Trittau. Vor fünf Jahren wurde Finn Zielsdorf bei einem Badeunfall im Großensee schwer verletzt. Warum es darüber jetzt ein Video gibt.

Die Temperaturen steigen und mit ihnen die Lust auf das Baden in Freigewässern. Mit einem Video will die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) jetzt nicht nur auf die damit verbundenen Risiken hinweisen, sondern zugleich neue Mitglieder für ihre unverzichtbaren Hilfseinsätze werben. Um Menschen für beide Anliegen zu sensibilisieren, wurde ein authentischer Fall aufgegriffen und von einer Film-Produktion professionell in Szene gesetzt, der sich vor fünf Jahren im Kreis Stormarn ereignet hat.

Ein Sprung ins Wasser mit fatalen Folgen

Der 5. Juni 2019 ist ein sonniger, heißer Tag. Es ist kurz vor 17 Uhr, als Max Kulling mit seiner Freundin am Ostufer des Großensees eintrifft. Die kleine Bucht unweit der Straße Regelstaedt ist ein beliebter Treffpunkt für Jugendliche. So verwundert es die beiden nicht, dass sie dort auf zwei gute Freunde treffen, mit denen sie diesmal eigentlich gar nicht verabredet sind: Finn Zielsdorf und einen amerikanischen Austauschschüler.

Während sich Max noch umzieht, stürzt sich Finn schon kopfüber in den See. Als er wieder auftaucht, ahnt Max sofort, dass etwas nicht stimmt. Finn liegt regungslos im Wasser, den Kopf untergetaucht. „Ich bin sofort hinterher“, erinnert sich Max. Er habe zuerst einen Hitzschlag und Kreislaufprobleme vermutet: „Doch als ich ihn umdrehte, sah ich, dass er bereits blau angelaufen war.“ Ein sicheres Zeichen für akuten Sauerstoffmangel.

Den Freund zum Takt von „Stayin‘ alive“ ins Leben zurückgeholt

Mit Unterstützung der anderen bringen sie den leblosen Finn zurück ans Ufer. Dort beginnt Max sofort mit der Reanimation des Freundes. „Durch die Ausbildung als Rettungsschwimmer hatte ich jene Handlungssicherheit, die mir in dieser Situation geholfen hat, nicht zu zögern, sondern gemäß der erlernten Notfallroutine konzentriert das in dieser Situation Notwendige zu tun“, erinnert sich Max.

Finns Eltern Ulf (l.) und Silke (r.) mit seiner Schwester Lena und Lebensretter Max Kulling, der ihn als Ersthelfer reanimierte.
Finns Eltern Ulf (l.) und Silke (r.) mit seiner Schwester Lena und Lebensretter Max Kulling, der ihn als Ersthelfer reanimierte. © Lutz Kastendieck | Lutz Kastendieck

Der Song „Stayin‘ alive“ von den Bee Gees sei zu einer Art Taktgeber für die Herzdruckmassage geworden. Das habe sich wie eine kleine Ewigkeit angefühlt. Doch plötzlich öffnete Finn die Augen, spuckte Wasser und atmete wieder. „Das war ein unglaublich befreiender, überwältigender Moment, die Anspannung wich totaler Erleichterung“, so Max.

Sechster Halswirbel bohrte sich ins Rückenmark

Kurz darauf wird Finn von einem längst alarmierten Rettungswagen zum Freibad am Südstrand des Sees gebracht, wo bereits ein Rettungshubschrauber wartet. Die erste Diagnose der Unfallmediziner ist niederschmetternd. Die Verletzungen sind wohl so schwerwiegend, dass von einer hohen Querschnittslähmung ausgegangen werden muss.

Die Welle der Hilfsbereitschaft war in Trittau nach Finns schwerem Unfall riesengroß. Niklas Sondershausen, Spieler der ersten Mannschaft des TSV Trittau lief beim entscheidenden Punktspiel um den Aufstieg in die Kreisliga gegen den Lübecker SC mit diesem T-Shirt unter seinem Trikot auf. Insgesamt wurden mehr als 40.000 Euro zur Unterstützung der Familie Zielsdorf gesammelt.
Die Welle der Hilfsbereitschaft war in Trittau nach Finns schwerem Unfall riesengroß. Niklas Sondershausen, Spieler der ersten Mannschaft des TSV Trittau lief beim entscheidenden Punktspiel um den Aufstieg in die Kreisliga gegen den Lübecker SC mit diesem T-Shirt unter seinem Trikot auf. Insgesamt wurden mehr als 40.000 Euro zur Unterstützung der Familie Zielsdorf gesammelt. © Lutz Kastendieck | Privat

Die eingehenden Untersuchungen bestätigen die Befürchtungen. Beim Sprung ins flache Wasser ist es zu einer extremen Stauchung der Wirbelsäule gekommen. Dabei brach der sechste Halswirbel und bohrte sich in den Rückenmarkkanal, wo große Teile des Rückenmarks irreparabel zerstört worden sind.

Sechs quälend lange Monate im Krankenhaus

Fast zwei Monate muss Finn ohne Unterbrechung im Bett verbringen, 24 Stunden am Tag umsorgt von Ärzten und Krankenpflegern. Innerhalb kurzer Zeit verliert er 15 Kilo an Gewicht und muss erleben, wie sein Körper rasant abbaut. Fast noch mehr macht ihm indes die erzwungene Immobilität zu schaffen.

Physiotherapeutin Katja Lehmann passt Finn im BG Klinikum Hamburg ein stabilisierendes Stützkorsett an.
Physiotherapeutin Katja Lehmann passt Finn im BG Klinikum Hamburg ein stabilisierendes Stützkorsett an. © Lutz Kastendieck | Lutz Kastendieck

Wie er dann jedoch die folgende Rehazeit mit täglichen Einheiten bei Physio-, Ergo- und Sporttherapeuten absolviert, nötigt seinerzeit sogar Dr. Roland Thietje, dem Chefarzt des Querschnittgelähmten-Zentrums im BG Klinikum, höchsten Respekt ab. „Wie Finn angesichts seines Alters mit der schweren Verletzung umgeht, ist außergewöhnlich. Er hat sein Schicksal angenommen. Mit einer unglaublichen Energie und extremem Willen“, lässt Thietje wissen.

Das Abitur nachgeholt und den Führerschein gemacht

Das bleibt auch so, als Finn nach mehr als sechs Monaten endlich nach Hause zurückkehrt. Er holt versäumten Unterrichtsstoff nach und macht mitten in der Corona-Pandemie sein Abitur. Wenig später besteht er auch die Führerscheinprüfung und sichert sich mit einem umgebauten VW Golf mehr Mobilität und Unabhängigkeit.

Finn Zielsdorf bei einem Workshop in Trittau.
Finn Zielsdorf bei einem Workshop in Trittau. © Gemeinde Trittau | Gemeinde Trittau

Seine Leidenschaft für Graffiti gibt er heute an Schüler weiter. Etwa bei Workshops wie im Vorjahr an der Ida-Ehre-Schule in Bad Oldesloe. Da hat er gemeinsam mit seinem Freund Edwin Panier Neunt- und Zehnklässlern das anspruchsvolle Sprayen gezeigt und dabei auf 20 Quadratmetern ein farbenfrohes Kunstwerk hinterlassen.

Warum Finn irgendwann gern in Wien leben würde

Wie die Liebe zur Kunst nach wie vor ein wichtiges Element im „zweiten“ Leben des heute 22-Jährigen ist. Regelmäßig besucht er Ausstellungen wie unlängst eine Werkschau des Hamburger Graffitikünstlers Mirko Reisser im Woods Art Institute Wentorf oder davor die Caspar David Friedrich gewidmete Retrospektive in der Hamburger Kunsthalle.

Mit seinem Künstlerfreund Edwin Panier beteiligte sich Finn unter anderem an der Ausstellung „Perspektivwechsel“ im Schloss Reinbek zu den rassistischen Brandanschlägen in Mölln am 23. November 1992.
Mit seinem Künstlerfreund Edwin Panier beteiligte sich Finn unter anderem an der Ausstellung „Perspektivwechsel“ im Schloss Reinbek zu den rassistischen Brandanschlägen in Mölln am 23. November 1992. © Schloss Reinbek | Schloss Reinbek

Am liebsten würde Finn irgendwann nach Wien ziehen. „Sie ist mit ihren vielen liebevoll gepflegten alten Häusern nicht nur architektonisch überaus reizvoll, sondern auch so viel barrierefreier als viele deutsche Städte“, sagt der Trittauer. Zudem begeistere ihn die reichhaltige Kunstszene und die Lebensart der österreichischen Donau-Metropole.

Vorfreude auf die erste eigene Wohnung in Bremen

Doch nachdem er sich in den vergangenen Jahren mit einem Job im Telefonmarketing, unter anderem für Schnellladesäulen und Treppenlifte, etwas Geld zurücklegen konnte, zieht es ihn jetzt erst einmal nach Bremen. Dort wird er am 1. Juni die erste eigene Wohnung beziehen und an der Uni der Hansestadt Kunstmedien und ästhetische Bildung sowie Wirtschaftswissenschaften studieren.

„Ich bin gespannt darauf, an einen anderen Ort zu ziehen und neue Menschen kennenzulernen. Das sorgt für neuen Input und eröffnet neue Perspektiven“, sagt der junge Mann, der viel Neugier und Lebenslust ausstrahlt. „Ja, die Lähmung ist ein echtes Handicap. Es soll mich aber nicht davon abhalten, beständig zu versuchen, das Beste aus mir und meiner Situation herauszuholen“, verbreitet er ungetrübte Vorfreude.

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Dass man ihn vor einem Jahr als Berater zu den Dreharbeiten für den Video-Clip der DLRG an den Ort seines tragischen Unfalls zurückbrachte, sei unterdessen emotional weit weniger aufwühlend gewesen. „Ich bin gut darin, den dunkelsten Augenblick meines Lebens geflissentlich zu ignorieren und zu verdrängen“, sagt Finn. Stattdessen hätten ihn die technischen Details bei den Dreharbeiten deutlich mehr interessiert: „Im Video sieht es so aus, als wäre es wieder sommerlich warm gewesen. In Wahrheit war es aber kalt und ungemütlich.“

Auf jeden Fall habe sich seine Sicht auf die DLRG durch den Rettungseinsatz seines Freundes Max und das Video noch einmal grundlegend geändert, sagt Finn Zielsdorf. Und er hoffe, dass es anderen Menschen ebenso gehe.