nennt das einen eher symbolischen Preis – verkauft. „Aber vorher hatten Hamburg und Schleswig-Holstein zehn Milliarden Euro durch ihre Ländergarantie verloren.“