Wentorf. Polka, Rowan und Sharon helfen Kindern mit und ohne Handicap dabei, sich weiterzuentwickeln. Ein Besuch auf dem Hof lohnt sich.

Unter blühenden Obstbäumen liegt Polka entspannt und genießerisch hingestreckt auf der Koppel. Dass sich das französische Kaltblut in seiner neuen Heimat im „Zentrum für tiergestützte Förderung des Vereins Lerntiere e. V.“ an der Lohe wohlfühlt, versteht jeder Besucher und jedes Kind sofort: Wem würde dieses Idyll nicht gefallen?

Im Hintergrund ist das leise Grunzen der Minischweine Fridolin und Piggeldy zu hören, neugierige Ziegen kommen angetrippelt, und Esel Ole steckt seine Nase jedem entgegen, der ihm eventuell sein weiches Fell kraulen könnte. Verena Neuse, die den Verein Lerntiere an der Wentorfer Lohe ins Leben gerufen hat, ist gerührt, als sie ihre vierbeinige Kollegin Polka dort liegen sieht.

„Wenn sie dort so entspannt liegt, fühlt sie sich wohl“

Therapiepferd Polka erhebt sich, als Verena Neuse zu ihr kommt.
Therapiepferd Polka erhebt sich, als Verena Neuse zu ihr kommt. © Susanne Tamm | Susanne Tamm

„Sie ist als letzte in die Herde gekommen und die rangniederste“, erzählt Verena Neuse über die 18-jährige Stute. „Wenn sie dort so entspannt liegt, fühlt sie sich wohl.“ Das geht nicht nur ihr als Neuzugang unter den Therapie-Pferden so. Das Kaltblut der Rasse Comtois Trait kommt aus dem Tierschutz und hat sich durch seine Engelsgeduld besonders mit Kindern als idealer Partner für die Reittherapie und -pädagogik entpuppt.

„Dabei wirkt es bei der ersten Begegnung überhaupt nicht so“, stellt Verena Neuse fest. Denn Polka legt zuerst stets die Ohren an: Pferdekenner wissen, dass dies eine Warnung ist – jedoch nicht bei Polka. „Ich denke, das reiner Selbstschutz. Das ist so ähnlich wie bei einigen Kindern: Hinter der Drohgebärde versteckt sich ein verletztes Seelchen.“

Tiere können auf dem Hof an der Lohe sie selbst sein

Tatsächlich, die Stute schnuppert vorsichtig mit ihrer großen, grauen Nase und dreht zögernd die Ohren nach vorn. Von Aggression keine Spur. Polka hat die Ruhe weg. Den Tieren geht es auf dem Hof der Lerntiere wie den Menschen: Sie können hier einfach sie selbst sein.

„Reitpädagogik oder Reittherapie haben eigentlich mit dem Reiten nicht direkt etwas zu tun“, räumt Verena Neuse ein. „Es geht viel mehr um das Körpergefühl und die Körperspannung.“ Etwa 15 Kinder, Jugendliche und auch mal junge Erwachsene kommen in der Woche, um im Kontakt und Umgang mit dem Tier innerlich und äußerlich beweglicher zu werden – sei es emotional, sozial oder auch motorisch. Darunter sind auch Kinder mit Down-Syndrom, autistische Kinder oder auch Kinder, die durch Corona in eine depressive Phase gerutscht sind. „Irgendeinen Bedarf haben wir alle“, hat Verena Neuse festgestellt.

Reitpädagogik fördert die Wahrnehmung und Aufmerksamkeit der Teilnehmer

Dabei wirkt auf körperlicher Ebene vor allem die Bewegung des Pferdes anregend, weil sie der natürlichen Gehbewegung des Menschen ähnelt. Psychisch können die großen, warmen Tiere mit dem weichen Fell Blockaden lösen und auch Menschen mit Handicaps zumindest für den Moment in eine andere Welt begleiten. Aber die Tiere von der Koppel holen, putzen und streicheln gehören auch dazu: Das zwanglose Miteinander mit den Vierbeinern erleichtert es zudem oft, auch den Zugang zu anderen Menschen (wieder) zu finden.

„Kinder und Jugendliche spüren hier keinen Druck, sie können einfach sie selbst sein“, erläutert Neuse. „Außerdem haben wir mehr das im Fokus, was unsere Teilnehmer können und nicht das, was sie nicht oder weniger gut können. Und die Ponys interessiert das sowieso nicht, sie haben keine Erwartungshaltung.“ Sowohl Reitpädagogik als auch Reittherapie fördern nach ihrer Erfahrung die Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Motivation der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, unterstützen die Verbesserung der Kommunikations-, Sozial- und Beziehungsfähigkeit.

Kinder zeigen sich auf dem Hof im Umgang mit den Tieren in einem anderen Licht

Die Ziegen unter den Lerntieren sind sehr neugierig und möchten auch einmal gekrault werden.
Die Ziegen unter den Lerntieren sind sehr neugierig und möchten auch einmal gekrault werden. © Susanne Tamm | Susanne Tamm

Die Kinder und Jugendlichen würden sich auf dem Hof im Umgang mit den Tieren zudem häufig in einem anderen Licht zeigen. Ein autistischer Junge etwa, der sehr gern bei den Pferden hilft. „Ich denke, für ihn ist es eine neue Erfahrung, dass er einmal gebraucht wird und sich kümmern darf“, sagt Verena Neuse. Daher sind Mütter und Väter während der reitpädagogischen Gruppen – und wenn möglich auch bei der Reittherapie – nicht dabei.

Die Pferde, Ponys und Esel sind alle ausgeglichen und geduldig. Oft scheinen sie auf Kinder oder beeinträchtigte Menschen Rücksicht zu nehmen. Wie beispielsweise die beiden Halbschwestern Sharon und Rowan, Schottische Highland Ponys. Rowan ist die Chefin der gesamten Herde. Eine Position, die sie sich ganz selbstverständlich und hartnäckig genommen hat. Ihr Vorgänger, Wallach Walter, hatte verdutzt das Nachsehen. Sie dreht jedem Gast zuerst demonstrativ ihr Hinterteil zu. Nicht etwa, um auszuschlagen, nein: Sie will dort ausgiebig gekrault werden.

Die Tiere erleben durch die Pandemie einen Zulauf wie noch nie

Während die Einkünfte aus Neuses „Naturakademie“ mit Weiterbildungen für Führungskräfte-, Team- und Persönlichkeitsentwicklung während der Pandemie völlig zusammengebrochen sind, erleben die Lerntiere einen Zulauf wie noch nie zuvor. So hat sie mehr Zeit, sich dort ehrenamtlich zu engagieren, und der Verein kann sich selbst tragen. Außerdem gibt es auch die Möglichkeit, dass Sponsoren die eine oder andere Förderung eines Kindes übernehmen.

Mehr Informationen gibt es unter www.lerntiere.de. Verena Neuse bittet darum, nicht unangemeldet vorbeizukommen, sondern stets unter 0172/406 29 54 vorher anzurufen, um einen Termin mit ihr zu verabreden.