Reinbek. Im 152. Geschäftsjahr überlassen Brigitte und Heinrich Rathmann jetzt ihren Kindern das Ruder. Das wollen die anders machen.
Die Liebe steckt im Detail: Im Ladengeschäft von Feinkost H. Rathmann schien lange die Zeit stehengeblieben zu sein. Das ändert sich gerade. Denn im Januar hat die fünfte Generation des seit 1871 an der Bahnhofstraße ansässigen Feinkostladens die Geschäfte übernommen. Kathrin Rathmann (31) kümmert sich vor allem im Hintergrund um die Zahlen, ihr Mann Oliver Boehmfeld (43) und ihr Bruder Heiko Rathmann (33) werktäglich um die Kunden im Geschäft. Die Seniorchefs Brigitte (70) und Heinrich (68) Rathmann ziehen sich allmählich in die Teilzeit zurück.
Schon im vergangenen Jahr haben die Juniorchefs in einen neuen Terrazzo-Boden investiert. Das neue Herzstück ist aber die große Siebträger-Maschine, die seit vergangener Woche im Laden steht. Ob Espresso, Latte Macchiato, Americano oder Cappuccino: Jetzt schwebt häufig Kaffeeduft durch den Ladenraum. Außerdem haben Oliver Boehmfeld und die Rathmann-Geschwister einen neuen Tresen für den Kaffeeausschank selbst gebaut. „Es ist nicht so einfach, für einen so tollen alten Laden die passende Ausstattung zu finden“, sagt Kathrin Rathmann.
Feinkost Rathmann: Die fünfte Generation übernimmt
Die Juniorchefs haben eine wahre Gründer-Odyssee hinter sich gebracht. Den Entschluss, das Geschäft – ursprünglich zum 150-jährigen Bestehen im September 2021 – zu übernehmen, haben sie eigentlich bereits 2020 gefasst. Doch das Gesundheitsamt machte ihren Plänen, einen Mittagstisch im kleinen Rahmen anzubieten, einen Strich durch die Rechnung.
Die Ausstattung war 40 Jahre alt, hatte bislang Bestandsschutz. Die Übernahme gilt als Neugründung, damit haben die Jungunternehmer auch höhere Auflagen. „Unsere Pläne funktionierten so leider nicht“, sagt Oliver Boehmfeld. „Sogar für einen Sandwichtoaster hätten wir eine Dunstabzugshaube installieren sollen.“
Die Ansagen der Behörden waren für die Juniorchefs erst einmal ein Schlag ins Gesicht. Die Bank wollte den zugesagten Kredit neu kalkulieren, weil sich das Konzept änderte. Und so kam eines zum anderen. Doch das Trio ließ sich nicht entmutigen.
„Wir sind zunächst alles in Halbjahresschritten angegangen“, erzählt Boehmfeld. Zum Jahreswechsel hatten aber alle drei das Gefühl: Jetzt muss etwas passieren. Die Siebträger-Kaffeemaschine wurde geordert. Jetzt gibt es Kaffee, belegte Sandwiches und Bagels zum Mitnehmen, morgens auf dem Weg zum S-Bahnhof. Auf Sitzgelegenheiten haben die Rathmanns verzichtet, es gibt nur zwei Stehtische. Etwa 50.000 Euro haben die Juniorchefs bislang investiert. Eine neue Beleuchtung muss noch warten.
Den Charme bewahren: Sortimentsausbau wird zum Spagat
Nicht nur bei der Ausstattung wollen die frischen Unternehmer den Charme des Traditionsgeschäftes erhalten, auch das Sortiment wollen sie behutsam umbauen: Spezialitäten wie Aufschnitt, Lachs und Schinken, aber auch viele Produkte des täglichen Bedarfs wollen sie weiter anbieten. Andererseits aber Produkte ins Sortiment aufnehmen, die man nur bei Rathmann bekommt.
„Das ist der Spagat“, erläutert Kathrin Rathman. „Wir wollen unsere älteren, treuen Kunden nicht verprellen. Deshalb bleiben auch Obst und Gemüse sowie unser kostenloser Lieferservice am Freitag im nahen Alt-Reinbek.“
Ihr Mann ergänzt: „Trotzdem wollen wir uns für die Zukunft aufstellen, kleine Schätze wie hochwertige Spirituosen, Whiskey – wir sind große Schottland-Fans – Rum und Gin mit anbieten.“ Sehr gut komme der Amaro Montenegro aus Italien an, der 1884 für eine Prinzessin kreiert worden sei. Der feine Likör ersetze mit Eis und Tonic aufgefüllt jeden Aperol. „Das ist das, wo wir hin wollen“, erklärt Oliver Boehmfeld. „Das versuchen wir auch mit dem Kaffee: Die Marke Sunbeam haben wir durch Zufall entdeckt, sie kommt aus der Nähe von Elmshorn.“
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Feinkost als Rundum-Paket in Sachen Service
Beim Weinangebot, dessen Fokus bisher auf Frankreich liegt, haben sie jetzt auch einen deutschen Winzer aus der Pfalz entdeckt: das Weingut Thomas Sippel, ein 350 Jahre altes Familienunternehmen. „Die haben zufällig auch eine Destille“, erzählt Kathrin Rathmann. „Sie produzieren den einzigen deutschen Whiskey, der uns schmeckt.“ Außerdem sollen auch Trüffel und Pralinen sowie das Mest-Marzipan aus Lübeck jetzt ganzjährig ins Sortiment. Neu sind auch Nudeln, Saucen und Pesto.
„Feinkost heißt für uns das Rundum-Paket: die Tasche hinaustragen, mal einen Schinken probieren lassen“, erläutert der 43-Jährige. „Nicht dieses verpackte Chichi, das nur an Souvenirs erinnert.“ Außerdem planen sie kleine Aktionen auf dem Hof für die jungen Familien im Billewinkel, wie Kürbisschnitzen oder das Lichterfest.
Die Seniorchefs sind glücklich mit der Übergabe:
Brigitte und Heinrich Rathmann sind froh über diese Lösung für ihr Rentenalter. „Es wurde Zeit“, stellt die Seniorchefin fest. Sie weiß aus Erfahrung: „Man muss mindestens zu zweit sein, um das zu schaffen.“ Denn was viele nicht ahnen: Die Rathmanns müssen jedes Produkt einzeln beschaffen, zweimal in der Wochen geht es um 6 Uhr morgens zum Großmarkt, einmal in der Woche zum Fischmarkt.
„Es gibt viel Arbeit hinter den Kulissen, nicht wie im Supermarkt, wo die Ware geliefert wird“, weiß der 68-Jährige. Deshalb wollen sie ihre Kinder künftig bei Bedarf und zu den Stoßzeiten freitags und sonnabends unterstützen.
So wie sie früher von ihren Kindern unterstützt wurden. Heiko Rathmann hat bei seinem Vater schon Einzelhandelskaufmann gelernt, kennt die Kunden und das Sortiment aus dem Effeff. Oliver Boehmfeld ist Quereinsteiger aus der Werbe- und aus der Versicherungsbranche. Seine Frau behält erst ihren Job bei Kühne und Nagel in der Luftfracht.
Neues Herzstück ist die neue Espresso- und Kaffeemaschine
Für die Bedienung der neuen Kaffeemaschine haben sie sich alle weitergebildet. Denn jeder Handgriff muss sitzen – das Mahlen der Bohnen, der Wasserdruck, die Menge des Kaffees oder die Temperatur des Wassers: Alles beeinflusst den Geschmack des Kaffees, der doch immer gleich sein soll. Heinrich Rathmann bevorzugt ohnehin Filterkaffee. Obwohl – über einen Espresso Macchiato lasse sich reden.
Wenn das sein Ururgroßvater aus den Vierlanden wüsste. Mit der Kiepe auf dem Rücken hatte der noch die Hamburger Kaufleute im Sommer in ihren Villen in Reinbek und Wentorf beliefert. Doch auch er und seine Nachfahren gingen mit der Zeit: Aus dem Kiepenverkauf wurde ein Ladengeschäft in bester Lage an der Bahnhofstraße.
Rathmanns Onkel Hubert, erinnert sich in seinem Buch „Ich bin ein Reinbeker“ an seine Kindheit im Feinkostgeschäft, das auch die Küche des Schlosses belieferte: „Mit unserem kleinen Handwagen fuhren wir an die Treppe im Nordflügel des Schlosses heran. Der Chefkoch kam zu uns in den Vorratsraum und begutachtete die angelieferten feineren Gemüse, Vierländer Melonen und Erdbeeren.“
Das Gebäude ist dasselbe geblieben. Sogar den alten Eiskeller unter dem Haus gibt es noch. War anno dazumal der Mühlenteich zugefroren, wurden Eisblöcke für den Keller herausgeschlagen. Bis zu einem Jahr hielt es dort Gemüse und Wild frisch. Der Gründer selbst lächelt die Besucher von gerahmten einer Schwarz-Weiß-Fotografie an. Geöffnet ist heutzutage dienstags bis sonnabends von 8.30 bis 12.30 Uhr sowie dienstags bis freitags von 14 bis 18 Uhr.