Bargteheide/Hamburg. Ingo Naefcke fehlte ein Ort in Hamburg, um historische Straßenbahnen zu erkunden. Also kaufte er kurzerhand selbst eine.

Als vor einiger Zeit eine Rundfunk-Reporterin Ingo Naefcke und seine Frau Johanna besuchte und der Geschichte des Paares lauschte, da sagte sie, im positivsten Sinne: „Ihr seid doch bescheuert.“ Denn es ist wirklich kurios, was die beiden in den vergangenen Jahren auf die Beine gestellt haben. Mitten im Rewe-Parkhaus am Krohnskamp 31 in Hamburg Winterhude haben der 83-Jährige und seine Frau ein Kleinod geschaffen. Seit 2016 steht dort die historische Straßenbahn V7E 3363 von 1957, die einst durch Hamburg fuhr und heute besichtigt werden kann. Fast wäre es das Schicksal des besonderen Fahrzeuges gewesen, in einem Wald bei Hannover zu verrotten. Doch das ließen die Eheleute nicht zu – und kauften es kurzerhand.

Ingo Naefcke war bis zu seinem Ruhestand Busfahrer bei der Hamburger Hochbahn

„Hamburg hat kein Nahverkehrsmuseum“, sagt Naefcke, der gebürtig aus der Hansestadt stammt und mittlerweile in Bargteheide lebt. Genau das bedauerte er aber, zieht sich doch Nahverkehr durch sein Leben wie ein roter Faden. 1963 fing Naefcke als Schaffner bei der Hochbahn an, wurde dann Busfahrer. „Ich bin jede Strecke durch Hamburg gefahren“, sagt der Pensionär. All die Jahre und Jahrzehnte habe er seinen Beruf mit Spaß und Leidenschaft ausgeführt. Naefcke: „Als Busfahrer erlebt man hautnah mit, wie eine Stadt lebt und atmet, wie sie morgens zum Leben erwacht und nachts wieder schläft oder eben auch nicht.“ Unzählige Menschen hat der gebürtige Hamburger von A nach B gefahren und dabei Kurioses und auch Tragisches erlebt, etwa Unfälle, bei denen auch Personen zu Schaden kamen. Trotz allem hat er seinen Beruf geliebt, trotz allem überwiegen die schönen Erinnerungen.

So sah die ramponierte Straßenbahn aus, bevor Ingo und Johanna Naefcke sie restaurierten.
So sah die ramponierte Straßenbahn aus, bevor Ingo und Johanna Naefcke sie restaurierten. © Privat

Einen Wermutstropfen gibt es da aber doch: Während seiner gesamten beruflichen Laufbahn ist Naefcke kaum Straßenbahn gefahren. Denn 1958 entschied der Hamburger Senat zugunsten des Autoverkehrs, die Straßenbahnen aus der Stadt zu verbannen und durch Busse zu ersetzen, was 1978 umgesetzt wurde. Dabei übten gerade Straßenbahnen seit jüngster Kindheit eine ganz besondere Faszination auf Naefcke aus: „Schon als ich noch im Kinderwagen saß, bekam ich große Augen, wenn mal eine Straßenbahn vorbeifuhr“, sagt er. Genau das motivierte ihn auch, seine Faszination besonders für historische Straßenbahnen auch anderen Menschen nahezubringen.

2015 rettete das Ehepaar die historische Straßenbahn vor der Verschrottung

2015 rettete er gemeinsam mit seiner Frau Johanna besagte Straßenbahn des Typs V7E 3363 aus Wehmingen bei Hannover, nahm es dem dortigen Straßenbahn-Museum ab und rettete das gute Stück vor dem Verschrotten. Dafür griff das Ehepaar tief in die eigene Tasche. Transport und Aufbereitung der Straßenbahn gestalteten sich schwierig. „Ein Dreivierteljahr haben wir geackert“, sagt das Ehepaar. Naefckes Frau Johanna stand ihrem Straßenbahn-Enthusiasten stets zur Seite, er hat sie mittlerweile mit seiner Begeisterung angesteckt. Doch: „Als wir uns kennenlernten, wusste ich kaum, was eine Straßenbahn ist“, sagt die 73-Jährige. Johanna Naefcke kommt gebürtig aus Holland, kannte von dort keine Straßenbahnen. Doch: „Mit gehangen, mit gefangen“, sagt sie und unterstützt ihren Mann, wie sie nur kann.

Monatelang hat das Ehepaar die Straßenbahn mit Helfern wieder flott gemacht.
Monatelang hat das Ehepaar die Straßenbahn mit Helfern wieder flott gemacht. © Privat

Mit einem Tieflader wurde die Bahn vor sieben Jahren aus dem Wald geschafft. Obgleich ihnen einige Unterstützer zur Seite standen, das meiste hat das Ehepaar selbst gemacht. Er wurde gewerkelt und getüftelt, gesägt, geschraubt und lackiert. 22 Mal fuhr das Paar nach Wehmingen, um an der Straßenbahn zu arbeiten. Auch im tiefsten Winter bei Schneefall machten sie weiter, weil die Zeit drängte. Im April 2016 war es dann soweit: Die Straßenbahn wurde zurück nach Hamburg gebracht – und zwar nicht irgendwohin, sondern dorthin, wo sich einst der ehemalige Straßenbahn-Betriebshof von 1927 befand. Im heutigen Parkhaus des Rewe-Centers in der Dorotheenstraße 116 am Krohnskamp ist die Straßenbahn nun als begehbares Museumsstück fest installiert.

Jeden Mittwoch und Sonnabend führt das Ehepaar interessierte Gäste durch die Straßenbahn

Zweimal in der Woche sind Johanna und Ingo Naefcke vor Ort, um interessierte Besucherinnen und Besucher in die Welt der historischen Straßenbahn zu entführen. Wer in den Wagen, der übrigens auf einem Stück echter Schienen steht, einsteigt, der erlebt Geschichte zum Anfassen. Liebevoll und bei Bedarf auch kindgerecht zeigen und erklären die Eheleute alles, was es in der historischen Bahn so zu entdecken gibt. Wer sich traut, darf sich auch selbst einmal ins Führerhäuschen setzen, die Klingel betätigen, an der Anzeige die richtige Endhaltestelle einstellen und bei einem „Fahrgast“ – diese Rolle spielt Johanna Naefcke hervorragend – eine Fahrkarte ausstellen.

Ingo Naefckes Herz schlägt für Straßenbahnen, seit er denken kann.
Ingo Naefckes Herz schlägt für Straßenbahnen, seit er denken kann. © Juliane Minow

Die Straßenbahn verfügt über 31 Sitz- und 78 Stehplätze. Schon damals wies ein Schild, ähnlich wie heute, darauf hin, dass Schwarzfahrer nichts zu lachen haben und eine Strafe von 20 Mark zahlen müssen. Und noch ein Schild dürfte Menschen, die regelmäßig mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, bekannt vorkommen „Bitte während der Fahrt nicht mit dem Fahrer sprechen“. Manches ändert sich anscheinend nie. Übrigens: V7E 3363, dieser Name kommt nicht von ungefähr. Das V steht für Vierachser, die 7 ist die Seriennummer und das E bedeutet „Einmann“. 1957 in Salzgitter-Watenstedt gebaut, war die Bahn eines von 40 Fahrzeugen, das die Hamburger Hochbahn seinerzeit nachbestellt hatte. Nach 19 Dienstjahren war 1976 auf den Hamburger Schienen Schluss für die Straßenbahn. Das Straßenbahnmuseum Wehmingen erwarb das gute Stück, doch beim Transport gab es einen Unfall. Das ramponierte Fahrzeug wurde im Wald abgestellt, wo es für 40 Jahre blieb.

Das Projekt finanziert sich komplett durch die Spenden von Gästen

Das und mehr erfahren Besucherinnen und Besucher, die der alten Straßenbahn im Winterhuder Rewe-Parkhaus einen Besuch abstatten. „Mehrere Tausend haben das in den vergangenen Jahren gemacht und Spenden dagelassen“, sagt Ingo Naefcke. Darauf ist das Ehepaar auch angewiesen. Denn das gesamte Projekt finanziert sich durch Spenden. Ingo und Johanna Naefcke machen alles komplett auf eigene Faust, kein Verein oder ähnliches steht hinter ihnen. Jeden Mittwoch von 13.30 bis 16.30 und jeden Sonnabend von 9 bis 17 Uhr ist das Ehepaar vor Ort. Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten.

Waltraud Scheiböck (l.) und Susanne Wagner sahen sich die historische Straßenbahn an.
Waltraud Scheiböck (l.) und Susanne Wagner sahen sich die historische Straßenbahn an. © Juliane Minow

Zwei Gäste, die an diesem Tag die Straßenbahn betreten, sind Susanne Wagner aus Winterhude und ihre Schwägerin Waltraud Scheiböck aus Bergstedt. „Ich wollte immer Schaffnerin werden“, sagt Susanne Wagner, die sichtlich begeistert ist. Diesen Wunsch kann Ingo Naefcke ihr zwar nicht ganz erfüllen. Aber die Schaffnertasche, die größer und schwerer ist, als gedacht, die darf sie einmal umhängen. Da strahlt Susanne Wagner. Und Ingo und Johanna Naefcke tun es auch, als sie das sehen.