Ein 19-Jähriger erfasste im März 2013 auf der Möllner Landstraße in Glinde eine Rentnerin. Sie starb an den Folgen des Unfalls. Der Todesfahrer war viel zu schnell unterwegs.
Glinde. Seine Gesichtszüge scheinen wie eingemeißelt. Yusuf B. verzieht keine Miene an diesem Vormittag. Es ist dem Glinder anzumerken, wie sehr ihn die Geschehnisse am Abend des 22. März dieses Jahres immer noch belasten. Es war ein Freitag. Und es war der Tag, der sein Leben veränderte: Mit mindestens 75 km/h, so bestätigt es der Gutachter der Dekra, erfasste der 19-Jährige gegen 19.30 Uhr innerorts auf der Möllner Landstraße am Glinder Berg eine 74 Jahre alte Frau. Der Aufprall war so stark, dass die Windschutzscheibe zerbrach. Die Rentnerin starb nur wenig später an den Folgen des Unfalls. Deshalb muss sich der junge Mann mit den schwarzen Haaren, der damals in einem VW Polo als Aushilfe für einen Croque-Lieferservice unterwegs war, jetzt vor dem Amtsgericht Reinbek wegen fahrlässiger Tötung verantworten.
Zum Sohn des Opfers, der ihm als Nebenkläger nur wenige Meter entfernt gegenüber sitzt, sagt er leise: „Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen, es gibt aber keine Wiedergutmachung. Ich spreche Ihnen im Namen der ganzen Familie mein Beileid aus.“ Warum er so schnell unterwegs gewesen sei, begründet Yusuf S. mit einem Streit wenige Stunden zuvor in der Wohnung der Eltern. Vater und Mutter hätten ihm vorgeworfen, nicht mit Geld umgehen zu können. Er sei in Gedanken noch bei der Auseinandersetzung gewesen.
Als der Gutachter einige der 20 Befunde des Opfers aufzählt, darunter die zahlreichen Knochenbrüche am ganzen Körper, sucht der Angeklagte den Blickkontakt zum Sohn des Opfers. Der hegt keine Rachegefühle. Sein Mandant wolle mehr über den Menschen wissen, der ihm seine Mutter genommen habe, sagt Ralf Pagels, der Anwalt der Nebenklage.
Der Dekra-Experte berichtet von einem 45 Meter langen Splitterfeld und von Joghurtspritzspuren am Tatort. Er sagt: „Das Unfallgeschehen wäre für den Angeklagten bei Tempo 50 vermeidbar gewesen, allerdings auch für das Opfer.“ Trotz der überhöhten Geschwindigkeit hätte die Rentnerin das Auto im Sichtfeld haben müssen. Warum die Frau nicht die naheliegende Ampel zum Überqueren der Straße genutzt hat, kann sich auch der Sohn nicht erklären. „Die Gefährlichkeit der Straße war oft Gesprächsthema. Meine Mutter war ein vorsichtiger und ängstlicher Mensch“, sagt er.
Yusuf B. leidet laut eigener Aussage seit der Tragödie an Schlafstörungen, hat die Lehre zum Elektroniker geschmissen und den Nebenjob beim Croque-Lieferservice an den Nagel gehängt. Den Unfallort umfahre er noch heute. Inzwischen arbeite er wieder 60 Stunden pro Monat, im Lager der Firma seines Onkels. Seine Bemühungen, einen neuen Ausbildungsplatz zu finden, seien bisher vergebens gewesen. Verteidiger Rolf-Peter Meinecke sagt später in seinem Plädoyer: „Mein Mandant hat zum Ausdruck gebracht, dass er zu seiner Verantwortung steht und sie übernehmen wird.“ Er fordert die Anwendung des Jugendstrafrechts, da Yusuf B. unter anderem finanziell noch nicht unabhängig sei, bei den Eltern wohne und sich ein Zimmer mit zwei jüngeren Brüdern teile.
Staatsanwältin Laura Martens sieht das genauso. Sie strebt eine deutliche Arbeitsauflage samt Geldzahlung für den 19-Jährigen an. Zudem soll er den Führerschein für zwei Jahre verlieren. Martens: „Der junge Mann muss damit leben, einen Menschen zu Tode gefahren zu haben. Das ist eine Last.“ Die Richterin sieht in ihrem Urteil von einem Führerscheinentzug ab, spricht Yusuf B. aber im Sinne der Anklage schuldig. Der Glinder muss 150 gemeinnützige Stunden leisten, die davon profitierende Organisation zahlt 975 Euro an die Hinterbliebenen für die Bestattungskosten. Zudem wird an fünf Beratungsstunden im Gemeinschaftszentrum Sönke-Nissen-Park-Stiftung teilnehmen und trägt die Kosten des Verfahrens: rund 3000 Euro. Verteidiger Meinecke: „Was die Folgen des Unfalls betrifft, ist das Urteil milde.“