Reinbek. Behindertenbeirat kritisiert neue Bushalte: falsche Leitsteine, Unterstand für Blinde unerreichbar, Fahrpläne schlecht angebracht.

Blinde sehen anders – das kann Kurt Martens, Sprecher des Behindertenbeirats Reinbek, immer wieder beobachten. Gemeinsam mit der Ersten Vorsitzenden Antoinette Wagschal und ihrem Stellvertreter Volker Müller hat er die neu umgebauten barrierefreien Bushaltestellen überprüft. Die 54-Jährige hat nur noch 30 Prozent Restsehwert auf einem Auge, Müller ist blind. Ihr Urteil: „Keine der neuen Haltestellen ist perfekt geworden“, fasst Martens die Ergebnisse zusammen.

Von 42 Bushaltestellen sind bisher zwölf im Reinbeker Stadtgebiet umgestaltet worden. Bordsteine wurden erhöht, damit die Fahrgäste bequemer und auch Rollstuhlfahrer einsteigen können, Leitsteine für Sehbehinderte wurden gesetzt, um ihnen eine selbstbestimmte Nutzung der Busse zu ermöglichen. Besonders am Mühlenredder vor der neuen Feuerwehrwache und vor dem Schulzentrum aber gibt es viele Kritikpunkte an den neuen Bushalten.

Reinbek lässt Blinde an den Haltestellen im Regen stehen

„Wenn es regnet, kann ich das Wartehäuschen überhaupt nicht erreichen“, moniert Volker Müller. Denn die reliefartigen, erhabenen, weißen Leitsteine, die er mit seinem Blindenstock spüren kann, führen ihn nur vom Fußgängerüberweg zur Bordsteinkante. Dorthin, wo der Busfahrer seine Türen öffnen sollte. „Das klappt nicht immer“, weiß Volker Müller. „Viele Busfahrer, die ich gefragt habe, wissen überhaupt nichts über die Bedeutung der weißen Steine.“

Die Leitlinien an der Bushaltestelle Mühlenredder sind quer zur Laufrichtung gelegt. So kann Volker Müller seinen Stock nicht an ihnen entlanggleiten lassen, um den Weg zu finden. Die erhobenen Punkte im Pflaster zeigen ihm einen Richtungswechsel an.
Die Leitlinien an der Bushaltestelle Mühlenredder sind quer zur Laufrichtung gelegt. So kann Volker Müller seinen Stock nicht an ihnen entlanggleiten lassen, um den Weg zu finden. Die erhobenen Punkte im Pflaster zeigen ihm einen Richtungswechsel an. © Susanne Tamm | Susanne Tamm

Der Behindertenbeirat kritisiert vor allem, dass diese sogenannten Bodenindikatoren teilweise in falscher Richtung verlegt worden sind. Am Mühlenredder vor der neuen Feuerwehrwache gegenüber vom Schulzentrum etwa liegen sie sogar quer zur Laufrichtung. „Das ist falsch“, erklärt Volker Müller. „Diese Leitsteine sind Hubbelsteine geworden.“ Zudem gebe es keine Steine, die zu den Wartehäuschen führen, blinde Menschen können sie nicht finden. Weder an der Haltestelle vor dem Feuerwehrgebäude noch an der vor dem Schulzentrum führen die Steine nach links. Für ihn gibt es dort kein Weiterkommen. „Allein würde ich hier im Regen stehen“, sagt der 75-Jährige verärgert.

Fahrplanschild birgt Verletzungsgefahr

Nach Ansicht des Behindertenbeirats sind dort außerdem auch die Fahrpläne vor der Feuerwehr-Fahrzeughalle falsch angebracht. Denn Blinde könnten sich daran den Kopf stoßen, wenn sie den Leitsteinen folgen. Rollstuhlfahrer hingegen können einen Teil der Pläne nicht lesen. Entweder, weil sie nur von der Fahrbahn aus lesbar sind, dort ist für einen Rollstuhl viel zu wenig Platz, oder weil sie für sie zu hoch angebracht worden sind.

„Es wäre prima, wenn man sie im Wartehäuschen an der Rückwand montieren könnte“, schlägt die Vorsitzende Antoinette Wagschal vor. „Dann könnte man sie im Trockenen anschauen und zwar in einer Höhe, in der man sie per Smartphone vergrößern könnte, wenn die Sehkraft nicht mehr ausreicht.“

Den Unterstand kann Volker Müller nicht finden, weil ihn die Leitsteine dort nicht hinführen..
Den Unterstand kann Volker Müller nicht finden, weil ihn die Leitsteine dort nicht hinführen.. © Susanne Tamm | Susanne Tamm

Bis 2026 sollen alle Bushalte barrierefrei sein

Wie Volker Müller ist sie auf die Busse angewiesen, um sich im Reinbeker Stadtgebiet eigenständig bewegen zu können. Denn ansonsten müsste sie immer jemanden bitten, sie zu fahren. Doch beide pochen auf ihre Rechte, wegen ihres Handicaps wollen sie sich nicht einschränken lassen. Volker Müller ist vor allem als Leiter des Glinder Gutshauses und als leidenschaftlicher SPD-Politiker in Reinbek bekannt geworden.

In der vierten Klasse konnte er plötzlich an der Tafel nichts mehr lesen. „Ich hatte rund 97 Prozent meiner Sehkraft verloren“, erinnert sich der 75-Jährige. Das jedoch hat den Reinbeker nie davon abgehalten, seinen Lieblingsberuf als Erzieher zu ergreifen, eine Familie zu gründen, zu reisen und sich in der Kommunalpolitik zu engagieren. Jetzt kämpfen er und Wagschal im Behindertenbeirat dafür, dass sie und andere Menschen mit Handicap nicht durch ihre Umwelt behindert werden.

Normen sind die Grundlage für den Umbau der Haltestellen

Reinbeks Bürgermeister Björn Warmer sagt: „Wir nehmen die Kritikpunkte gern auf und prüfen das – auch vor Ort.“ Sein zuständiger Mitarbeiter ist aktuell im Urlaub. Deshalb kann Warmer keine Einzelfragen klären oder beantworten, wie es zu den Fehlern in Sachen Barrierefreiheit kommen konnte. Die Gestaltung der Bushaltestellen sei an DIN-Normen gebunden, die in ganz Deutschland gleich seien.

Doch Volker Müller kennt aus eigener Erfahrung gelungenere Beispiele: „An der Fuhlsbütteler Straße etwa werde ich an den Läden entlang geführt, dann schwenkt die Rille schräg zu Bushaltestelle ab. In Reinbek aber muss ich immer im Zickzack laufen“, berichtet der Vize des Beirats. „Und an den U-Bahn-Haltestellen funktioniert das System auch sehr gut. Die U-Bahnen halten auf den Punkt, sodass ich nicht nach dem Einstieg suchen muss.“

Eigentlich sollten die Bushaltestellen bereits bis Ende 2022 alle umgebaut sein. Jetzt will Reinbek dieses Ziel bis Ende 2026 erreichen.