Reinbek. Warum das Projekt von 18 Künstlern ab Sonntag im Schloss Reinbek gezeigt wird und nicht in Mölln.
Die linke Hand der alten Frau bedeckt eine ganze Gesichtshälfte, die rechte Hand hat sich über den Mund gelegt: Eindrucksvoll ist es Malerin Christiane Leptien mit ihrem Werk „Sprachlos“ gelungen, namenloses Entsetzen auf die Leinwand zu bannen. Die gebürtige Hamburgerin, die jetzt in Geesthacht lebt, gehört zu jenem Kreis von 18 Künstlern, die sich an der Ausstellung „Perspektivwechsel“ beteiligt haben, die von Sonntag, 15. Mai, bis zum 19. Juni im Schloss Reinbek zu sehen ist.
„Was uns alle eint, ist das Bestreben, den Opfern der rassistischen Brandanschläge vom 23. November 1992 in Mölln eine Stimme zu geben“, sagt Initiatorin Janis Walzel aus Trittau. Dabei gehe es aber bei weitem nicht nur um künstlerische Positionen zu jenen Übergriffen, bei denen drei Menschen getötet und neun weitere zum Teil schwer verletzt wurden. „Es geht auch darum, eine institutionalisierte Erinnerungskultur zu hinterfragen, die Betroffenen und Hinterbliebenen oft nicht in ausreichendem Maße gerecht wird“, so Walzel.
Projekt erstmals im Juni 2020 vorgestellt
Das dürfte bei so manchem die berechtigte Frage aufwerfen, warum die Ausstellung dann nicht in Mölln stattfindet, sondern in Reinbek. Die Antwort hat eine lange Vorgeschichte, die bis in den Juni 2020 zurückreicht. Da nämlich hat die Trittauerin ihre Idee das erste Mal in Mölln vorgestellt.
„Durch meine Teilnahme an der sehr erfolgreichen Ausstellung ,Fliehen – einst geflohen‘ im März 2019 im Stadthauptmannshof erschien mir dieser Veranstaltungsort wie geschaffen, sich dort auch mit den barbarischen Brandanschlägen auseinanderzusetzen, die sich im November dieses Jahres zum 30. Mal jähren“, schaut Walzel zurück. Doch ziemlich schnell sei klar geworden, dass diesem Projekt in der Eulenspiegel-Stadt mit viel Skepsis und Vorbehalten begegnet wurde.
Folgenreicher Eklat bei der Trauerfeier im Jahr 2012
Andrea Koop, Geschäftsführerin der Stiftung Herzogtum Lauenburg, teilt in einer Mail vom 18. Juni 2020 mit, der Vorstoß betreffe ein „sensibles Thema“, zu dem sich „vorrangig die Stadtverwaltung und der Verein Miteinander Leben“ äußern sollten. Bei einem Treffen mit Bürgermeister Jan Wiegels (CDU), erfährt Walzel dann den Grund für die offensichtliche Zurückhaltung.
2012 war es bei der städtischen Gedenkveranstaltung 20 Jahre nach den Brandanschlägen zu einem Eklat gekommen. Nachdem der damalige Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, Torsten Albig (SPD), und Landtagspräsident Klaus Schlie (CDU) ihre Grußworte gesprochen hatten und wieder in ihre Limousinen steigen wollten, kam es zu einem folgenreichen Wortwechsel mit Angehörigen der Familien Arslan und Yilmaz, die bei dem Anschlag nahe Verwandte verloren hatten. Sie fordern im Kern eine andere Gedenkkultur unter stärkerer Beachtung und Einbeziehung der Opferfamilien.
Schwester, Cousine und Großmutter verloren
Vor allem Ibrahim Arslan, der die Anschlagsnacht als Siebenjähriger nur deshalb überlebt, weil ihn seine Großmutter Bahide in nasse Decken hüllt, wird in der Folge zum erbitterten Kritiker des institutionalisierten Trauerns. „Gedenken ist nur authentisch, wenn es die Betroffenen einbezieht, alles andere ist Inszenierung. Wir sollten nicht wie Statisten und Gäste behandelt werden, sondern als Hauptzeugen des Geschehens“, forderte Arslan, der bei dem Brandanschlag Schwester Yeliz, Cousine Ayse und Großmutter Bahide verlor.
Als man in Mölln vernimmt, dass die Künstlergruppe um Janis Walzel in engem Austausch zu Ibrahim Arslan steht, werden die Kontakte nach Mölln noch schwieriger. Bürgermeister Wiegels bietet zwar im Herbst 2020 den Historischen Ratssaal und die Gänge im Stadthaus an, doch zu einer verbindlichen Vereinbarung kommt es nicht.
Kein freies Zeitfenster im Stadthauptmannshof
Auch deshalb, weil Michael Packheiser, Chef des Möllner Museums, den Ball umgehend ins Rathaus zurückgespielt hat. Die Stadt müsse sich erst einmal selbst Gedanken machen, wie der Gedenktag 30 Jahre nach den Anschlägen gewürdigt werden soll, teilt er in einer Mail mit. Eine Kunstausstellung könne sicher „ein Baustein“ in einem möglichen Jahresprogramm sein. Wegen der Einbeziehung eines gewissen „Herrn A.“ würde man aber „mit Sicherheit nicht über jedes Stöckchen springen“, so Packheiser wörtlich.
Dem Präsidenten der Stiftung Herzogtum Lauenburg, Klaus Schlie, ist die endgültige Absage am 8. Oktober 2020 nur noch einen unterkühlten Dreizeiler wert. „Es besteht keine Möglichkeit, die von Ihnen geplante Ausstellung in den Räumen des Stadthauptmannshof durchzuführen“, ließ er unmissverständlich wissen. Das hatte Geschäftsführerin Koop kurz zuvor damit begründet, die Stiftung veranstalte pro Jahr zwei dreiwöchige Ausstellungen, zumeist im März und September. Diese beiden Termine seien indes „über Jahre hinweg geblockt“ und weitere Zeitfenster ausgeschlossen, „um Zeit und Platz für andere Sparten“ zu haben.
Thema Rechtsextremismus bleit bundesweit aktuell
„Hier wurde eine große Chance vertan, Brücken zu bauen, Gräben zu überwinden und zu versöhnen“, sagt Malerin Christiane Leptien stellvertretend für ihre Künstlerkollegen. Kunst könne Erinnerungen, Emotionen, Gedanken und Botschaften transportieren, um in einen Dialog zu kommen, ist Initiatorin Janis Walzel überzeugt. „Zumal das Thema rechtsradikale Gewalt nach den Anschlägen in Hanau, Halle, Kassel und München nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat“, so Walzel.
Elke Güldenstein, die die Ausstellung „Perspektivwechsel“ ins Schloss Reinbek geholt und kuratiert hat, ist von dem Projekt beeindruckt. „Es besticht durch seine unterschiedlichen Ansätze und Herangehensweisen und ist doch sehr stimmig und überzeugend“, so die Leiterin des Kulturzentrums Reinbek. Und Ibrahim Arslan? „Ich hatte Gänsehaut“, so der 38 Jahre alte Familienvater.
Perspektivwechsel Ausstellung im Schloss Reinbek vom 15. Mai bis 19. Juni, Mi. bis So., 10 bis 17 Uhr. Vernissage am So., 15.5., 11.30 Uhr, Eintritt frei. Regulärer Eintritt 3 Euro.