Reinbek. Die Folgen der Pandemie machen den Rettern noch zu schaffen. Die Preise für schrottreife Fahrzeuge haben sich fast verdoppelt.
So ein Szenario will niemand erleben: Ein mit hochgiftigen Chemikalien beladener Lkw fährt in eine Menschenmenge und geht in Flammen auf. Panik bricht aus. Es gibt Tote und Verletzte. Zudem sind noch zwei Autos zusammengestoßen, die Insassen klemmen fest und müssen geborgen werden. Glücklicherweise war das nicht Realität, sondern eine großangelegte Rettungsübung, zu der 30 angehende Notfallsanitäter und 40 Feuerwehrleute der Wehren aus Börnsen, Grünhof und Geesthacht Mitte Juni ausrückten.
Die Vorbereitungen für so eine Großübung dauern Wochen. Dabei stehen die Wehren mittlerweile vor einem Problem, das bisher gänzlich unbekannt war: „Extrem herausfordernd ist aktuell das Besorgen der Übungsfahrzeuge“, sagt Sven Minge, Geschäftsführer des Kreisfeuerverbandes Herzogtum-Lauenburg. Schuld sind die erheblich gestiegenen Preise für Altautos.
Gebrauchtwagenmarkt eingebrochen: Feuerwehren finden kaum Übungsautos
„Die Wehren müssen immer größere Mühen aufwenden, um an solche Autos zu kommen“, sagt Minge. Und teils immer mehr Geld in die Hand nehmen. Doch nicht jedes Auto eignet sich für die Übung: „Die Autos müssen zwar nicht mehr fahrtauglich, aber intakt sein“, sagt Minge. Die Betriebsstoffe werden vor der Übung entfernt.
Vor der Pandemie gab es diese Problem nicht. Passende Fahrzeuge gab es meist für kleines Geld beim Schrottplatz. Doch dann kam die Störung der Lieferketten, die Produktion von Neuwagen lag teils brach. Die Folge: Wer einen Wagen brauchte, kaufte ihn gebraucht. Der Gebrauchtwagenmarkt geriet völlig durcheinander und war leer gefegt wie noch nie. Das gilt auch für Autos, die früher auf dem Schrott gelandet wären.
Automarkt liegt noch unter dem Vorkrisenniveau
„Ganz erholt hat sich der Markt bis heute nicht“, sagt Michael Ihle, Autohändler und Sprecher des Verbandes fürs Kfz-Gewerbe in Schleswig-Holstein. Zwar verzeichneten die Zulassungszahlen im Juni ein Vorsommer-Hoch und es wurden im Vergleich zum Vorjahreszeitraum knapp 25 Prozent mehr Autos zugelassen – darunter viele mit E-Motor.
Doch trotz der guten Zahlen liegt der Automobilmarkt immer noch unter dem Vorkrisenniveau. Im Juni 2023 wurden über 16 Prozent weniger Autos verkauft als im Juni 2019. Das kann Ihle bestätigen: „Die Inflation, das Heizungsgesetz – die Leute sind verunsichert. Sie schieben die Kaufentscheidung auf und fahren ihre alten Autos deutlich länger“, sagt Ihle. Was noch zu reparieren ist, wird repariert.
Altautos kosten nach der Pandemie das Doppelte
Die Feuerwehren als letztes Glied in der Kette haben somit das Nachsehen, da weniger Autos beim Schrotthändler landen. „Und die wenigen sind dann ziemlich teuer geworden“, sagt Minge. Mehr als das Doppelte zahlt der Verband heute für ein Übungsauto, wovon er monatlich mindestens vier braucht. Minge kann sich glücklich schätzen, dass der Kreis die Mehrkosten trägt.
Die Wentorfer Wehr war bislang bei Übungsfahrzeugen in einer komfortablen Lage – noch. „Wir haben unsere Autos bislang immer geschenkt bekommen“, sagt Ausbilder Dennis Pätzold. Mindestens einmal im Jahr probt die Wehr verschiedene Szenarien an Schrottautos. In diesem Jahr steht die Übung noch bevor, doch ein Auto ist noch nicht in Sicht. Und das ist nicht alles: „Noch viel schwieriger als die Beschaffung ist bei uns die Frage der Entsorgung, nachdem wir das Auto in seine Einzelteile zerlegt haben“, sagt Pätzold.
Einige Wehren im Verband greifen auf persönliche Kontakte zurück, weiß Verbandsgeschäftsführer Minge, andere bekommen von der Gemeinde sichergestellte Fahrzeuge aus dem öffentlichen Raum geschenkt, wenn deren Halter unauffindbar ist.
Reinbeks Wehr hat um die neue Wache genug Platz, aber noch kein Übungsauto
In Reinbek werden diese Fahrzeuge bislang versteigert. Der Feuerwehr aber würden diese Autos auch helfen. Die nämlich ist auf der Suche nach einer neuen Beschaffungsquelle. „Wir wollen jetzt sondieren, wo wir Übungsfahrzeuge herbekommen“, sagt Marcus Bradtke-Hellthaler, Reinbeks stellvertretender Wehrführer.
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Früher waren die Feuerwehrleute zu Übungszwecken an Autos auf den Schrottplatz in Oststeinbek ausgewichen, da die Fläche rund um die alte Wache an der Klosterbergenstraße nicht ausreichte. Mit dem Umzug an den Mühlenredder hat sich das geändert.
Hier ist nun ausreichend Platz, um auch für längere Zeit ein Schrottauto abzustellen und verschiedene Rettungsszenarien durchzuspielen, sagt Bradtke-Hellthaler. Zumal die Ausbildungskurse beim Stormarner Kreisfeuerwehrverband ausgebucht sind. Auch eine Folge der Pandemie, in der der Übungsbetrieb ruhte.
Wichtig sei dieses Training aber in jedem Fall, sagt Bradtke-Hellthaler. Denn die Zahl der sogenannten Technischen Hilfeleistungen, bei denen oft Autos mit im Spiel sind, sind seit Jahren steigend. Kein Wunder bei einer Wehr, die eine stark befahrene Kreisstraße, eine Bahnstrecke und ein Stück Autobahn in ihrem Einsatzgebiet hat.