Trittau. Ein Freund zog ihn aus dem Wasser und reanimierte ihn. Tiefe Betroffenheit und Mitgefühl herrschen nach dem Badeunfall.

Um den Großensee macht Max Kulling derzeit einen großen Bogen. Dabei liebt er es, am, noch lieber aber im Wasser zu sein. 2015 hat der 18-Jährige aus Witzhave die Normen für das silberne Rettungsschwimmerabzeichen erfüllt. Am vergangenen Mittwoch muss er sein Können zum ersten Mal bei einem echten Notfall unter Beweis stellen. Ein Einsatz, dessen Bilder ihm seitdem nicht mehr aus dem Kopf gehen.

Es ist kurz vor 17 Uhr, als Max mit seiner Freundin Anna Sophie Udinius am Oststrand des Großensees eintrifft. Die kleine Bucht unweit der Straße Regelstaedt ist ein beliebter Treffpunkt für Jugendliche. So verwundert es den Zwölftklässler der Trittauer Hahnheideschule nicht, dass er dort auf zwei gute Freunde trifft, mit denen er dieses Mal eigentlich gar nicht verabredet ist: Finn Zielsdorf und Cody, ein amerikanischer Austauschschüler.

Während sich Max gerade umzieht, stürzt sich Finn schon kopfüber in den See. Als er wieder auftaucht, ahnt Max sofort, dass etwas nicht stimmt. Finn liegt regungslos im Wasser. „Ich bin sofort hinterher“, erinnert sich Max. Er habe zuerst einen Hitzschlag und Kreislaufprobleme vermutet: „Doch als ich ihn umdrehte, sah ich, dass er bereits blau angelaufen war.“ Ein sicheres Zeichen für akuten Sauerstoffmangel.

Freund beginnt sofort mit der Reanimation

Finns Eltern Ulf (l.) und Silke Zielsdorf (r.) mit seiner Schwester Lena und Max Kulling, der ihn als Ersthelfer reanimierte.
Finns Eltern Ulf (l.) und Silke Zielsdorf (r.) mit seiner Schwester Lena und Max Kulling, der ihn als Ersthelfer reanimierte. © Lutz Kastendieck | Lutz Kastendieck

Max bringt seinen Freund sofort ans Ufer und beginnt, ihn zu reanimieren. So, wie er es gelernt hat. „Ich war unglaublich erleichtert, als Finn wieder zu Bewusstsein kam“, sagt Max. Doch dann habe Finn immer wieder gestöhnt und über Genickschmerzen geklagt. Da beginnt Max zu realisieren, was bei Finns Kopfsprung tatsächlich passiert sein könnte.

Kurz darauf wird der 17 Jahre alte Trittauer vom alarmierten Rettungshubschrauber ins Krankenhaus Boberg geflogen. Die erste Diagnose der Unfallmediziner ist niederschmetternd. Beim Aufprall unter Wasser hat sich Finn Zielsdorf drei Halswirbel gebrochen. Durch die Verletzung des Rückenmarks gehen die Ärzte von einer hohen Querschnittslähmung aus.

Familie ringt um Normalität im Alltag

Als Finns Schwester Lena von dem Unfall erfährt, ist sie gerade auf einer Klassenreise in Glücksstadt. „Ich konnte das überhaupt nicht begreifen“, sagt sie. Als Familie seien sie früher oft im Strandbad am Südufer des Großensees gewesen. Und als Jugendliche später unzählige Male an den Buchten des Ostufers. „In all den Jahren ist nie etwas passiert, wir kennen dort jeden Zentimeter“, so Lena. Von solch schweren Badeunfällen habe man doch immer nur gelesen: „Sie passierten weit weg und waren irgendwie abstrakt. Doch nun hat genau solch ein Unglück innerhalb eines Augenblicks Finns Leben und das der gesamten Familie für immer verändert.“

Seit dem fatalen Unfall ihres Sohnes ringen auch Silke und Ulf Zielsdorf jeden Tag aufs Neue um Normalität und Zuversicht. „Am schlimmsten ist die quälende Ungewissheit“, sagt Silke Zielsdorf. Werden sich die Prognosen der Ärzte in vollem Umfang bewahrheiten? Und wie wird Finn die Folgen seines Missgeschicks selbst verkraften?

Hoffnung auf medizinischen Fortschritt

„Die Medizinforschung hat in den vergangenen Jahren viele neue Therapien ermöglicht. Warum sollte es nicht auch für Finn Hoffnung geben, wir klammern uns an jeden Strohhalm“, sagt die 53-Jährige, die als Heilerzieherin beim Verein Lebenshilfe tätig ist und dort auch die Schulbegleitung für Kinder mit einer Behinderung organisiert.

„Wir müssen positiv denken und nach vorn schauen, von Tag zu Tag, von Woche zu Woche“, sagt Ulf Zielsdorf, der als Projektmanager bei der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) arbeitet. Es sei im Grunde ein Glücksfall, dass das Unfallkrankenhaus Boberg mit seinen Spezialabteilungen für Unfallopfer „praktisch um die Ecke“ liege. Man habe als Familie immer zusammengehalten, jetzt müsse sie erst recht zusammenrücken: „Nur so können wir diesen schweren Schicksalsschlag gemeinsam meistern.“

Lena, die demnächst eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester aufnehmen will, kann sich vorstellen, mit Finn eine Wohngemeinschaft zu bilden. „Ich würde alles für ihn geben. Ich hoffe, wir können ihn auffangen und ihm eine Lebensperspektive schaffen, einen Grund zu kämpfen“, sagt die 19-Jährige.

120 Anrufe und Mails innerhalb von vier Tagen

Die Familie sei überwältigt von der großen Anteilnahme der Menschen im gesamten Amt Trittau. Über die sozialen Netzwerke hatte sich die Nachricht schnell verbreitet und ein Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst. „Wir haben irgendwann aufgehört, die Anrufe und Mails zu zählen“, berichtet Lena. Bis zum Pfingstwochenende seien es bereits mehr als 120 gewesen. Viele mit ganz konkreten Hilfsangeboten, vom Hausumbau bis zur Beantragung von Zuschüssen für Therapien und andere medizinische Leistungen.

„So stelle ich mir eine soziale Bürgergesellschaft vor, die in Not geratene Mitbürger nicht im Stich lässt“, sagt Trittaus Bürgermeister Oliver Mesch, beeindruckt von den zahlreichen Aktionen und Spenden vieler Privatpersonen und Gewerbetreibender. Er hoffe, diese Hilfsbereitschaft könne Finn und seine Familie tragen und ermutigen.

Überwacht wird das Baden nur am Südstrand

Der Großensee liegt im Süden des Kreises Stormarn und etwa 10 Kilometer östlich von Hamburg in einer eiszeitlichen Senke.

In den 1920er-Jahren ging das Gewässer in den Besitz der Freien und Hansestadt über, die im Umfeld in mehreren Brunnen Trinkwasser fördert.

Am Südstrand betreibt die Gemeinde Großensee seit vielen Jahren ein öffentliches Freibad An der Seestraße 1.

Rettungsschwimmer der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) überwachen den Badebetrieb temporär, während der Sommerferien und in Kernzeiten an Wochenenden.

Unfälle waren in den vergangenen Jahren selten. Im Juli 2010 ist ein 68 Jahre alter Mann unweit des Freibads ertrunken.

Am Nordstrand und den kleinen Buchten am Ostufer wird das Baden zwar geduldet. Die zuständigen Forstverwaltungen Hamburg und Schleswig-Holstein monieren aber immer wieder erhebliche Verunreinigungen des Uferbereichs

„Weitgehend sicher ist das Baden nur im Freibad“, so Großensees Bürgermeister Karsten Lindemann-Eggers.

Spendenkonto für die Familie eingerichtet

Spendenkonto bei der Sparkasse Holstein, IBAN DE29 2135 2240 0187 2685 11, Kontoinhaberin: Daniela Reimers, Stichwort: Finn.