Hamburg. Ein Parkhaus in Winterhude lädt zur Zeitreise mit einem historischen Wagen ein. Ehemaliger Schaffner hat das Fahrzeug restauriert.

Vergnügt sitzt Ingo Naefcke in der Fahrerkabine und blickt in die Ferne. Von Hamburg kann er aus seinem Straßenbahnwagen heraus allerdings nichts sehen, der Blick endet an einer Parkhauswand. Macht nichts, Nae­fcke ist in seinem Element.

Mit energischer Stimme lädt er zum Rundgang durch den Wagen mit der Nummer V7E 3363, und da gibt’s eine Menge zu sehen – und zu schnuppern. Ein Schild verweist auf 31 Sitz- und 78 Stehplätze, ein anderes warnt, dass erwischte Schwarzfahrer 20 Mark berappen müssen („Kommt teurer als die Fahrkarte“). Sogar ein kleiner Nothammer ist noch erhalten – „bei Gefahr Scheibe einschlagen“.

Frisch renoviert

Mit forschen Gesten zeigt der 77-Jährige seinen frisch renovierten Traum, wirkt dabei jugendlich und etwas übermotiviert – eben wie jemand, der viel für „die Sache“ gegeben und erreicht hat. Die Sache ist die Rettung von V7E 3363. Frisch renoviert steht er jetzt im Parkhaus eines großen Rewe-Supermarkts an der Dorotheenstraße, Höhe Krohnskamp – ganz so, als sei das immer schon sein Platz gewesen. Sogar ein paar Schienen liegen unter den Rädern. Es ist einzige Idylle, die Zeit scheint stehen geblieben zu sein.

Tatsächlich gammelte der heute schmucke Wagen nach seiner Ausmusterung mehr als 40 Jahre lang in einem Wald in Wehmingen bei Hannover – vergessen von den Fahrgästen und überhaupt von der ganzen Welt. Nur einer dachte an ihn: Ingo Naefcke. Er kaufte das schrottreife Stück im Jahr 2015, brachte aber zum Glück nicht nur Geld ein, sondern jede Menge Energie.

Völlig verrostet

Das gute Stück war nicht nur völlig verrostet, sondern bei einem unsachgemäßen Verladeversuch schwer beschädigt worden. Kein Problem für Naefcke, der nicht nur einer der profiliertesten Straßenbahn-Kenner Hamburgs ist, sondern aus seinen Zeiten als Schaffner mit den technischen Finessen seiner rot-weißen Lieblinge vertraut ist.

Hamburger Kulturgut

Er spuckte in die Hände und legte los – sein Motto: „Ich muss da jetzt ran.“ Gemeinsam mit Ehefrau Johanna schuftete Naefcke unter freiem Himmel, auch im Winter. Zimmern, sägen, schrauben, lackieren. Ziel war es, den 1957 gebauten Wagen wieder „in einen vorzeigbaren Zustand zu bringen“, wie Naefcke es formuliert. Denn darum ging und geht es ihm: den Menschen wieder eine echte Hamburger Straßenbahn zu zeigen, obwohl die ja eigentlich schon 1978 in der Stadt abgeschafft wurde. Naefcke unverdrossen: „Sie ist und bleibt ein Hamburger Kulturgut.“

Schon damals teuer: Die historische Straßenbahn steht im Parkhaus vom Rewe Center im Kronskamp
Schon damals teuer: Die historische Straßenbahn steht im Parkhaus vom Rewe Center im Kronskamp © HA / Klaus Bodig | Klaus Bodig

Im Rewe Center Stanislawski & Laas sah man das offenbar genauso und stellte Naefcke nach kurzen Verhandlungen einen „Aufstellplatz“ im Parkhaus zur Verfügung. Vor der Witterung ist der Oldie nun endlich geschützt – und auch vor Vandalismus. Mit diesem Standort hat es so seine Bewandtnis: Dass hier, mitten im Herzen von Winterhude, früher mal ein Straßenbahn-Betriebshof lag, wissen wohl nur die Wenigsten.

Ingo Naefcke informiert Besucher darüber: mit liebevoll arrangierten Tafeln, die jetzt neben dem Wagen stehen, wird viel aus der Geschichte der Anlage erzählt. Im vergangenen April war es dann endlich so weit: Der Waggon wurde per Tieflader dorthin gebracht, wo er früher schon hingehört hatte – auch wenn andere Gebäude 1977 den Betriebshof ersetzt haben.

Ein paar Details

Man muss nicht sehr alt sein, um sich an die Zeiten zu erinnern, als Wagen wie V7E 3363 noch zu Hunderten durch Hamburg fuhren. Wer Ingo Naefcke nach ein paar Details fragt, löst eine aus zig Informationen bestehende Sturzflut aus. Das Wichtigste komprimiert: Wagen vom Typ V7 wurden von 1953 bis 1957 ausgeliefert, viele stammten aus der Straßenbahnhauptwerkstatt am Falkenried. Es war dies die letzte Neubaureihe für Hamburg.

Rumpeliger Start

Das V steht für Vierachser, 7 ist die Seriennummer, und das E bedeutet Einmann. Die Wagen hatten übrigens – wie auch die Vorgängerreihe V6 – bei manchen Fahrgästen den Spitznamen Sambawagen. Das soll daran gelegen haben, dass sich die stehenden Passagiere bei rumpeligem Start und abruptem Bremsen nur mithilfe energischer Ausfallschritte auf den Beinen halten konnten.

Der zweite Oldtimer

Der Straßenbahnwagen in Winterhude ist bereits der zweite Hamburger Oldtimer, der inzwischen wieder an seine alte Wirkungsstätte zurückgekehrt ist. Seit dem vergangenen Jahr steht ein weiterer restaurierter Wagen im ehemaligen Straßenbahndepot in Lokstedt, das heute eine Bauhaus-Filiale ist.

60 Jahre alt wird der Wagen im Mai. Fast ein wenig trotzig wirkt es, wie sein Fahrziel oben am Dach prangt: Dorotheenstraße. V7E 3363 fährt zwar schon Jahrzehnte nicht mehr, sein Ziel hat er trotzdem erreicht.

Die Straßenbahn im Parkhaus des Rewe-Center (Dorotheenstraße 116 bis 122) kann immer sonnabends von 10 bis 18 Uhr besichtigt werden. Experte Ingo Naefcke ist dann vor Ort. Der Eintritt ist frei, Spenden werden gerne genommen.