Ahrensburg/Norderoog. Steigender Meeresspiegel, höhere Temperaturen, Extremwetter: Ahrensburger Verein Jordsand startet das neue Projekt Klimahallig.
Norderoog ist einzigartig: Die 25 Kilometer vor der Küste gelegene Hallig gehört nicht nur dem Ahrensburger Verein Jordsand, sondern ist auch die einzige private Nordseeinsel, die ausschließlich dem Naturschutz dient. Auf dem nur etwa 620 Meter langen und bis zu 180 Meter breiten Eiland brüten jährlich mehr als 10.000 See- und Küstenvögel. Eine neue Besonderheit kommt jetzt hinzu: Norderoog ist die erste Klimahallig.
Der Verein Jordsand will in einem neuen Bildungs- und Forschungsprojekt die Auswirkungen des Klimawandels im Wattenmeer vermitteln. Und weil das westlich von Pellworm im Nationalpark Wattenmeer gelegene Norderoog von Menschen nicht betreten werden darf, haben die Projektinitiatoren eine Alternative gefunden. Die Hallig kann ab sofort mithilfe von Livestream-Kameras virtuell besucht werden. Geplant sind außerdem digitale Angebote wie Online-Veranstaltungen mit Liveschalten zur Hallig und Lehrvideos zu wissenschaftlichen Themen.
Klimawandel trifft Hallig Norderoog: Einblicke ins Wattenmeer
Die breite Öffentlichkeit erhält somit atemberaubende Einblicke in die raue und fragile Welt des Wattenmeers und seiner einzigartigen Tier- und Pflanzenwelt. Die Forscher beobachten, dass der steigende Meeresspiegel, höhere Temperaturen und Extremwetterereignisse bereits heute für Veränderungen in dem Ökosystem sorge. Die langfristigen Konsequenzen seien noch nicht absehbar. Klar sei jedoch, dass der Kampf ums Überleben im Wattenmeer zunehmend härter werde. Um den Schaden zu begrenzen, müsse jetzt gehandelt werden.
„Der Klimawandel wirkt sich direkt auf die Seevögel aus, das können wir auf Norderoog unmittelbar beobachten“, sagt Steffen Gruber, Geschäftsführer des Vereins Jordsand. Der hat seinen Hauptsitz seit mehr als 40 Jahren im Haus der Natur im Ahrensburger Stadtteil Wulfsdorf. Gruber sagt weiter: „Mit dem Projekt Klimahallig Norderoog bringen wir dieses wichtige Thema in die Öffentlichkeit und machen einen bedrohten Lebensraum virtuell erlebbar.“
Verein Jordsand kaufte die Hallig 1909 für 12.000 Goldmark
Die Hallig Norderoog ist seit 1909 im Privatbesitz des Vereins Jordsand, der sie damals für 12.000 Goldmark kaufte. Sie liegt in der Kernzone des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Trotz des vorgelagerten Norderoogsands, einem natürlichen Schutzwall, schrumpfte die Fläche bis 1970 dramatisch von 21 auf nur noch 7,8 Hektar. Durch umfangreiche Befestigungs- und Uferschutzmaßnahmen in Zusammenarbeit mit dem Amt für Land- und Wasserwirtschaft (heute LKN-SH, Husum) konnte die Hallig schließlich bei einer Größe von circa 10 Hektar gesichert werden.
In der Salzwiesenvegetation mit geschützten Blütenpflanzen sind 21 Brutvogelarten zu Hause, darunter zehn gefährdete. Bis zu 4000 Paare der in Deutschland vom Aussterben bedrohten Brandseeschwalbe ziehen jedes Jahr ihren Nachwuchs groß. Doch klimabedingte Veränderungen bedrohen zunehmend den Bruterfolg. So gab es in den letzten Jahren auf Norderoog immer öfter Land unter während der Brutzeit, sodass Teile oder die ganze Hallig überflutet waren. Daten von der bewohnten Hallig Südfall zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Überflutung im Juni von 1985 bis 2015 stark gestiegen ist.
„Kükenfluten“ können eine ganze Nachwuchsgeneration vernichten
Die Häufung dieses als „Kükenfluten“ bekannten Phänomens gilt als Folge des Klimawandels und kann den Nachwuchs einzelner Kolonien oder gar ganze Generationen vernichten. Auch andere Wetterereignisse wie Starkwinde oder Hitze- und Trockenperioden treten vermehrt oder verlängert auf. Muschelsterben oder veränderte Fischbestände können die Folge sein und wirken sich direkt auf das Nahrungsangebot der Seevögel aus.
All diese Veränderungen will der Ahrensburger Naturschutzverein aufzeigen. „Ich hoffe natürlich, dass Norderoog dieses Jahr von einer Kükenflut verschont bleibt“, sagt Klimahallig-Projektleiterin Marlene Wynants. „Sollte es aber dazu kommen, werden wir davon live berichten, um möglichst viele Menschen auf die Folgen des Klimawandels für das Wattenmeer aufmerksam zu machen.“
Drei Kameras übertragen das bunte Treiben auf der Hallig rund um die Uhr
Für das Projekt wurde Norderoog mit der nötigen technischen Infrastruktur ausgestattet: Inmitten der wilden Natur stehen nun drei Kameras, auf denen das Brutgeschehen und das bunte Treiben auf der Hallig im gesamten Jahresverlauf mitverfolgt werden kann. Zu entdecken sind balzende Lachmöwen, brütende Graugänse und schlafende Austernfischer, die sich immer zu Hochwasser auf der Hallig versammeln. Außerdem sind die Brutkolonie der Brandseeschwalben und Paare von brütenden Küstenseeschwalben zu sehen sowie mit etwas Glück Überraschungsgäste wie Seeadler oder Schwarzkopfmöwen.
Einziger Mensch unter zu Spitzenzeiten im Sommer schon mal 50.000 Vögeln ist die Vogelwartin des Vereins Jordsand. Seit Anfang April bis in den Herbst hinein wohnt Nele Waltering in einer auf Pfahlbauten stehenden Blockhütte. „Ganz allein auf einer Hallig mitten in der Nordsee zu leben, den Gezeiten und dem Wetter ausgesetzt, umgeben von wunderschöner Natur mitten im UNESCO-Weltnaturerbe und unter meinen Lieblingsvögeln – das scheint mir genau das Richtige“, sagt die Studentin der Umweltingenieurwissenschaften. Vor ihrer Masterarbeit nimmt sie eine Auszeit in der Einsamkeit. Zu Fuß hat sie ihr Zuhause in einer halben Stunde umrundet.
Landesumweltminister Goldschmidt ist Schirmherr für das Projekt
Das schleswig-holsteinische Ministerium für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur fördert das Klimahallig-Projekt. „Der Klimawandel ist voll da und bedroht das Leben auf der Hallig. Es ist wichtig für die Menschen, zu verstehen, wie wertvoll der Schatz der Natur ist. Und wie unverzichtbar es ist, diesen zu bewahren“, sagt Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne). Er hat persönlich die Schirmherrschaft übernommen.
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Eigens für das Projekt hat der Verein Jordsand die Website www.klimahallig.de eingerichtet. Dort können Besucher rund um die Uhr die drei Livecams aufrufen und sich informieren. Des Weiteren gibt es Kooperationen mit Infozentren an der Nordseeküste, die das Geschehen auf der Hallig auf Monitoren präsentieren. Außerdem wird es Angebote für Schulen und Live-Events geben.