Lübeck/Reinbek. Lagerhalle in Reinbek soll Umschlagplatz für Marihuana aus Spanien im Wert von 2,2 Millionen Euro gewesen sein. Prozess in Lübeck.
In dem Prozess um millionenschwere Drogengeschäfte in Reinbek hat der 44 Jahre alte Angeklagte überraschend ein umfassendes Geständnis abgelegt. „Ich räume sämtliche Anklagevorwürfe ein“, hieß es in einer Erklärung, die der Anwalt des Reinbekers am Dienstag vor dem Landgericht Lübeck verlas. Sein Mandat habe den Wunsch, das Verfahren „möglichst schnell zu erledigen“, so Verteidiger Andreas Thiel.
Die Staatsanwaltschaft wirft Burak Y. (Name geändert) vor, zwischen April 2020 und September 2021 über eine Scheinfirma gemeinsam mit Komplizen Cannabis im Wert von rund 2,2 Millionen Euro aus Spanien nach Reinbek importiert und von dort aus weiterverkauft zu haben. Eine Lagerhalle im Reinbeker Gewerbegebiet soll so zum Umschlagplatz von mehr als 670 Kilogramm Haschisch und Marihuana geworden sein.
44-Jähriger gesteht millionenschwere Drogengeschäfte in Reinbek
Aufgeflogen war die Gruppe erst, als französische Ermittler den deutschen Behörden Chatdaten des bei Kriminellen beliebten Nachrichtendienstes Encrochat zur Verfügung gestellt hatten. Das Netzwerk war im Frühjahr 2020 von Ermittlern in Frankreich und den Niederlanden geknackt worden. Im September 2021 hatten Einsatzkräfte bei einer Razzia auf dem Reinbeker Firmengelände 104,5 Kilogramm Cannabis sowie knapp 90.000 Euro in bar sichergestellt. Ein 26 Jahre alter Komplize von Burak Y. war wenige Tage später in Hamburg-Jenfeld festgenommen worden. Burak Y. hatte sich zunächst in die Türkei abgesetzt und erst ein knappes Jahr später, im Juni 2022, den deutschen Strafverfolgungsbehörden gestellt. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft.
Am ersten Verhandlungstag Mitte Januar hatte er über seinen Verteidiger ein Teilgeständnis verlesen lassen. Er habe lediglich Aufgaben im Bereich der Logistik und „Hausmeistertätigkeiten“ übernommen und dafür pro Lieferung pauschal 1000 Euro erhalten. Die Organisation, die Beauftragung der Speditionen, welche das Rauschgift unwissend von Spanien nach Deutschland transportieren, sowie den An- und Verkauf der Drogen hätten andere übernommen.
Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass Burak Y. einer der Köpfe der Bande war
Die Staatsanwaltschaft geht hingegen davon aus, dass Burak Y. eine der maßgeblichen Figuren in dem Netzwerk war, möglicherweise der Kopf der Bande. Am Dienstag räumte der 44-Jährige nun ein, dass seine Rolle in dem Geschäft doch größer gewesen sei, als bislang zugegeben. „Ich habe selbst Ware geordert und auf eigene Rechnung verkauft“, so Y. Auch habe er die Lagerhalle angemietet sowie die Transporte aus Spanien mitorganisiert, sei teilweise sogar in das südeuropäische Land gefahren, um sie zu begleiten.
Dennoch bestand der Reinbeker darauf, dass er selbst nicht der Kopf der Bande gewesen sei. „Es gab keinen Big Boss“, so der 44-Jährige. „Die Lieferkette bestand schon lang, die habe ich nicht aufgebaut.“ Es habe sich vielmehr um ein „Sammelgeschäft mehrerer Beteiligter“ gehandelt. „Es gab Leute, die Geld gegeben haben, andere orderten die Ware“, so Y. „Es waren viele Hände beteiligt.“
Der Reinbeker schweigt dazu, wie viel er durch die Geschäfte verdiente
In das Drogengeschäft eingestiegen sei er aus Geldnot. „Ich konsumiere Marihuana seit ich 14 bin“, sagte der Reinbeker. Besonders, wenn er Stress gehabt habe, habe er zum Joint gegriffen, bis zu zehn Gramm Cannabis am Tag verbraucht. „Ich habe das geraucht wie andere Zigaretten“, sagte der 44-Jährige. „Das Geld reichte natürlich vorn und hinten nicht“, so Y. „Durch meinen Konsum hatte ich die Kontakte, hatte auch davor schon immer mal wieder gehandelt“, sagte der Reinbeker über seinen Einsteig in die Drogengeschäfte.
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Y. beharrte allerdings darauf, nicht alleiniger Nutzer es Encrochat-Handys gewesen zu sein, über das die Drogengeschäfte ausgehandelt wurden und dessen Daten die Ermittler ausgewertet haben. „Einige Nachrichten sind auf Englisch und Spanisch verfasst, mein Mandat spricht aber nur Deutsch und Türkisch“, sagte sein Anwalt. Die Namen möglicher Mittäter und Abnehmer wollte Y. aber nicht preisgeben. Auch dazu, welche Summe er durch den Drogenhandel verdiente, äußerte sich der 44-Jährige nicht.
Das Firmengelände wurde im Vorfeld des Zugriffs intensiv überwacht
Ein Ermittler der Kriminalpolizei sagte hingegen, bei der Auswertung des Handys hätten sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass neben Y. weitere Personen das Gerät genutzt hätten, auch wenn sich dies nicht hundertprozentig ausschließen lasse. Der 44-Jährige sei eindeutig Besitzer des Handys gewesen. So sei der Reinbeker von Chatpartnern mehrfach mit Vornamen angeredet worden, ein Passwort habe aus Namen und Geburtsjahr der Ehefrau des Angeklagten bestanden.
Ein Beamter des Zollfahndungsamtes, der im Vorfeld der Razzia im September 2021 an verdeckten Ermittlungen gegen die Bande beteiligt war, sagte, sein Eindruck sei, dass der Angeklagte „die Tatherrschaft innehatte“. Nachdem die schleswig-holsteinischen Behörden im März 2021 vom Bundeskriminalamt den Hinweis erhalten hatten, dass Reinbek möglicherweise Umschlagplatz umfangreicher Drogengeschäfte ist, hatte eine gemeinsame Ermittlungsgruppe von Kriminalpolizei und Zoll umfangreiche Überwachungsmaßnahmen eingeleitet.
Ermittler beobachteten insgesamt elf Lieferungen aus Spanien
Die Beamten hörten unter anderem die Telefonate von Y. und seinen Komplizen ab, installierten an der Zufahrt zu dem Firmengelände in Reinbek eine versteckte Kamera und beobachteten ab Mai 2021 sämtliche Fahrzeugbewegungen. Fünf Personen hätten regelmäßig das Lager aufgesucht, neben Burak Y. habe nur der in Jenfeld festgenommene 26-Jährige einen Schlüssel besessen.
„Im Abstand von vier Wochen wurden Transportkisten aus Spanien angeliefert, die stets von denselben Personen an einer Laderampe in Empfang genommen wurden“, so der Zollbeamte. Insgesamt elf solcher Lieferungen hätten die Ermittler beobachtet, ehe sie zugriffen. „Wir wollten ganz sicher sein, dass sich in den Kisten wirklich Betäubungsmittel befinden und wir die Beschuldigten auf frischer Tat ertappen“, sagte der Beamte.
Logistikfirma wusste nichts von der illegalen Fracht
Zunächst inszenierten die Ermittler ihm zufolge eine Fahrzeugkontrolle, als sie beobachteten, dass eine mutmaßliche Komplizin mit ihrem Auto von Itzehoe aus nach Reinbek fuhr, um zwei Kisten abzuholen. „Tatsächlich konnten auf dem Rückweg insgesamt 20 Kilogramm Marihuana bei ihr sichergestellt werden“, so der Zollbeamte. Anschließend hätten sie Kontakt zu der Spedition aufgenommen, welche die Kisten von Spanien nach Deutschland brachte.
Die Logistikfirma wusste nach Angaben eines Angestellten bis dahin nichts von der illegalen Fracht, ging davon aus, Veranstaltungstechnik zu importieren. „Angeblich kaufte die Firma günstig Equipment von Veranstaltern auf, die wegen Corona Konkurs gegangen waren“, sagte der Zeuge. „Das klang soweit alles plausibel.“ Die Spedition habe die Ermittler vorgewarnt, als eine weitere Lieferung angekündigt wurde und so den Zugriff auf dem Reinbeker Firmengelände ermöglicht, führte der Zollbeamte aus.
Wie es in dem Verfahren nach dem Geständnis nun weitergeht, ist noch unklar. Eigentlich hatte das Gericht geplant, am Montag, 6. Februar, weitere Zeugen zu vernehmen. Über die neuen Entwicklungen werde die Kammer nun erstmal beraten, sagte der Vorsitzende Richter Klaus Grammann. Das Urteil soll Anfang März verkündet werden.