Reinbek/Hamburg. Kinderschutz in Reinbek: Erster Giuliano-Gedächtnispreis geht an einen Engagieren, der auch mal laut wird. Der Stiftungsgründer erklärt, warum.
Missbraucht, misshandelt oder gedemütigt: Mit ihrem Verein Shaken Kids setzen sich Nadine und Patrick Kliefoth seit Dezember 2019 für Kinder und Jugendliche ein, „die im und vom Leben durchgeschüttelt worden sind“, erklärt der 55-Jährige. Anlass war damals eine Tragödie in der eigenen Familie: Großneffe Giuliano wurde von einem Mitglied aus der weiteren Familie totgeschüttelt. Der Säugling starb am 20. Juli 2019 – da war er gerade vier Monate alt.
Im Dezember 2022 hat das sehr christlich eingestellte Reinbeker Ehepaar sein gesamtes Vermögen in das Kapital der Silent Care Stiftung investiert, damit ihre Arbeit für den Kinderschutz überdauern kann. Für Patrick Kliefoths Nichte, die Mutter des kleinen Giuliano, sei es ein Trost, dass aus dem gewaltsamen Tod ihres Kindes doch auch etwas Gutes gewachsen sei: Hilfe und Schutz für andere von Gewalt betroffene Familien. Sie war jetzt dabei, als die Stiftung den ersten Giuliano-Gedächtnispreis für innovativen und zukunftsorientierten Kinderschutz an Carsten Stahl verliehen hat.
Reinbeker Stiftung ehrt umstrittenen Anti-Mobbing-Trainer
Nun ist Carsten Stahl, Gründer von „Stoppt Mobbing“ und „Bündnis Kinderschutz“ nicht gerade als Meister leiser Zwischentöne bekannt. Der Neuköllner Jugendhilfe-Ausschuss hat 2019 entschieden, nicht mit Stahls Anti-Mobbing-Projekt zusammenzuarbeiten, weil man seine Methodik anzweifelte. hm wird einmal vorgeworfen, dass er keine nachhaltigen Strategien für den Umgang mit Problemen bietet, von anderer Seite auch, dass er es bei seiner Öffentlichkeitsarbeit mit dem Datenschutz nicht so genau nimmt.
„Er ist definitiv nicht unumstritten“, räumt Patrick Kliefoth ein. „Aber jeder, der laut ist, macht sich schnell selbst zur Zielscheibe. Carsten Stahl ist seit zehn Jahren im Kinderschutz aktiv. Er bietet Coachings an Schulen, bildet mit ,Kampf Stahl’ Lehrer präventiv weiter, hilft aber auch in Krisensituationen wie zuletzt in Heide“, zählt der Reinbeker Argumente für die Wahl der Jury auf.
Selbstverständlich habe sich die Jury – bestehend aus Gisela Liebehenz von der Deutschen Lebenshilfe, Stiftungskurator Ernst Peters, Geschäftsführer der Allianz Hamburg, und die Großhansdorferin Vanessa Thieben, Mitglied von Shaken Kids und im Elternbeirat Kindergärten in Stormarn – mit den Vorwürfen gegen den Preisträgern auseinandergesetzt, sagt der Vereins- und Stiftungsgründer. Er selbst war zwar kein Juror, habe die Jury jedoch nach ihrer Entscheidung dazu befragt.
Die Methoden von Preisträger Carsten Stahl sind umstritten
Dem Vorwurf etwa, keine Rücksicht auf die Persönlichkeitsrechte der Jugendlichen zu nehmen, sah sich Patrick Kliefoth beispielsweise selbst auch schon einmal ausgesetzt. „Dazu kann ich nur sagen, Carsten Stahl geht mit diesen Dingen sehr vorsichtig um“, sagt der Reinbeker. „Ich für meine Person spreche vorher mit den Familien ab, was ich preisgeben darf. Manchmal lässt es sich allerdings nicht vermeiden, Namen zu nennen.“ Bei öffentlichen Veranstaltungen drängen häufig Fotos nach außen, auch weil die Betroffenen selbst Selfies posten. „Das sind die Nachteile der sozialen Medien“, stellt Kliefoth fest.
„Für mich ist dieser Preis eine Ehre“, erklärte der 50 Jahre alte Carsten Stahl. „Ich nehme ihn an im Namen des Kinderschutzes und für die Kinder, die von Mobbing, Gewalt oder Rassismus betroffen sind. Ich sehe mich als Mittel zum Zweck, damit der Kinderschutz mehr Aufmerksamkeit bekommt. Vielleicht bin ich einfach der Leuchtturm, der am hellsten blinkt.“ Stahl wurde durch die Rolle eines tätowierten, muskelbetonten Chefs einer Detektei der Serie „Privatdetektive im Einsatz“ in 289 Folgen von 2011 bis 2014 im RTL II-Fernsehen bekannt. Als sein Sohn in der Schule gehänselt wurde, wurde der heute 50-Jährige zum Anti-Mobbing-Aktivisten. „Ich habe ihn erst jetzt durch diese Preisverleihung privat kennengelernt und dadurch sind wir jetzt auch im Austausch“, erzählt Patrick Kliefoth.
Der Preis soll vor allem junge Engagierte motivieren
Die Ziele des Giuliano-Gedächtnispreises sind mehr Öffentlichkeit für das Thema Kinderschutz und vor allem andere, besonders junge Menschen zu ermutigen, sich dafür zu engagieren. „Die Zahlen von Missbrauch und Misshandlungen ziehen derart in die Höhe“, bedauert Patrick Kliefoth. „Deshalb wollen wir vor allem junge Leute mit einem innovativen Ansatz motivieren, sich für den Kinderschutz einzusetzen.“ Deshalb sei es kein Zufall gewesen, dass nicht nur der Sänger Frank Schwung, unter dem Künstlernamen „The Biker“ bekannt, sondern auch der Deutsch-Rapper „Stabil LMG Hamburg“ bei der Preisverleihung aufgetreten sind. Der Hamburger Rapper setzt sich ebenfalls für den Kinderschutz ein und spricht mit seiner Musik direkt Jugendliche an und gewinnt sie für das Thema.
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Für ein Preisgeld sei die Stiftung noch zu klein und zu jung, bedauert ihr Gründer. „Uns geht es um die Anerkennung und den Dank für Leute, die mit ihrer Arbeit sonst eher im Schatten stehen“, bekräftigt Patrick Kliefoth. Die Stiftung hatte vor vier Monaten dazu aufgerufen, Vorschläge für den Preis einzureichen, acht Anregungen waren eingetroffen. Anfang 2024 soll es einen neuen Aufruf geben.
Neues Projekt mit „Schüttelpuppe“ geplant
Der Verein Shaken Kids hat bereits ein Haus im Harz eingerichtet, in dem Familien Schutz finden, die von Gewalt und Missbrauch betroffen sind. So ein Haus soll es künftig auch im Bergedorfer Raum geben – daher sucht der Verein nach einer passenden Immobilie. Vier Mitglieder machen zurzeit eine Weiterbildung zum Trauma-Pädagogen, um ebenfalls pädagogische sowie Trauma-Beratung und Termine zur Familienhilfe anbieten zu können.
Ein neues Projekt für präventive Aufklärung junger Eltern und Jugendlicher zum Thema Schütteltrauma befindet sich im Aufbau: Dafür will der Verein Schüttelpuppen anschaffen und mit diesen beispielsweise auch in Schulen gehen. „Diese Puppen haben einen transparenten Schädel, durch deren Decke man sehen kann, was man anrichtet, wenn man ein schreiendes Baby – in dem Fall die Puppe – schüttelt“, erläutert der 55-jährige Familienvater. „Denn je früher wir anfangen, junge Menschen dafür zu sensibilisieren, welche schwerwiegenden Folgen das Schütteln kleiner Kinder aus Ungeduld und Hilflosigkeit mit sich bringt, desto eher werden sie sich der Gefahren bewusst.“ Schütteln kann bei Säuglingen schwere Behinderungen oder gar den Tod verursachen.