Lübeck/Reinbek. 670 Kilogramm Drogen: 44-Jähriger flog durch entschlüsselte Kommunikation über die bei Kriminellen beliebte App auf.

Sechs Jahre und drei Monate Haft – so lautet das Urteil gegen einen 44-Jährigen in dem Verfahren um millionenschwere Drogengeschäfte, die eine Bande von einer Lagerhalle in Reinbek aus abgewickelt haben soll. Die IX. Große Strafkammer des Landgerichts Lübeck befand den Reinbeker der Einfuhr und des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 13 Fällen für schuldig. „Das Tatgeschehen stellt sich aus Sicht des Gerichts im Wesentlichen so dar wie angeklagt“, sagte der Vorsitzende der Kammer, Klaus Grammann, bei der Verkündung des Urteils am Donnerstag.

Die Staatsanwaltschaft hatte Burak Y. (Name geändert) vorgeworfen, zwischen April 2020 und September 2021 gemeinsam mit Komplizen Cannabis im Wert von rund 2,2 Millionen Euro aus Spanien importiert und vom Reinbeker Gewerbegebiet aus weiterverkauft zu haben. Logistikunternehmen transportierten die Drogen in dem Glauben nach Deutschland, technisches Zubehör geladen zu haben. Insgesamt soll die Bande, deren Kopf der 44-Jährige gewesen sein soll, auf diesem Weg mit mehr als 670 Kilogramm Haschisch und Marihuana gehandelt haben.

Richter verkünden Urteil in Prozess um millionenschwere Drogengeschäfte

Aufgeflogen war die Gruppe erst, als französische Ermittler den deutschen Behörden einen Datensatz mit Nachrichten des bei Kriminellen beliebten Netzwerks Encrochat zugespielt hatten. In diesen wurden Drogenlieferungen nach Reinbek besprochen, als Verfasser konnte später Burak Y. identifiziert werden. Dank umfangreicher Überwachungsmaßnahmen, unter anderem mit versteckten Kameras und GPS-Sendern, gelang es im September 2021, die Bande bei der Ankunft einer Drogenlieferung zu überführen.

104,5 Kilogramm Haschisch und Marihuana konnten dabei auf dem Firmengelände in Reinbek sichergestellt werden. Wenige Tage später nahm die Polizei einen 26-Jährigen in Hamburg-Jenfeld fest. Burak Y. hatte sich zunächst in die Türkei abgesetzt und erst im Sommer 2022 den deutschen Behörden gestellt. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft.

Der 44-Jährige hatte seine Beteiligung zu Beginn des Verfahrens eingeräumt

In dem Verfahren hatte der Reinbeker seine Beteiligung zwar eingeräumt, aber bestritten, dabei eine Führungsrolle gehabt zu haben. Vielmehr habe es sich um „Sammelgeschäfte“ mehrerer gleichberechtigter Beteiligter gehandelt. Sein Motiv seien finanzielle Probleme gewesen, ausgelöst durch die eigene, jahrelange Abhängigkeit von Marihuana und Kokain.

„Die von der Kammer getroffenen Feststellungen beruhen ganz erheblich auf dem von Ihnen abgegebenen Geständnis“, sagte Grammann zur Urteilsbegründung. Teils habe die Beweisaufnahme die Angaben des Angeklagten bestätigt, in anderen Punkten habe die Kammer aber auch andere Schlussfolgerungen gezogen. So halte das Gericht die Darstellung Y.s, es hätten noch Andere die Encrochat-Handys genutzt, über welche die Geschäfte vereinbart wurden, für unwahr.

Der Reinbeker soll nach einem Jahr Gefängnis in Entzugsklinik wechseln

Der Reinbeker hatte behauptet, er könne nicht Urheber aller Nachrichten sein, weil einige davon auf Englisch und Spanisch verfasst seien – Sprachen, die er nicht beherrsche. Diese Darstellung wies Grammann zurück. „Der Wortgebrauch lässt die Frage aufkommen, ob man überhaupt einen Übersetzer benötigt, um diese Nachrichten zu verfassen“, sagte der Vorsitzende Richter. Die Kammer sei der Überzeugung, „dass Sie hinter diesen Chats stecken.“ Strafschärfend komme neben der Führungsrolle, die Y. bei den Geschäften gespielt habe, die erhebliche Menge Betäubungsmittel hinzu sowie die Tatsache, dass der 44-Jährige mit 22 Delikten im Bundeszentralregister einschlägig vorbestraft sei.

Dennoch gestand die Kammer dem Reinbeker zu, nach einem Jahr und einem Monat im Gefängnis in eine geschlossene Entzugsklinik zu wechseln. Die Chats gäben objektive Anhaltspunkte für eine seit Jahren bestehende Drogensucht des Angeklagten. Y. hatte darum gebeten, während der Haft eine Therapie absolvieren zu dürfen.

Wie viel der 44-Jährige an den Drogengeschäften verdiente, bleibt unklar

Unklar bleibt, wie viel der Reinbeker letztlich an den Drogengeschäften verdiente. Er selbst beteuerte, die Summe sei gering gewesen und in den eigenen Konsum geflossen. Das sah das Gericht jedoch anders. „Wir gehen davon aus, dass Sie Gewinne erzielt haben“, sagte Grammann und ordnete die Einziehung von insgesamt 1,45 Millionen Euro von dem Angeklagten an.

Mit dem Urteil liegt die Kammer deutlich unter der Forderung der Staatsanwaltschaft, die neun Jahre Haft beantragt hatte. Die Verteidigung hielt fünf Jahre für angemessen. Die Urteilsverkündung verfolgte Y. emotionslos, aber aufmerksam. Am Ende erklärte er über seinen Anwalt, die Entscheidung zu akzeptieren und auf eine rechtlich mögliche Revision zu verzichten. Die Staatsanwaltschaft möchte sich hingegen offenhalten, das Urteil anzufechten. Dazu hat sie binnen einer Woche die Gelegenheit.