Ahrensburg/Reinbek. Von Senioren verursachte Unfälle werfen Fragen auf. Wenn ein Gerichtsverfahren läuft, kann die zuständige Behörde nichts ausrichten.

Eine kleine Unachtsamkeit, schon ist es passiert. Jeder Autofahrer kennt diese Situationen, in denen es zu einem Verkehrsunfall kommt – oder fast gekommen wäre. Doch ab wann ist jemand nicht mehr in der Lage, ein Auto zu lenken? Und wer entscheidet das?

Es sind Fragen, die immer wieder auftauchen, wenn Menschen bei Unfällen sterben, weil Autofahrer wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen in ganz gewöhnlichen Situation überfordert sind. Am Donnerstag ist eine Reinbekerin gestorben, weil ihr 85 Jahre alter Ehemann beim Ausparken die Kontrolle über seinen Toyota verlor. Zunächst rammte er ein anderes Auto, rangierte weiter und fuhr gegen seine Frau, die ihm Anweisungen gab. Die Frau stürzte und zog sich dabei schwere Kopfverletzungen zu. Die 82-Jährige starb im Krankenhaus.

Vom Infobrief bis zum Gutachten

Die Kreisverkehrsbehörde hat im Jahr 2016 elf Infoschreiben an Senioren in Stormarn verschickt. Darin werden die Autofahrer aufgefordert, selbstkritisch zu überprüfen, inwieweit sie noch in der Lage sind, ein Fahrzeug zu führen.

In 40 Fällen wurde eine hausärztliche Untersuchung gefordert. 14 Autofahrer gaben in dem Verfahren freiwillig den Führerschein ab.

In 14 Fällen wurden Gutachten durch einen Facharzt angeordnet, in drei Fällen verlangte die Behörde ein praktische Überprüfung. Zwölf der 17 betroffenen Senioren verloren ihre Fahrerlaubnis. dob

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Ebenfalls am Donnerstag musste sich ein 76 Jahre alter Mann aus Großhansdorf vor dem Amtsgericht in Ahrensburg wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Der Senior hatte im Januar 2016 auf dem Famila-Parkplatz in Ahrensburg Gas und Bremse in seinem Toyota vertauscht und einen Fußgänger angefahren. Das Opfer (81) stürzte und zog sich schwere Kopfverletzungen zu, die tödlich waren.

76-Jähriger rammt beim Wegfahren Auto und Findling

Nachdem die Polizei den Unfall aufgenommen hatte, gab der Großhansdorfer an, fahrtüchtig zu sein. Als er wegfahren wollte, rammte er jedoch noch ein anderes Auto und einen Findling. Die Beamten verboten daraufhin die Weiterfahrt. Der Führerschein wurde jedoch nicht beschlagnahmt.

Dirk Willhoeft (43) ist Fachdienstleiter Straßen und Verkehr im  Kreis Stormarn
Dirk Willhoeft (43) ist Fachdienstleiter Straßen und Verkehr im Kreis Stormarn © Dorothea Benedikt

Die Verkehrsbehörde des Kreises Stormarn bekam eine Mitteilung. Das Amt ist berechtigt, den Führerschein einzuziehen. „Ein hohes Alter reicht aber nicht als Begründung“, sagt Dirk Willhoeft, Fachdienstleiter Straßenverkehrsangelegenheiten beim Kreis.

Gelegentlich melden sich auch Verwandte bei der Behörde und bitten darum, beispielsweise der Großmutter den Führerschein zu entziehen, da sie unsicher fahre. „Das reicht natürlich nicht, um jemanden die Fahrerlaubnis zu entziehen“, sagt Willhoeft. Dennoch reagiert die Behörde. „Wir verschicken ein Infoschreiben, indem wir den Autofahrer auffordern, selbstkritisch zu überprüfen, inwieweit man noch in der Lage sei, ein Fahrzeug zu führen.“ Ein solcher Brief wird in der Regel auch verschickt, wenn die Polizei nach kleineren Unfällen eine Mitteilung macht.

Erst wenn erhebliche Zweifel an der Verkehrstauglichkeit wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen bestehen, wird eine Überprüfung angeordnet. „Zunächst bitten wir den Betroffenen, seine Fahrtauglichkeit beim Hausarzt zu überprüfen“, sagt Willhoeft.

Hat auch der Mediziner Zweifel oder kommt der Betroffene dieser Aufforderung nicht nach, wird ein Facharzt eingeschaltet, um ein Gutachten über die Verkehrstauglichkeit zu erstellen. Kommt dieser Mediziner zu einem negativen Ergebnis, zieht die Behörde die Fahrerlaubnis ein.

Neben dem medizinischen Gutachten kann der Kreis auch eine praktische Prüfung mit einem Fahrlehrer anordnen. Stellt der Experte fest, dass der Betroffene eine Gefahr im Straßenverkehr darstellt, kann die Behörde ebenfalls den Führerschein einziehen.

Doch warum wurde die Straßenverkehrsbehörde nicht bei dem Rentner aktiv, der auf dem Famila-Parkplatz in Ahrensburg einen Menschen überfahren hat? „Da sind uns die Hände gebunden“, sagt Willhoeft. Wenn ein Strafverfahren anhängig ist, in dem ein Richter über die Fahrtauglichkeit entscheiden könnte, dürfe die Verkehrsbehörde nichts anordnen (§3, Abs.3 StVG).

Richter tun sich schwer, da es ein „Grundrechtseingriff“ ist

Der Gesetzgeber möchte eine Doppelbestrafung verhindern. Erst wenn das Verfahren eingestellt wird oder das Gericht die Fahrerlaubnis nicht entzieht, kann die Verkehrsbehörde aktiv werden. In dem Ahrensburger Fall hat die Richterin dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen. Allerdings verging bis zur Verhandlung rund ein Jahr. Solange hätte der Senior weiterhin Auto fahren dürfen.

„Rechtlich besteht die Möglichkeit, auch vor der Verhandlung die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen“, sagt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Lübeck, Ulla Hingst. Die Anklagebehörde muss aber Beweise dafür vorlegen, dass der Führerschein mit höchster Wahrscheinlichkeit in der Hauptverhandlung auch entzogen wird (§111a StPO). Auch hier gelte Unachtsamkeit nicht als dringender Tatverdacht.

Im aktuellen Unfall in Reinbek hat die Staatsanwaltschaft einen Dekra-Gutachter bestellt, der den genauen Unfallhergang rekonstruieren soll. Kommt der Experte zu dem Ergebnis, dass der Unfall mit körperlichen Mängeln zu begründen ist, könne die Fahrerlaubnis entzogen werden. „Diesen Antrag können wir jederzeit während der Ermittlungen bei Gericht stellen“, so Hingst.

Dass sich Richter schwer tun, vor der Verhandlung jemandem wegen mutmaßlicher körperlicher oder geistiger Gebrechen den Führerschein abzunehmen, liegt daran, dass „eine Grundrechtseingriff“ vorliegt, erklärt Ulrich Fieber, Direktor des Amtsgerichts in Reinbek: „Wir als Richter müssen davon überzeugt sein, dass eine Verurteilung sehr wahrscheinlich ist und dass mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auch die Fahrerlaubnis entzogen wird.“

Bei körperlichen oder geistigen Gebrechen sei dies besonders schwierig, wenn nicht gerade Demenz vorliege oder der Fahrer nahezu blind sei, so Fieber. Ferner möchte sich ein Richter oft selbst von den Gebrechen in der Verhandlung überzeugen. Einfacher ist es bei sogenannten Katalogtaten, wie der Richter sie nennt. Denn das Gesetz (§69 StGB) regelt, dass bei Fahrerflucht nach einem Unfall, bei dem Menschen verletzt wurden, oder bei Drogenkonsum oder Trunkenheit der Führerschein zu entziehen ist. Bei Alkoholkontrollen ist die Polizei dazu berechtigt, den Führerschein zu beschlagnahmen. Anschließend entzieht ein Richter diesen. Der Beweis ist in der Regel eine Blutprobe.

Fahrlässige Tötungen beispielsweise nach Ausparkunfällen gehören nicht zu diesen Katalogtaten, wie Fieber sie nennt. Deswegen werden Anträge von der Staatsanwaltschaft, schon vor der Hauptverhandlung den Führerschein zu entziehen, so gut wie nie gestellt. Zumindest hat es Ulrich Fieber in seiner Zeit als Richter nicht erlebt.