Reinbek. Seniorengerechte Infrastruktur ist beschlossene Sache, doch Reinbeks Seniorenbeirat drängt nun auch auf die Umsetzung.
Altwerden ist nichts für Feiglinge – das wusste schon Mae West, Hollywoods erstes Sex-Symbol. Nicht nur, dass die Kräfte nachlassen, sich allerlei Schmerzen und Gebrechen einstellen können. Häufig müssen alte Menschen auch noch dafür kämpfen, dass sie ernst genommen werden, für Respekt und Rücksicht. So wie Reinbeks Seniorenbeirat, der sich seit Jahren für eine altersgerechte Infrastruktur einsetzt und dafür im Sommer 2018 einen ganzen Katalog beantragt, um diese zu realisieren.
Kantsteine: Gefahr für Menschen mit Rollator
Dazu gehört unter anderem, ganz praktisch, die Barrierefreiheit in der Stadt. Die Reinbekerin Swantje Herrmannsen gehört zwar mit 60 Jahren gerade mal in die Zielgruppe des Seniorenbeirats, doch sie weiß trotzdem, woran es hapert: Wegen einer Erkrankung ist sie mit dem Rollator, lieber noch mit dem E-Bike in der Stadt unterwegs. „Ich bin froh, dass ich im Gegensatz zu vielen Älteren noch mit dem Bike fahren kann“, berichtet sie. „Denn das ist viel einfacher als mit dem Rollator. Denn es gibt so viele Kantsteine, an denen wir hängen bleiben und stürzen können.“ Vor ihrer Erkrankung hätte sie diese Erhebungen als lachhaft erachtet. Doch für Menschen, die auf Unterstützung angewiesen seien, seien sie eine Gefahr. Auch der Wentorfer Hans-Peter Küchenmeister, der zurzeit in Reinbek wohnt und nur mit dem Rollstuhl mobil ist kennt mittlerweile die Tücken in Reinbeks Innenstadt: „Der Gehweg an der Bergstraße ist voller Unebenheiten, das ist sehr diffizil“, sagt er. „Die Steigungen in Reinbek kommen noch hinzu.“
Mehr als ein Drittel der Reinbeker Bevölkerung ist älter als 60 Jahre. „Wir werden eine alte Stadt werden“, sagt Dr. Heinz-Dieter Weigert, Vorsitzender des Seniorenbeirats. „Daran ist nicht zu rütteln, wenn wir uns die Altersstruktur der Bürgerinnen und Bürger ansehen.“ Deshalb freut er sich sehr, dass die Stadtverordneten dem Antrag des Seniorenbeirats alle zugestimmt haben. „Das ist ein sehr schönes Ergebnis. Ich fürchte nur, der Beschluss wird nicht so schnell umgesetzt werden.“
Bei den Bushaltestellen hat Reinbek viel versäumt
Was die Barrierefreiheit angeht, habe die Stadt Reinbek schon bei den Bushaltestellen viel versäumt. „Eigentlich müssen ab 2022 alle Bushaltestellen barrierefrei sein“, erklärt Weigert. „Reinbek hat bereits alle Zuschüsse vom Land verpasst.“ Bisher sei nur ein Bushalt in Neuschönningstedt entsprechend saniert worden. Außerdem soll auch der Öffentliche Personennahverkehr verbessert werden. Eine Ausweitung des Zehn-Minuten-Taktes der S-Bahn hat das Land schon auf den Weg gebracht. Nun werden auch zusätzliche Bushaltestellen an den Einkaufszentren und Altenheimen geprüft, die Fahrpläne besser aufeinander abgestimmt.
Auch die Kantsteine müssten abgesenkt, für Sehbehinderte eine Pflastermarkierung auf den Fußgängerüberwegen aufgebracht werden und vor den Altenheimen sollten Verkehrsschilder das Tempo der Autofahrer drosseln, es fehlen Bänke für Ruhepausen und vor allem auch öffentliche Toiletten.
Eklatante Mangel an Pflegeplätzen
„Das kann wirklich entwürdigend sein“, sagt Heinz-Dieter Weigert. Der Seniorenbeirat hat deshalb das Konzept der „netten Toilette“ vorgeschlagen. Dabei öffnet beispielsweise die Gastronomie gegen eine kleine Gebühr ihre Toiletten für die Öffentlichkeit. Das wird in anderen Städten Schleswig-Holsteins bereits gemacht“, sagt Weigert. Die Umsetzung dieser Themen soll laut Stadtverwaltung im nächsten Umweltausschuss beraten werden.
Ein sehr wichtiger Themenkomplex sind Pflege und Wohnen der älteren Generation in Reinbek. In der Stadt gibt es etwas mehr als 500 Pflegeplätze, neue Daten soll die Stadt bis 1. September erheben. Diese sind für Reinbek viel zu wenige, sie seien alle belegt. „Der Durchlauf ist sehr hoch“, sagt Weigert. Wegen der steigenden Gehälter, würden die Heime jetzt wesentlich höhere Kosten erwarten. Die Differenz zwischen den Kosten für einen Pflegeplatz und der Summe, die die Heimbewohner selbst aufbringen können, werde immer größer. Weigert schätzt 1200 Euro pro Heimplatz und Monat, die die Steuerzahler zuschießen müssen. Das Kreissozialamt gebe das Geld, das Reinbek über die Kreisumlage refinanziert „Da kommen leicht 650.000 Euro im Monat zusammen, die Reinbek in bessere Modelle der Pflege investieren könnte“, schätzt der Seniorenbeiratsvorsitzende. Er denkt dabei an Modelle selbstbestimmten Lebens wie das Bielefelder oder das Buurtzorg-Modell aus den Niederlanden. „Doch für diese Wohnmodelle fehlen in Reinbek leider die Grundstücke“, bedauert Weigert.
Quartier Kampsredder bietet Möglichkeiten
Eine Möglichkeit könnte das Quartier Kampsredder sein. Alternative Wohnmöglichkeiten für Pflegebedürftige sollen im nächsten Bauausschuss beraten werde. Außerdem benennt der Hauptausschuss am 24. August die Mitglieder eines neuen Arbeitskreise Leben und Wohnen im Alter.