Sylt. Zwei Wahlinsulaner eröffneten 2016 das E-Bike-Geschäft “Sturmflotte“ auf Sylt – und starteten durch. Über das Geschäftsmodell.
Eigentlich sollte in die Räume an der Stephanstraße in unmittelbarer Nachbarschaft zum Rathaus von Westerland ein Nachtclub einziehen. Denn es kam alles ganz anders. Dort, wo leicht bekleidete Damen an der Stange tanzen sollten und sich später mit Kunden diskret zurückgezogen hätten, dreht sich heute alles um E-Bikes. „Die hatten schon begonnen umzubauen. Deshalb haben wir hier auch noch eine Glitzerdecke, eine kleine Bühne und Separees. Die nutzen wir jetzt als Lagerfläche“, sagt Susanne Steinert beim Ortstermin mit dem Abendblatt.
Vielleicht war solch ein Etablissement doch zu verrucht für die Insel. Susanne Steinert und ihr Mann Uli Leber haben hier vor sieben Jahren ihr Geschäft eröffnet. Das hat den originellen Namen Sturmflotte und ist in den vergangenen Jahren von 60 auf 300 Quadratmeter angewachsen. 50 E-Bikes einer hochwertigen Marke aus den USA stehen zum Ausleihen zur Verfügung, und natürlich werden auch Fahrräder verkauft und repariert.
Sylt: "Wir haben uns sofort verliebt"
Aber der Reihe nach: 2015 kamen die beiden zum ersten Mal mit Freunden auf die Insel. „Wir haben hier Urlaub gemacht und uns sofort in Sylt verliebt“, erzählt Steinert. Damals lebte die heute 50-Jährige noch in Wiesloch bei Heidelberg und arbeitete seit 15 Jahren im medizinischen Bereich. Uli Leber war selbstständig im Bereich technischer Einkauf. Er lebte in der Nähe von Mannheim. „Wir hatten schon länger darüber nachgedacht, uns zusammen was Eigenes aufzubauen. Auf der Rückfahrt von Sylt war uns klar, dass diese Insel der richtige Ort dafür ist.“
Und eine Geschäftsidee hatten die beiden auch parat. „Wir hatten damals unsere eigenen auffälligen E-Bikes dabei, und auf die wurden wir häufiger angesprochen. Da war uns klar: Wir machen was mit Fahrrädern“, sagt Steinert. Gesagt, getan. Im September 2015 war die Besichtigung der Fläche an der Stephanstraße.
„Es ging alles Schlag auf Schlag"
Der Mietvertrag wurde unterschrieben, eine Wohnung in Keitum gefunden. Im März 2016 eröffnete der Sturmflotte-Shop. „Es ging alles Schlag auf Schlag. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt“, sagt Steinert, die zunächst noch ein halbes Jahr zwischen ihrer Arbeitsstelle in Wiesloch und Sylt pendelte. „Wir mussten ja erst mal schauen, ob das alles klappt.“ Es funktionierte. „Wir sind einfach ein eingespieltes Team und machen den Laden nur zu zweit. Deshalb werden wir unsere Flotte auch nicht noch weiter ausbauen.“
Der Unternehmerin ist wichtig: „Wir sind Dienstleister aus Leidenschaft, und deshalb wollen wir uns auch weiterhin für jeden Kunden Zeit nehmen und keinen abfertigen.“ Dazu gehört auch, dass „jeder bei der Ausleihe eine Einweisung für das E-Bike bekommt. Wir erklären zum Beispiel, wie man akkusparend fährt“, sagt Steinert. Denn je nach Stufe der „Unterstützung“ bei den Rädern ist dann auch die Reichweite. „Einen Akku kann man nach 40 Kilometern leer machen, aber der kann auch 120 Kilometer halten.“
Tagesmiete kostet 43 Euro
Warum nur Elektrofahrräder? „Das liegt natürlich in erster Linie an dem starken Wind. Die E-Bikes tragen dazu bei, dass die Kunden längere Strecken ohne große Kraftanstrengung zurücklegen könnten. Das wäre mit einem herkömmlichen Fahrrad nur schwer möglich.“ Zwischen 30 und 70 Kilometer radeln die Sturmflotte-Kunden am Tag. Das Ausleihverhalten ist völlig unterschiedlich. „Von einem Tag bis vier Wochen“ reicht es, weiß die Sturmflotte-Chefin zu berichten. Eine Tagesmiete kostet übrigens 43 Euro, ab dem zweiten Tag sind 37 Euro fällig und am dritten sind es 33 Euro. „Bei einer längeren Dauer reduziert sich dann der Preis entsprechend. Wir sind sicherlich nicht günstig, aber dafür bieten wir eine hohe Qualität.“
Ein Alleinstellungsmerkmal sei wohl auch, „dass wir geführte Touren anbieten“. Dazu gehört zum Beispiel Bike & Wine, Bike & Bogen oder Bike & TOFREE. Die Saison 2022, die nun langsam ausläuft, sei sehr gut gelaufen, resümiert Steinert. Aber Zeit zum Durchatmen bleibt trotzdem nicht. „Die Leihfahrräder werden danach gewartet und gehen in den Verkauf. Die Liste der Bestellungen ist lang.“ Das heißt: Manch ein Kunde kauft ein E-Bike, das er im Sommer ausgeliehen hatte.
Sylt: Showroom wird im Winter zur Eventlocation
Vor allem auch im Herbst/Winter wird der Showroom – der mit der Glitzerdecke – zur Eventlocation. „Wir haben hier Platz für bis zu 90 Personen. Wir hatten schon Geburtstagsfeiern, Hochzeiten, Lesungen und Konzerte.“ Auch die Kulinarik-Spaziergänger vom Veranstaltungsformat „Genusspfad Sylt“ kehren hier ein. „Wir werden in den nächsten Monaten wieder einige Veranstaltungen haben“, aktuell sind Lesungen und Konzerte geplant, kündigt Steinert an.
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Den Umzug nach Sylt haben die beiden nie bereut. „Wir mögen das Klima, und dazu gehören die raue See und ab und an auch mal Nieselregen.“ Das Ehepaar lebt heute mit ihrer französischen Bulldogge, Kollege Oswald, in Tinnum. „Wir haben hier einen tollen Freundeskreis, und uns verbindet inzwischen sehr viel mit der Insel.“ Übrigens hat Uli Leber seiner Zukünftigen im Sommer 2015 den Hochzeitsantrag in der Sturmhaube in Kampen gemacht, und bald darauf haben die beiden dort geheiratet. Bleibt die Frage, wie es mit Urlaub aussieht. Im Februar ist es so weit. Dann gehen die beiden wieder mit ihrem Camper auf Tour. Das Ziel ist noch unbekannt. Fest steht: Natürlich sind auch zwei E-Bikes mit an Bord.