Lübeck/Oststeinbek. Landgericht Lübeck verurteilt Angeklagten außerdem zur Zahlung von Schmerzensgeld. Opfer leidet noch immer unter Folgen der Tat.

Die Anklage lautete auf räuberische Erpressung, doch diese konnte das Landgericht Lübeck einem 54 Jahre alten Oststeinbeker im Prozess vor der III. Großen Strafkammer nicht zweifelsfrei nachweisen. Dass der Mann am 10. Mai 2023 einen 84-Jährigen, der in seiner unmittelbaren Nachbarschaft wohnte, angegriffen und im Gesicht und am Kopf verletzt hatte, stand jedoch außer Frage. Der Angeklagte hatte die Tat im Verlauf des Verfahrens zwar eingeräumt, aber bestritten, dass es sich bei der dabei eingesetzten Tatwaffe um eine Pistole gehandelt habe. Stattdessen gab er an, einen Schlagbohrer verwendet zu haben. Eine solche Waffe hatte die Polizei bei ihren Hausdurchsuchungen an der Geschäfts- und Wohnadresse des Mannes jedoch nicht finden können.

Das Gericht hat den Angeklagten jetzt wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchter Nötigung zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt. Mit diesem Urteil liegen die Richter unter dem Strafmaß von einem Jahr und sechs Monaten, das die Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Die Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Außerdem muss er dem Geschädigten ein Schmerzensgeld von 5000 Euro zahlen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Nach Angaben eines Gerichtssprechers kann die Verteidigung gegen den Richterspruch innerhalb einer Woche Revision einlegen. „Dann ist der Bundesgerichtshof zuständig“, so der Sprecher. Dass der Angeklagte von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, gilt aber als unwahrscheinlich. Die Hoffnung auf ein milderes Urteil dürfte sich anhand der eindeutigen Beweislage schnell als unrealistisch herausstellen.

Prozess Stormarn: Nachbar (84) angegriffen – 54-Jähriger aus Oststeinbek zu Haft verurteilt

Zum Prozessauftakt hatte der Anwalt des Angeklagten angekündigt, dass sein Mandant sich vollständig zum Tatbestand äußern werde. Der inszenierte sich als Opfer: Er sei im Auto in Schrittgeschwindigkeit am Grundstück seines Nachbarn vorbeigefahren. Zu diesem Zeitpunkt sei dieser in seiner Garage gewesen, die offen stand. Der Senior habe ihn aus dem Nichts heraus beleidigt und mit rassistischen Aussagen provoziert. Als er gehalten und aus dem Auto ausgestiegen sei, sei der Nachbar mit einem Radkreuz in der Hand auf ihn zugekommen, eine Spitze auf den 54-Jährigen gerichtet.

Als er versucht habe, ihm das Werkzeug wegzunehmen, habe sich der 84-Jährige gewehrt. Im folgenden Handgemenge habe sich der Rentner wahrscheinlich an den Enden des Radkreuzes verletzt. Sichtbare Verletzungen wollte der Täter aber nicht bemerkt haben. Obwohl er 30 Jahre jünger als sein Opfer ist und sich nach eigenen Angaben sportlich betätigt, behauptete er zudem, dass es ihm nicht gelungen sei, dem alten Mann das Radkreuz zu entreißen. Er habe dann von ihm abgelassen, sich es dann aber noch einmal anders überlegt und dem Nachbarn ins Gesicht geschlagen.

Richter unterbricht Verhandlung, weil Geschädigter in heftiges Schluchzen ausbricht

Als der alte Mann in leicht gebückter Haltung den Gerichtssaal betrat, schien es zumindest fraglich, dass der Angeklagte seinem Opfer körperlich nicht überlegen gewesen sein soll. Die emotionalen Folgen der Tat waren dem Senior deutlich anzumerken. Als er dem Gericht die Geschehnisse aus seiner Sicht schilderte, versagte ihm mehrfach die Stimme. Immer wieder versuchte er, seine Fassung zurückzugewinnen, bis er schließlich in so heftiges Schluchzen ausbrach, dass sich der Vorsitzende Richter Jörg Zachariae veranlasst sah, eine kurze Pause anzuordnen. So konnte sich der Zeuge beruhigen, bevor die Vernehmung fortgesetzt wurde.

Er berichtete, dass der Angeklagte beim Betreten seines Grundstücks direkt auf ihn zugekommen sei und ihm vorgeworfen habe, ihn angezeigt zu haben. Das sei jedoch nicht der Fall gewesen. Er sei aber gar nicht dazu gekommen, die Sache aufzuklären, weil der Täter ihm direkt unvermittelt mit beiden Händen auf die Ohren geschlagen habe. „Dann plötzlich hatte er eine Pistole in der Hand“, so der Zeuge. Diese habe er allerdings nie in Gänze gesehen, sondern nur den Lauf. Denn der Angreifer habe ihn in den Schwitzkasten genommen und den Pistolenlauf mit Gewalt in den Mund gedrückt.

Die erlittene Todesangst führt dazu, dass Zeuge nicht mehr unbeschwert leben kann

„Ich habe immer nur gedacht, hoffentlich löst sich kein Schuss“, sagte der Zeuge. Er habe sich absichtlich nicht bewegt, sondern sei „wie eine Salzsäule dagestanden“ und habe der Forderung, die Klage fallenzulassen, zugestimmt. Der Angreifer habe ihn auch mit der Waffe geschlagen. Er habe Todesangst gehabt. „Was passiert ist, hat bei mir böse Schäden hinterlassen“, sagte der Rentner. Seitdem habe er auch Angst, seine Garage zu betreten. „Mein Lebensstil hat sich verändert“, beklagte er.

Nach der Aussage des Zeugen besann der Angeklagte eines Besseren und widerrief seine vorherige Darstellung. Vielmehr bestätigte er in weiten Teilen die Darstellung des Zeugen. Dass es sich bei der vermeintlichen Anzeige um eine Zivilklage gegen seinen Bruder wegen einer Grundstücksstreitigkeit handelte und nichts mit ihm zu tun hatte, will er zum Zeitpunkt der Tat nicht gewusst haben. Eine Pistole habe er noch nie besessen. Offen bleibt jedoch die Frage, wie es ihm gelungen ist, einen kiloschweren Schlagbohrer vor den Augen seines Opfers verborgen zu halten.

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Obwohl Nebenklage und Gericht in Bezug auf den Tathergang und die verwendete Waffe nicht in allen Punkten übereinstimmen, zeigt sich der Anwalt des Geschädigten mit dem Urteil zufrieden. Die Nebenklage hatte kein bestimmtes Strafmaß gefordert. „Wir haben uns der Forderung der Staatsanwaltschaft angeschlossen“, sagte Rechtsanwalt Oliver Klostermann nach dem Prozess. Es dürfe nicht vergessen werden, dass die gegnerischen Parteien Nachbarn seien. Für seinen Mandanten sei es daher wichtig gewesen, dass der Angeklagte sich am Ende in seinem letzten Wort doch noch entschuldigt habe.