Reinbek. Kultusministerium in Kiel offenbart Zahlen zu rechtsextremen Gewalttaten. Warum sie kein realistisches Bild der Situation liefern.

Ist der bundesweite Rechtsruck auch an den Schulen in Schleswig-Holstein spürbar? Ja, sagt Martin Habersaat, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion und hat dazu eine Kleine Anfrage im Parlament gestellt. „Das Ergebnis ist eindeutig. Die Zahl rechtsextremistischer Gewaltvorkommnisse an unseren Schulen steigt, Hitlergruß und Hakenkreuz scheinen keine Seltenheit zu sein“, sagt der Reinbeker. Hier müsse die Landesregierung künftig „genauer hinsehen“ und die Statistiken regelmäßig überarbeiten.

Gemon-Datenbank erfasst Gewalttaten an Schulen

Grundlage der aktuellen Auswertung ist laut Kultusministerium die sogenannte Gemon-Datenbank, ein Monitoring von Vorkommnissen psychischer und physischer Gewalt an den öffentlichen allgemein- und berufsbildenden Schulen in Schleswig-Holstein. Wesentliche Ziele der Erfassung und Analyse seien, Maßnahmen zur Steuerung, zur Prävention sowie zur Intervention zu generieren und zu entwickeln.

SPD-Bildungspolitiker Martin Habersaat bei einer Sitzung des Landtags in Kiel.
SPD-Bildungspolitiker Martin Habersaat bei einer Sitzung des Landtags in Kiel. © DPA Images | Christian Charisius

Von den Schulleitungen gemeldet werden aber nur Fälle, die disziplinarische Maßnahmen nach sich gezogen haben, wenn Hausverbote gegen Schulfremde erteilt worden sind, oder es zu Übergriffen auf Schüler und Lehrer gekommen ist. Delikte im digitalen Raum werden ebenfalls nur dann erfasst, wenn sie zu konkreten Ordnungsmaßnahmen geführt haben. Politisch motivierte Taten mit strafrechtlicher Relevanz würden hingegen durch den Kriminalpolizeilichen Meldedienst registriert.

Kreis Stormarn verzeichnet die meisten offiziellen Fälle

Kamen rechtsextremistische Vorfälle an den Schulen des Landes in den beiden Schuljahren 2020/21 und 2021/22 angeblich nur drei-, beziehungsweise zweimal vor, so wurden im vergangenen Schuljahr elf aktenkundig. Mit drei Fällen rangiert der Kreis Stormarn sogar an der Spitze: einmal in einer Berufsschule, zweimal an Gemeinschaftsschulen.

Laut Antwort des Kultusministeriums sei es vorwiegend „bei verbalen Äußerungen oder dem Zeigen von einschlägigen Symbolen“ geblieben. So wurden Bilder mit dem Hitlergruß weiterverbreitet oder der Hitlergruß sogar im Unterricht gezeigt. In anderen Fällen seien Hakenkreuzbilder im WhatsApp-Chat als Profilbild verwendet, Hakenkreuze auf Fassaden von Schulhöfen gesprüht oder „Heil Hitler“ in die Klasse gerufen worden.

Schüler fanden sich auf sogenannten Todeslisten wieder

In einem Fall gab es die Androhung eines Amoklaufs, in einem weiteren wurden Schülerinnen und Schüler auf sogenannte Todeslisten gesetzt und dadurch zutiefst verängstigt. Protokolliert wurde außerdem ein Fall, bei dem es zu körperlicher Gewalt in Verbindung mit rassistischen Äußerungen gekommen ist.

Schmierereien im Schulzentrum Bargteheide.
Schmierereien im Schulzentrum Bargteheide. © HA | Privat

Dass diese Zahlen eine realistische Beschreibung der Gesamtsituation widerspiegeln, bezweifelt Habersaat. Generell müsse seiner Ansicht nach von einer „wesentlich höheren Dunkelziffer“ ausgegangen werden. Eben weil solche Gewaltfälle nur in die Statistik eingehen, wenn sie Ordnungsmaßnahmen zur Folge hatten, wie zuvor beschrieben.

AfD lag bei „Juniorwahl“ oft auf erstem oder zweitem Platz

„In vielen Fällen geht solch einer Ordnungsmaßnahme, für die eine Klassenkonferenz einberufen werden müsste, eine pädagogische Maßnahme voran, etwa ein Gespräch mit der Schulleitung“, sagt der Sozialdemokrat. Das sei zwar grundsätzlich richtig, werde dann aber in keiner Statistik mehr abgebildet. „Die Polizei wiederum erfasse statistisch nicht, ob sich Vorfälle, die zum Beispiel im Verfassungsschutzbericht Niederschlag finden, an Schulen zugetragen haben“, erklärt Habersaat.

So oder so sei ein Wandel an den Schulen spürbar. Das habe auch die „Juniorwahl“ vor der Europawahl gezeigt. An der Aktion haben sich 216 Schulen beteiligt. Die AfD landete mit 13,5 Prozent aller abgegebenen Stimmen auf dem dritten Platz. An einzelnen Schulen sogar auf dem zweiten oder ersten.

Pöbeleien, Schmierereien und Übergriffe nehmen zu

Unterdessen nehmen Pöbeleien, rechtsextreme Sticker und Schmierereien und sogar handfeste Übergriffe unter Schülern auch außerhalb der Unterrichtszeiten zu – auf Schulhöfen, wie im Umfeld von Jugendeinrichtungen. Schauplatz war in der jüngeren Vergangenheit des Öfteren zum Beispiel die Kleinstadt Bargteheide.

Hier ist es Anfang Februar nicht nur zur Attacke einer Gruppe von 15 Jugendlichen auf das Autonome Jugendhaus (AJH) am Volkspark gekommen, bei der lautstark Parolen wie „Deutschland den Deutschen“ skandiert wurden. Mitglieder des AJH und der Initiative Jugend für Jugend (JfJ) dokumentierten zudem eine Häufung aggressiver Posts in den sozialen Netzwerken, insbesondere auf Instagram.

Aggressive, rechtsextreme Parolen auf Insta-Accounts

Auf einem Account mit dem Namen „Deutsche Jugend Bargteheide“ kursierten dort vielfach Beiträge mit Parolen wie „Hol dir dein Land zurück“, „Setzt die Saat für einen neuen Staat“ und „Remigration statt 3-Sterne-Pension“. Zudem werde es Zeit, mehr „Präsenz zu zeigen“, um wieder zu einem „Normalen Deutschland“ zu kommen. „Wacht auf und kämpft für das Vaterland! Jede Art von Aktivismus hilft!“, war da zu lesen.

Diese Aufforderung ist offenbar längst auf fruchtbaren Boden gefallen. Denn an vielen Schulen häufen sich eindeutig rassistische Anfeindungen. „Man kann sich vorstellen, was es mit Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund macht, wenn ‚Deutschland den Deutschen‘ plötzlich ein Slogan auf dem Schulhof wird“, sagt Martin Habersaat. Deshalb müsse es an den Schulen „eine Kultur des miteinander Sprechens“ geben.

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Die SPD hat inzwischen ein Rahmenkonzept Demokratiebildung für die Schulen in Schleswig-Holstein vorgelegt. „Dieses Konzept sehen wir als Vorschlag, über den im Bildungsausschuss des Landtags weiter beraten werden soll“, so der Reinbeker. Dabei sei wichtig, dass die Demokratiebildung als Aufgabe von Schule insgesamt begriffen werde. Und nicht nur als eine im Unterrichtsfach Wirtschaft und Politik.

Bedenklich war nicht zuletzt die Antwort des Kultusministeriums auf Habersaats Frage, in wie vielen Fällen von körperlicher oder psychischer Gewalt Schulleitungen Strafanzeige erstattet hätten: Von den landesweit 611 Fällen, die im vergangenen Schuljahr 2022/23 in der Gemon-Datenbank verzeichnet waren, endeten 122 mit einer Strafanzeige.