Reinbek. 38-Jähriger hatte einen Fußgänger im Wald mit seinem BMW erfasst und getötet. Witwe des Opfers sorgt im Gerichtssaal für Eklat.

Swetlana V. (alle Namen geändert) wirkt gefasst, als sie den Verhandlungssaal im Amtsgericht Reinbek betritt. Es ist der Moment, in dem die Bergedorferin erstmals auf Amid H. trifft, der die Schuld am Tod ihres Mannes trägt. Der 38-Jährige hat sein schwarzes, mittellanges Haar zurückgegelt, er trägt ein schwarzes Jackett. Mit versteinerter Miene nimmt H. auf der Anklagebank neben seinem Verteidiger Platz.

Die Staatsanwaltschaft wirft Amid H. fahrlässige Tötung und unerlaubtes Entfernen vom Unfallort vor (Az.: 780 Js 889/20). Mit seinem BMW soll er einen 42-Jährigen am späten Abend des 21. Dezember 2019 in Reinbek erfasst haben. Aleksander V. starb noch an der Unfallstelle. „Der Angeklagte fuhr gegen 21.25 Uhr auf der Hamburger Straße in Richtung Reinbeker Redder“, sagt Staatsanwalt Florian Büchmann.

Das Opfer sei mit seiner Ehefrau und einem befreundeten Paar zu Fuß auf dem Seitenstreifen unterwegs gewesen. Am Unfallort trennt nur eine weiße Linie den ebenerdigen Seitenstreifen von der Fahrbahn ab. An der Stelle führt die Straße durch ein Waldstück, ist unbeleuchtet.

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„Der Angeklagte ist mit seinem Fahrzeug nach rechts von der Fahrbahn abgekommen und hat das Opfer mit seinem Wagen von hinten erfasst“, sagt Büchmann. Aleksander V. sei in einen nahen Straßengraben geschleudert worden, wo der 42-Jährige seinen schweren Verletzungen erlag. „Obwohl der Angeklagte einen lauten Knall hörte und nicht ausschließen konnte, dass ein Mensch zu Schaden gekommen war, setzte er seine Fahrt fort“, so der Staatsanwalt.

Das Auto des 38-Jährigen war erst am Folgetag an der Wohnanschrift des Mannes in Wentorf gefunden worden, einem Zeugen war der BMW zuvor aufgefallen, weil er Unfallspuren aufwies.

Gutachter: Unfall wäre vermeidbar gewesen

„Sie haben einen Menschen zum Sterben zurückgelassen. Sie werden für den Rest ihres Lebens mit dieser Schuld leben müssen“, sagt Richterin Silke Lindberg zum Angeklagten.
„Sie haben einen Menschen zum Sterben zurückgelassen. Sie werden für den Rest ihres Lebens mit dieser Schuld leben müssen“, sagt Richterin Silke Lindberg zum Angeklagten. © HA | Filip Schwen

„Wir waren auf dem Rückweg von einem Bowlingabend“, erinnert sich ein Bekannter. „Wir hatten den Bus nach Bergedorf verpasst, deshalb sind wir von Reinbek zu Fuß nach Hause gegangen“, so der 49-Jährige. „Aleksander ging einige Schritte hinter mir.“ Da habe er einen lauten Knall gehört, ein Auto sei vorbeigerast. „Ich habe mich umgedreht, konnte Aleksander nicht mehr sehen“, sagt er. Wenig später habe er seinen Bekannten im Graben liegend gefunden, um den Kopf eine Blutlache.

Amid H. hatte laut Staatsanwaltschaft gegenüber der Polizei eingeräumt, an jenem Abend am Unfallort gewesen zu sein. Er sei jedoch davon ausgegangen, dass ein Ast das Geräusch des Aufpralls verursacht habe. Zudem gab der 38-Jährige laut Anklagebehörde gegenüber den Beamten an, sich gebückt zu haben, um sein Handy aufzuheben, das von der Mittelkonsole in den Fußraum der Beifahrerseite gefallen war. Dabei sei er von der Fahrbahn abgekommen.

Todesursache war ein Schädel-Hirn-Trauma

Vor Gericht bestreitet H. diese Aussage. „Das Handy ist runtergefallen, aber ich habe nicht danach gegriffen“, sagt er. Die Angaben werden von einer Dolmetscherin übersetzt. Die deutsche Sprache beherrscht H., der 2015 aus Afghanistan flüchtete, kaum. „Es war stockdunkel“, beteuert er und betont immer wieder, er habe nach dem Knall „unter Schock“ gestanden. Er sei davon ausgegangen, ein Ast sei auf sein Auto gefallen.

Um den Unfallhergang zu rekonstruieren, hat das Gericht zwei Sachverständige bestellt. „Es ist davon auszugehen, dass das Fahrzeug das Opfer im Bereich der Beine erfasst hat“, sagt ein Rechtsmediziner der Universitätsklinik Lübeck. Anschließend sei Aleksander V. zweimal mit dem Kopf auf den BMW aufgeschlagen, bevor er in den Graben geschleudert worden sei.

Darauf deuteten die Verletzungen des 42-Jährigen und die Schäden an dem Auto hin. „Todesursache war ein Schädel-Hirn-Trauma“, erklärt der Rechtsmediziner. Ein Gutachter der DEKRA kommt zu dem Schluss: „Aus 40 Meter Entfernung wäre ein Fußgänger trotz der Dunkelheit erkennbar gewesen. Bei aufmerksamem Fahrverhalten wäre der Unfall vermeidbar gewesen.“

Angeklagter zeigt keine emotionale Regung

Die Unfallstelle an der Hamburger Straße liegt in einem Waldstück zwischen Reinbek und Lohbrügge.
Die Unfallstelle an der Hamburger Straße liegt in einem Waldstück zwischen Reinbek und Lohbrügge. © Michael Arning | Michael Arning

Der Angeklagte zeigt keine emotionale Regung. Er meldet sich aber erneut zu Wort und beteuert: „Wenn ich einen Moment meines Lebens rückgängig machen könnte, wäre es dieser.“ Er könne nur erahnen, welchen Schmerz die Familie des Opfers empfinde.

Er sei seit dem Unfall in psychiatrischer Behandlung, leide unter Depressionen und habe darüber nachgedacht, sich das Leben zu nehmen. In diesem Moment kommt es zum Eklat: „Hätten Sie es bloß getan“, ruft die Witwe des 42-Jährigen, die in dem Verfahren als Nebenklägerin auftritt, und schiebt hinterher: „Ich hasse Sie!“ Erst nach einer Intervention von Richterin Silke Lindberg beruhigt sich die Frau.

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Die Richterin verurteilt Amid H. zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten, außerdem verliert er seinen Führerschein. Das Gericht folgt damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die Nebenklage forderte zwei Jahre Bewährung, die Verteidigung sechs Monate. „Wir haben es mit einem Moment schrecklichen Augenblicksversagens zu tun, der das Leben zweier Familien auf furchtbare Weise für immer verändert hat“, sagt Lindberg.

Das Gericht gehe davon aus, dass der 38-Jährige die Möglichkeit, eine Person erfasst zu haben, durchaus erwogen habe. „Sie sind weitergefahren und haben einen Menschen zum Sterben zurückgelassen“, sagt die Richterin. „Sie werden für den Rest ihres Lebens mit dieser Schuld leben müssen.“ Der 38-Jährige kann gegen das Urteil Rechtsmittel einlegen.