Lübeck/Reinbek. Staatsanwaltschaft wirft 44-Jährigem vor, mit Drogen Millionen erwirtschaftet zu haben. Er behauptet nur der Hausmeister gewesen zu sein.
Mehr als eine halbe Tonne Cannabis, Umsätze in Millionenhöhe, Flucht in die Türkei – vor dem Landgericht Lübeck hat am Donnerstag der Prozess gegen einen 44-Jährigen aus Reinbek begonnen, der über eine Scheinfirma im großen Stil mit Drogen gehandelt haben soll. Einen Teil des Rauschgifts hatten Ermittler im September 2021 auf einem Firmengelände im Reinbeker Gewerbegebiet sichergestellt. Der 44-Jährige sitzt seit Sommer 2022 in Lübeck in Untersuchungshaft.
„Der Angeklagte hat zwischen April 2020 und September 2021 kiloweise Marihuana und Haschisch erworben, um die Betäubungsmittel anschließend gewinnbringend weiterzuverkaufen“, sagt Staatsanwalt Felix Schwetzko. Die Drogen habe Burak Y. (Name geändert) in Spanien geordert. Sie seien in Metallkisten verpackt von verschiedenen Speditionen, wohl unwissend, per Lkw nach Deutschland geschmuggelt worden.
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„Die Scheinfirma in Reinbek diente dabei als Anlieferadresse“, so Schwetzko. Dort sei das Rauschgift zum Weiterverkauf zu je zehn Kilogramm in Umzugskartons umgepackt worden. Kuriere brachten die Drogen zu den Käufern. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Burak Y. nicht allein handelte, sondern mehrere Komplizen hatte. Gegen mehrere Männer und eine Frau laufen separate Verfahren, einige wurden bereits verurteilt. Die Anklagebehörde nimmt allerdings an, dass Y. der Kopf der Gruppe war.
Insgesamt soll die Bande mehr als 670 Kilogramm Cannabis mit einem Schwarzmarkt-Wert von rund 2,2 Millionen Euro aus Spanien bezogen haben. Aufgeflogen war die Gruppe erst, als französische Ermittler den deutschen Behörden Chatdaten des bei Kriminellen beliebten Nachrichtendienstes Encrochat zur Verfügung gestellt hatten. Das Netzwerk des Anbieters war im Frühjahr 2020 von Ermittlern in Frankreich und den Niederlanden geknackt worden, seitdem beschäftigt die Auswertung der Daten die Strafverfolgungsbehörden.
Ermittler stellten auf Firmengelände mehr als 100 Kilogramm Cannabis sicher
Laut Staatsanwaltschaft konnte Burak Y. dabei als Nutzer eines Encrochat-Handys identifiziert werden, über welches wiederholt Drogengeschäfte abgewickelt wurden. Seitdem befand sich die Bande im Visier der Behörden. Im September 2021 war es Fahndern der gemeinsamen Ermittlungsgruppe Rauschgift (GER), bestehend aus Ermittlern der Bezirkskriminalinspektion Lübeck und des Zollfahndungsamtes Hamburg, gelungen, eine Drogenlieferung zu lokalisieren und sicherzustellen.
104,5 Kilogramm Haschisch und Marihuana waren damals auf dem Firmengelände in Reinbek gefunden worden, in Kisten, in denen sich eigentlich technisches Equipment befinden sollte. Außerdem entdeckten die Ermittler knapp 90.000 Euro in bar, die wohl zur Bezahlung der Drogen auf dem gleichen Weg nach Spanien geschickt werden sollten. Wenige Tage später hatte die Polizei einen 26-Jährigen in Hamburg-Jenfeld festgenommen.
Der 44-Jährige hatte sich zwischenzeitlich in die Türkei abgesetzt
Von Burak Y. fehlte hingegen zunächst jede Spur. Wie sich später herausstellte, hatte sich der 44-Jährige in die Türkei abgesetzt, deren Staatsangehörigkeit er besitzt. „Im Sommer 2022 kehrte der Beschuldigte nach Deutschland zurück und stellte sich den Behörden“, sagt Staatsanwalt Schwetzko.
Y.s Verteidiger zufolge hatte seine Ehefrau den 44-Jährigen dazu bewogen, indem sie ihm wiederholt ins Gewissen redete und auf die gemeinsamen Kinder und den Lebensmittelpunkt der Familie in Hamburg hingewiesen habe. „Mein Mandant hatte niemals die Absicht, dauerhaft in der Türkei zu bleiben, um sich einer Strafverfolgung zu entziehen“, sagte Anwalt Andreas Thiel. Sein Mandant habe „im ersten Moment schlicht panisch reagiert“, als er von den Ermittlungen erfahren habe. Von der Türkei aus habe Y. einen Rechtsanwalt kontaktiert, um sich zu stellen.
Der Angeklagte legt zu Beginn ein Teilgeständnis ab
Thiel verlas zu Beginn des Prozesses eine Erklärung seines Mandanten mit einem Teilgeständnis. Seine Beteiligung an den Drogengeschäften räumt der 44-Jährige darin zwar ein, bestreitet aber, ein führender Kopf der Gruppe gewesen zu sein. „Ich war kein Boss, der Anweisungen geben konnte, sondern, wie viele andere auch, nur ein Rad in einem Geschäft“, so der Angeklagte.
Er habe lediglich Aufgaben im Bereich der Logistik und „Hausmeistertätigkeiten“ übernommen. So habe er unter anderem die Räume in Reinbek angemietet, die als Umschlagplatz für die Drogen dienten, und eine Scheinfirma gegründet, die angeblich mit Beleuchtungstechnik handelte, „weil das für die Lieferanten besser aussieht“. Zu dem Zeitpunkt habe er eine eigene Firma für Natursteine in Hamburg geführt, die während der Corona-Pandemie in finanzielle Schwierigkeiten geraten sei.
Der Reinbeker bestreitet eine führende Rolle in der Gruppe
„Ich habe mich bereiterklärt, am Import von Betäubungsmitteln aus dem Ausland mitzuwirken und eine Immobilie zur Verfügung zu stellen“, so Y. Dabei habe er gewusst, dass es um Cannabis-Lieferungen im zwei- oder dreistelligen Kilobereich ging, räumte der Reinbeker ein. Er selbst habe pro Lieferung pauschal 1000 Euro bekommen. Auch habe er von einem Kundennetzwerk gewusst, das teilweise bis in die Niederlande gereicht habe. Die Organisation, die Beauftragung der Speditionen und den An- und Verkauf der Drogen hätten jedoch andere übernommen. Namen der Hintermänner wollte der 44-Jährige aber nicht nennen.
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Zu den ausgewerteten Chatprotokollen wollte sich Y. am Mittwoch nicht äußern, auch Nachfragen beantwortete er nicht. Zu einem späteren Zeitpunkt sei aber nicht ausgeschlossen, dass sein Mandant weitere Angaben mache, so Thiel. Der Verteidiger begründete das unter anderem damit, dass ihm ein zweiter Datensatz mit Chatnachrichten noch nicht vorliege.
Verteidigung wollte Aussetzung des Verfahrens erreichen
Laut dem Vorsitzenden Richter Klaus Grammann war es Ermittlern des Bundeskriminalamtes erst im Dezember gelungen, diesen zu entschlüsseln. Es handelt sich demnach um Sprachdateien des Messenger-Dienstes SkyECC, der ebenfalls bei Kriminellen beliebt ist. Bislang liegen demnach nur die Nachrichten vor, die vom Handy des Angeklagten aus versandt wurden, aber nicht die Antworten der Chatpartner.
„Es ist das Recht der Verteidigung und meines Mandanten, vollumfängliche Aktenkenntnis zu haben, um die Verteidigungsstrategie zu entwickeln und auf mögliche Ermittlungsergebnisse reagieren zu können“, sagte Thiel und beantragte erfolglos, das Verfahren deshalb zunächst auszusetzen. Laut Grammann werden die ausgewerteten Daten bis zum kommenden Prozesstag am 24. Januar vorliegen. „Deshalb sehe ich keine Erfordernis einer Verfahrensaussetzung“, so der Vorsitzende Richter.
Ein Urteil möchte das Gericht Ende Januar verkünden
Die Verteidigung ließ indes durchblicken, dass Burak Y. Interesse an einer Verständigung habe. Gegen ein reduziertes Strafmaß könnte der 44-Jährige demnach ein umfassendes Geständnis ablegen. Auch Gericht und Staatsanwaltschaft äußerten zwar grundsätzlich die Bereitschaft zu einem Deal. Zum jetzigen Zeitpunkt sehe die Kammer dafür allerdings keinen Anlass, so der Vorsitzende Grammann. Die bisherigen Einlassungen des Beschuldigten ließen sich „nur schwer mit der Anklage in Einklang bringen“, so der Richter.
Am 24. Januar möchte die Kammer mit der Vernehmung von Zeugen fortfahren. Insgesamt sollen 13 Personen aussagen, darunter Komplizen und Ermittler. Drei Verhandlungstage sind angesetzt, das Urteil soll Ende Januar verkündet werden.