Reinbek/Glinde. Glinder und seine Partnerin behinderten einen Polizeieinsatz – und rasteten vollkommen aus. Vor Gericht zeigen beide wenig Einsicht.
Für die Beschuldigten ist es eine klare Sache: Erika S. und Werner N. (Namen geändert) sehen sich ungerechtfertigt als Angeklagtevor dem Amtsgericht Reinbek, wo sich der 80 Jahre alte Glinder und seine 81 Jahre alte Lebensgefährtin wegen Beleidigung und dreifachen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verantworten müssen. Kein Verbrechen, aber doch ein Vergehen, wie Richterin Martina Franke klarstellt.
Von Unrechtsbewusstsein gibt es bei dem Rentnerpaar, einst Verkäuferin und Betonbauer, allerdings keine Spur. „Ich bin ein netter Mensch – vielleicht ein bisschen vorlaut“, sagt Werner N.. Martina Frankes Urteil jedoch lautet schließlich auf Geldstrafe in Höhe von 5500 Euro, seine Lebensgefährtin muss 1500 Euro Strafe zahlen.
Renitenter Rentner klammert sich 20 Minuten an Verkehrsschild
Was war mit dem bisher unbescholtenen Rentnerpaar, das offenbar noch nie ein Gerichtsverfahren erlebt hat, geschehen? Im September 2022 weckt ein Polizeieinsatz ihr Interesse, als sie durch Wiesenfeld spazieren. Beide bleiben stehen und wollen wissen, was geschehen sei. Hintergrund: Zwei Polizistinnen warten am Buchenweg in Glinde mit einer psychisch erkrankten Frau, die sie gerade beruhigt haben, und deren Familie auf einen Krankenwagen – keine schöne Situation für die Betroffenen, wie eine Polizeibeamtin im Gericht als Zeugin berichtet.
Doch der 80-Jährige fühlt sich im Recht. „Als deutscher Bürger habe ich doch das Recht, dort zu stehen“, erklärt der Rentner der Richterin. Das Paar ist ohne jegliche Verteidigung im Reinbeker Amtsgericht erschienen und hat die Verhandlung offenbar ebenso wenig ernstgenommen wie einst die Aufforderungen der Polizei, bitte zu gehen. Werner N. weigert sich damals, die Situation eskaliert derart, dass sich der Rentner 20 Minuten lang an einem Verkehrsschild festklammert, einen Platzverweis der Polizei ebenso ignoriert wie die Aufforderung, sich auszuweisen, sodass er schließlich von drei Polizisten in einen zweiten Streifenwagen geschoben wird. Dabei tritt er um sich und verletzt eine Polizistin (22).
So ist die Polizeibeamtin in 25 Dienstjahren noch nie beleidigt worden
Seine Partnerin soll eine Polizeibeamtin bepöbelt haben: „Halt die Fresse, du blöde Sau!“ Auch Erika S. erhält seinerzeit einen Platzverweis. Vor Gericht bestreitet sie dies vehement: „So etwas würde ich doch niemals in den Mund nehmen“, sagt die 81-Jährige, sorgfältig geschminkt und frisiert. Doch die 44 Jahre alte Polizeibeamtin hat dies komplett anders in Erinnerung: „Sie hat ihn bestärkt, sich unseren Aufforderungen zu widersetzen, es kam zum Wortwechsel, schließlich hat sie uns mehrfach die Zunge herausgestreckt, meine Kollegin hat sogar ihren Speichel abbekommen, das war eklig“, berichtet sie.
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Schließlich sei der beleidigende Satz gefallen. „So etwas hat in 25 Dienstjahren noch nie jemand zu mir gesagt“, erklärt die Beamtin. Für sie sei das Thema mit diesem Verfahren noch nicht erledigt. Sie überlege sich noch, auf Schmerzensgeld zu klagen. Die Polizistin stellt fest: „Das war kein schlimmer Einsatz, aber schon ein außergewöhnlicher. Dass sich jemand so respektlos gegenüber der Polizei verhält, sind wir mittlerweile gewohnt, aber eher von Jüngeren, nicht von einem älteren Paar.“ Ihre Kollegin bestätigt die Beleidigung in ihrer Zeugenaussage.
Handyfoto dokumentiert Tritt auf den Unterarm einer Polizistin
Die 22 Jahre alte Polizistin ist mittlerweile in Trittau im Dienst. Gemeinsam mit ihren Barsbütteler Kollegen habe sie den 80-Jährigen vom Schildermast gelöst, schildert sie, und Richtung Streifenwagen geschoben. „Das war nicht so einfach, er hat sich dagegen gesperrt. Gewöhnlich haben wir es in solchen Fällen mit Alkoholisierten, auf jeden Fall aber mit jüngeren und kräftigen Leuten zu tun. Wir wollten ihn doch auch nicht verletzen.“ Erst auf der Wache habe sie gemerkt, dass auf ihrem Unterarm ein Schuhabdruck des Angeklagten prangte.
„Das bestreite ich vollständig“, sagt der 80-Jährige. „Ich habe vielleicht mit den Füßen gestrampelt – aber ohne die Absicht, jemanden zu verletzen.“ Die Polizistin hat den Abdruck jedoch dokumentiert und mit ihrem Handy fotografiert. Während der Aussage des Beamten räumt Werner N. ein: „Ich bin vielleicht nicht gerade ins Polizeiauto gesprungen wie ein Hündchen.“ Er habe sich dagegen gesperrt. Seit die Polizei sich einmal geweigert habe, eine Anzeige wegen einer beschädigten Heckscheibe seines Autos zu schreiben, mit der Begründung, sie sei wegen der Hitze geplatzt, sei er nicht gut auf die Glinder Polizei zu sprechen.
Die Verurteilten wollen das Urteil nicht akzeptieren
Auch wenn die Angeklagten empört Zeugen oder gar der Richterin während der Urteilsbegründung ins Wort fallen, erläutert Marina Franke ihnen jeweils geduldig die aktuellen Abläufe einer Verhandlung. Die vier Zeugenaussagen vonseiten der Polizei sowie das Foto haben sie schließlich überzeugt. Sie sei zwar nicht dem Plädoyer der Staatsanwältin Anna Feegers gefolgt, die die Anklage durch die Gerichtsverhandlung bestätigt sah und außer Geldstrafen für den Beschuldigten auch noch eine Haftstrafe von sechs Monaten auf Bewährung forderte.
Doch ebenso wie Feegers erklärt auch Franke den Beschuldigten, dass sie nicht nur kein Recht hätten, am Einsatzort der Polizei zu bleiben, sondern dass vielmehr auch die betroffene Erkrankte und ihre Familie ein Recht auf Privatsphäre haben. Sie sei mit ihrem Urteil unter dem Strafmaß geblieben, weil die beiden Angeklagten bisher keine Vorstrafen haben und wohl kaum wieder als Angeklagte vor Gericht erscheinen würden. Der Verurteilte will das nicht akzeptieren: „Ich habe niemandem geschadet“ sagt er und wirft der Richterin vor: „Sie haben keine Menschenkenntnis.“ Der 80-Jährige will auf jeden Fall das Urteil anfechten, sich diesmal jedoch anwaltlich beraten lassen.