Hamburg. Innerhalb eines Jahres ist die Zahl um mehr als 60 Prozent gestiegen. Die Lust aufs eigene Ei bringt aber viele Pflichten mit sich.

Wenn Jörg Harengerd sich im Garten seines Hauses in Ohlstedt auf die Bank setzt, springen Paula oder Anna ihm schon mal auf den Schoß. „Die sind zutraulich“, sagt der 49-Jährige über seine hübschen Sussex-Hühner, die er seit einigen Monaten hält. Während des Lockdowns im Frühjahr, als Harengerd als Centermanager der Europa Passage etwas mehr Muße als in „normalen“ Zeiten hatte, verfolgte er seine schon länger gereifte Idee von eigenen Hühnern. Mit Nachdruck.

Er informierte sich über geeignete Rassen, las sich Wissen über die Bedürfnisse der Tiere an. Dann zogen drei Hühner bei ihm ein. Seit Juni wird im Garten der Hamburger Familie nun gegackert und gepickt. „Das war eine tolle Entscheidung“, sagt Harengerd heute.

Mini-Bauernhof im eigenen Garten der Metropole Hamburg

Ein Leben in der Metropole hält die Menschen offenbar nicht davon ab, auf einen Mini-Bauernhof im eigenen Garten zu setzen. Sie wollen sich bewusst ernähren und wissen, woher ihre Lebensmittel kommen. Viele Großstädter züchten Tomaten, legen sich Beete mit Gurken an oder ernten ihre eigenen Kräuter. Urban Gardening, das Gärtnern in der Stadt, wird immer beliebter. Aber auch die eigenen Eierproduzenten gehören für viele Cityfarmer dazu, sie wollen eine Alternative zur Massentierhaltung und sich nicht mehr mit Berichten über Arzneimittelrückstände in Eiern belasten.

Derzeit sind in Hamburg 1241 Hühnerhalter registriert, heißt es von der Justizbehörde. Zehn oder weniger Tiere leben bei 953 Haltern. 219 Halter kümmern sich um etwas größere Bestände mit maximal 25 Hühnern. „Hierbei gehen wir von Haltungen zu reinen Hobby- und Liebhaberzwecken aus“, heißt es über das Landleben in der Stadt. Der Bestand hat in Zeiten von Corona zugelegt. Vor allem die Zahl der sogenannten Kleinsthaltungen hat in den vergangenen Monaten zugenommen. Zum Vergleich: 2019 waren in Hamburg erst 744 Hühnerhalter registriert. Setzt man diese Zahl in Relation zur aktuellen, so ergibt sich ein Plus von mehr als 60 Prozent.

Für Jörg Harengerd „lohnen“ sich die Hühner gleich in mehrfacher Hinsicht. „Es ist schön, sich um die Tiere zu kümmern“, sagt der gebürtige Osnabrücker, ihnen mit ein paar getrockneten Mehlwürmern das „Highlight des Tages“ zu bringen. Aber auch, sich selbst und die Nachbarn mit Eiern zu versorgen. Und zu sehen, wie der eigene Nachwuchs sich mit dem Thema beschäftigt. „Mein Sohn hat sogar ein Logo für die Eier entworfen“, freut sich Harengerd über das Engagement seines Achtjährigen für Paula und ihre Kolleginnen.

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Das Federvieh bringt Freude, nicht nur mit dem frischen Frühstücksei. Die Halter müssen zugleich aber auch etliche Regeln bei ihrem Landwirtschaftsprojekt befolgen. Wer Geflügel privat im Garten halten möchte, muss die Tiere zunächst bei der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV) melden. Natürlich geht auch bei Hühnern die Liebe durch den Magen.

„Früh etwas Legemehl, wo alles drin ist, was ein Huhn braucht, und am späten Nachmittag eine Ration Körner. Damit bleiben sie fit und gesund – und da braucht man nicht viel zu tun“, sagt der Präsident des Bundes Deutscher Rassegeflügelzüchter, Christoph Günzel, über die Anforderungen der Tiere. Schön sei natürlich auch, ergänzt Günzel, wenn die Hühner reichlich Auslauf im Grünen haben. Als Schutz vor Raubwild wie Marder oder Fuchs brauchten sie außerdem einen Stall und „ordentliche Legenester“.

Geflügelhalter sollten sich zudem Fachwissen zum Stallbau, zum Auslauf oder den Lichtverhältnissen aneignen, heißt es von den Rassegeflügelzüchtern, die sich bundesweit in 4500 Vereinen zusammengeschlossen haben. Nicht nur in Hamburg, auch in ganz Deutschland wächst die Zahl der Hühner in privaten Gärten, bestätigen die Züchter. „Das merken wir am Ringvertrieb“, sagt Präsident Christoph Günzel. Die Ringe seien wie ein Personalausweis für die Tiere. Damit lässt sich zum Beispiel nachvollziehen, von welchem Züchter ein Huhn stammt. Mehr Ringe – das bedeute, dass mehr neue Züchter dazu kämen und es mehr Tiere gebe, so Günzel.

Geflügelzuchtvereine profitieren vom Hühner-Hype

Profitieren können die Geflügelzuchtvereine vom Hühner-Hype bisher aber nur begrenzt. Einige Hobbyhalter werden zwar Mitglieder, sind aber im Vereinsleben wenig aktiv. Dass die Entwicklung hin zu mehr privaten Eierlegern groß mit Corona zusammenhänge, glaubt Günzel zwar nicht. „Aber es kann schon sein, dass manche das als Abwechslung sehen.“ Es sei ein sinnvolles Hobby. Sogar etwas fürs Auge bieten die Vögel, wenn es die richtige Rasse ist. „Wir haben die Sussex-Hühner gewählt, weil sie schwarze, sehr elegante Tiere sind“, begründet Harengerd seine Entscheidung. Anfangs hätten die drei tierischen Kolleginnen in einer WG-Probezeit unter Beweis stellen müssen, dass sie zusammenpassen. „Ab fünf Hühnern braucht man auch einen Hahn, sonst werden sie zickig“, weiß Harengerd.

Übrigens sind die Anschaffungskosten überschaubar: Zehn Euro kostet ein Huhn, sagt der 49-Jährige, der seine Tiere bei einem Geflügelhändler in Harburg abgeholt hat. Abends nutzen sie nun eine Art Hühnerklappe, um zu ihren Schlafstangen im Stall zu kommen, tagsüber brauchen sie eine gemütliche Legemöglichkeit im Stroh für die Eier. „Wir haben sie mit 18 Wochen bekommen, ab der 20. Woche legen sie Eier“, sagt Harengerd. „Und beim ersten Mal war das Huhn selber überrascht“, erinnert sich der Halter an die Premiere.

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So befriedigend es sein kann, jeden Tag frische Eier aus dem Stall holen zu können, so besorgniserregend sind die wiederkehrenden Fälle von Geflügelpest für die Halter. Derzeit muss die Menschheit nicht nur weltweit das Coronavirus bekämpfen, auch das Influenzavirus Typ A/H5N1 hält die Natur in Atem. Nachdem die Geflügelpest mittlerweile bei einer Reihe von in Hamburg gefundenen Wildvögeln nachgewiesen werden konnte, haben die Bezirke nun auch für Geflügel eine Art Ausgangssperre angeordnet.

Mit der Regelung soll verhindert werden, dass die Vogelgrippe auf weitere Tierbestände übergreift. Die Stallpflicht gilt seit dem 11. November, damit darf auch Hausgeflügel aus ganz Hamburg nicht mehr ins Freie. Für Harengerd bedeuten die Bestimmungen, die auch etliche Hygieneregeln umfassen, zwar mehr Aufwand. Aber noch immer verbringt der Manager wegen der Corona-Pandemie jede zweite Woche im Homeoffice. Damit hat er auch mehr Zeit für seine Tiere, die ihm die Mühe danken: Jedes Huhn legt täglich ein Ei, freut sich Harengerd. „Und die schmecken wirklich viel besser als die aus dem Supermarkt“.