Wenn sich eine Urlaubsregion an der Küste Mecklenburg-Vorpommerns bereits einen unverrückbaren Platz im Herzen der deutschen Urlauber erobert hat, dann ist es Rügen.
Das mag zunächst einmal an der Vielseitigkeit von Deutschlands größter Insel liegen. Rügen ist elegant, abwechslungsreich, quirlig, verträumt. Es ist ein Paradies für Naturliebhaber mit seinen dichten Wäldern, Binnenseen und vielen naturschutzpflichtigen Flächen, genauso wie für Strand- und Erholungswillige mit breiten, feinsandigen Stränden und Seebäderflair, für Familien genauso wie für Alleinreisende mit seinem umfangreichen Freizeitangebot und für Kulturinteressierte mit seinen zahlreichen Museen und geschichtsträchtigen Bauwerken.
Ein Badeort vom fürstlichen Reißbrett
Doch direkt auf Romantiker-Spuren zu wandeln, ist heutzutage ein rätselhaftes Unterfangen. Ob Caspar David Friedrich in seinen Kreide-Kunstwerken nun doch den Blick auf die Wissower Klinken festgehalten hat (2005 ist leider ein großes Stück der beiden Kreidezinken abgebrochen und 50.000 Kubikmeter ins Meer gestürzt, sodass wir uns den dezimierten Anblick lieber ersparen) oder nun doch vom Königsstuhl ist in der Forschung noch immer umstritten. Ganz in romantischer Tradition, verlegen wir uns aufs Träumen und siedeln Caspar David Friedrichs Staffelei am Königstuhl an. Der Blick von diesem kostet heutzutage 6 Euro pro Person. Das beinhaltet den Besuch des Museums und den weiten Blick von der Plattform hoch oben auf dem Kreidefelsen( www.koenigsstuhl.com ). Wenn man auch ohne Frack und im weißen Kleid, gen Horizont aufs weite blaue Meer hinausschaut sehnsüchtig versteht sich - dann kommt man Caspar David Friedrichs Gemälde schon sehr nahe. Eiligere Zeitgenossen können anstelle dessen den kostengünstigeren Victoriastieg wählen, der rechts am zentralen Kreidefelsen vorbeiführt und bei dem man von einer hölzernen Aussichtsplattform einen wundervollen gratis - Blick auf die weiße, felsige Steilwand hat. Überhaupt ist der Eindruck erst komplett, wenn man die bequemen Holzstiegen (bergauf natürlich weniger) nach unten gestiefelt ist und man am Fuße des Kreidefelsens am steinigen Strand steht.
Die meisten glücklichen Kreidefels-Romantiker sinken ehrfürchtig (und ermattet) auf einen der großen am Strand liegenden Steine und legen den Kopf in Nacken. Von hier aus wirkt die weiße Felswand, die sich über einem steil in den Himmel erhebt, besonders beeindruckend. Ein Tipp aus eigener leidvoller Erfahrung, der das Wandeln auf Friedrichs Spuren ungemein versüßt, gutes Schuhwerk - und im Sommer effizienter Mückenschutz.
Am Kap des guten Wetters
Wenn man den nördlichsten Punkt der Insel mit dem klingenden Namen Kap Arkona erreichen will, muss man ebenfalls einigen Körpereinsatz an den Tag legen. Es beginnt beim Parkplatz in Putgarten, entweder man geht das letzte Stück an die Küste zu Fuß, wo sich am Horizont bereits die drei charakteristischen Kap-Leuchttürme, darunter der berühmte Schinkelsche, abzeichnen. Anstelle dessen kann man auch die umweltfreundliche Elektrobahn mit etwas sichtgetrübten Scheiben für 2,50 Euro nehmen, zumindest für eine Strecke eine praktische Alternative. Die drei Leuchttürme sind zu besteigen und ihre Geschichte zu erfahren. Es gibt ein sehr informatives Museum. Davor ist eine alte Leuchtbarke zu bestaunen mit dem Resultat, wie Metall aussieht, wenn es 25 Jahre am Meeresgrund vor sich hingammelt. Sehr schön ist von dort aus der Abstieg zum Strand (allerdings einigermaßen konditionsfördernd). Entweder man erholt sich nun erst einmal am schönen Strand oder schaut sich gleich das kleine Fischerdorf Vitt an, was sehenswert ist, allerdings hat die Authentizität durch stetigen Besuchersegen etwas eingebüßt.
Wer einen kurzen Weg zurück zur Inselmitte nehmen will, kann man dies in Form der Wittower Fähre tun. Im Sommer ist die Fähre sehr voll, obwohl sie alle naslang über den kleinen Fluss hinübersetzt, dabei mutig begleitet von einem Schwanenpärchen und anderen gefiederten Zeitgenossen. Man hat dadurch einen tüchtigen Umweg gespart und bekommt ein wenig Gewässergefühl.
Ein Badeort vom fürstlichen Reißbrett
Auch hochherrschaftliche Ecken hat Rügen zu bieten. Fürst Malte der I. wollte 1816 einen mondänen Badeort nach Vorbild Heiligendamms auf der Insel errichteten und ließ sich nicht lumpen. Mediterraner Baustil, englische Landschaftsgestaltung und die Annehmlichkeiten eines Seebads wünschte sich der weit gereiste Herr in Putbus. Zentrum war der kreisrunde Platz der Circus, in dessen Mitte ein schlanker Obelisk an die Stadtgründung erinnerte.
Ausgehend vom Circus erstreckt sich ein von weißen klassizistischen Bauten gesprenkelte herrlich grüne Wald- und Wiesenlandschaft. Maltes Schloss lag unweit davon in einem schönen Park eingebettet. Von dem Prunkgebäude sind indes nur zwei Teile der Flügeltreppe übrig, die etwas hilflos in der Landschaft herumstehen. Da eine DDR-Denkmal-Expertenkommission zu dem Schluss kam, dass das im Krieg stark beschädigte Schloss kunstgeschichtlich nicht wertvoll genug sei und die Renovierungskosten zu hoch wurde die Zerstörung beantragt. Es bedurfte mehrerer Sprengungen, bis der Prachtbau dem Erdboden gleichgemacht worden war. Maltes Schloss gab es nicht mehr, Maltes Putbus-Seebad-Vision aber schon viel länger nicht mehr. Der Ort war für ein prosperierendes Strandbad schlecht gewählt, das Meer einfach zu weit entfernt.
Binz: Umtriebiger Mittelpunkt des Insellebens
Doch Heißblüter Malte (blaublütig von Geburt war er nicht, da er erst in den Fürstenstand erhoben worden war) gab nicht auf und erfüllte sich 1870 nun endlich seinen Seebad-Traum: In Binz, einem Ort, der sich weit zum Meer öffnet. Das Fischernest erlebte einen ungeahnten Senkrechtstart und ist heute eleganter und quirliger Mittelpunkt des Insellebens. Einem Schloss gleich thront das Kurhaus an der Promenade, gleich daneben erstreckt sich die 370 Meter lange Seebrücke, auf der flaniert wird, was das Zeug hält. An der schönen Strandpromenade gilt ebenfalls Sehen und Gesehen werden. Viele schöne Restaurants und Cafes laden zum Verweilen ein. Fürst Malte hätte seine helle Freude daran gehabt.
Tourismus-Wahnsinn: Das längste Gebäude Europas
Eine viel irrwitzigere Idee zur Errichtung eines Strandbads bzw. einer staatlich gelenkten Erholungsstätte hatten die Nationalsozialisten. In Prora, zwischen Binz und Saßnitz, sollte eine gigantische "Kraft durch Freude"-Ferienanlage entstehen für 20.000 Erholungssuchende. Das Projekt geriet durch den Krieg zum Erliegen, doch noch heute erinnert eine 4,5 kilometerlange graue Häuserzeile im gnadenlosen Einheitslook an den Größenwahnsinn der Nazis. Jahrzehntelang wurde sich der Kopf darüber zerbrochen, was man mit dem Ungetüm an dieser landschaftlich so traumhaften Stelle anfangen sollte. Skurril mutet es an, dass in der Nachbarschaft neben den fast tausenden leer stehenden Räumen neue kleine Wohnbungalows entstanden sind. Einige der Gebäude werden mittlerweile sehr gekonnt genutzt und beinhalten Kunstausstellungen und vier sehr interessante Museen, darunter das Technikmuseum, wo nicht nur das Wunderwerk Trabi zu bestaunen ist. Am westlichen Ende hat man begonnen, hochwertige Ferienwohnungen zu gestalten, doch noch immer gibt es genügend gespenstisch-verlassene Gebäudefluchten, die eine unheimliche Atmosphäre verbreiten ( www.dokumentationszentrum-prora.de ).
Anheimelnd geht es dagegen weiter südlich zu. Falls man das Bild einer Seebrücke im Kopf hat, dann ist es die von Sellin mit ihren dekorativen, Türmchen bestückten Aufbauten, die 1998 nach historischen Vorbildern neu errichtet wurde. Neben der steilen Treppe mit 87 Stufen gibt es einen Aufzug zur Seebrücke und zu dem relativ schmalen Strand. Den Ort selbst ziert eine vor rund 100 Jahren angelegte Lindenallee.
Kein Ort mehr als 7 km vom Wasser entfernt
Rügen begeistert nicht zuletzt durch seine traumhafte Landschaft. Viele Gebiete wurden schon früh zu Naturschutzreservaten erhoben. Auch wenn der Insel aufgrund ihrer Größe stellenweise der Eiland-Charakter nicht anzumerken ist, so ist doch durch die zerklüftete Form sagenhaft viel Küste vorhanden. Kein Ort ist mehr als 7 km vom Wasser entfernt. Im Westen und Süden der Insel findet sich die stille Boddenlandschaft mit Schilf umsäumten Ufern, weiten Wiesen und einsam gelegenen Dörfern. Hier finden sich selbst in der Hochsaison noch einsame Ecken. Auf der traumhaft schönen Halbinsel Mönchsgut hat dagegen schon lange der Tourismus Einzug gehalten. Göhren, Binz und Sellin bieten die reizvolle Kombination aus Kilometer langen Sandstränden, mächtigen Steilküsten und stolzen Seebädern.