Bad Oldesloe. Lynn-Sue Abisur hat ein Elternnetzwerk gegründet, um Betreuungslücken zu schließen. Wie es funktioniert und wer profitieren könnte.
Wer sich durch die Internetseiten der Kindertagesstätten in Bad Oldesloe klickt, der stellt fest: Die Kita-Landschaft in der Kreisstadt ist bunt. Da ist eine Vielfalt an Trägern und Konzepten vom Waldkindergarten über Integrations-Kitas bis zum Waldorfkindergarten. Doch in einer Sache ähneln sich die Einrichtungen: nämlich in Sachen Betreuungszeiten. Von 8 bis 14 Uhr, 7 bis 17 Uhr, 8 bis 17 Uhr, 7.30 bis 14 Uhr.
Wer als Elternteil außerhalb dieser Zeiten arbeitet, im Schichtdienst tätig ist und sein Kind nicht von Freunden oder Verwandten betreuen lassen kann, hat schlechte Karten. Genau so geht es Lynn-Sue Abisur. Ihr Lebensgefährte ist Gärtner, muss teilweise um 3 Uhr morgens das Haus verlassen. Sie selbst arbeitet derzeit in Teilzeit als ungelernte Kraft in der Pflege, träumt davon, eine Ausbildung zur Pflegefachfrau beginnen.
Weil Kita nicht reicht: Mutter aus Bad Oldesloe gründet Elternnetzwerk
Auch das bedeutet Arbeitszeiten, die über den gewöhnlichen 9-to-5-Job hinausgehen – und nicht mit den Betreuungszeiten der allermeisten Kitas vereinbar sind. „Ich komme aus Paris“, sagt Abisur. „Deshalb kann ich meinen Sohn nicht zu meinen Eltern oder anderen Verwandten bringen.“ Sohn Spencer ist dreieinhalb Jahre alt, geht aktuell in eine Oldesloer Kita.
Doch: Der Traum von der Ausbildung drohte an der Betreuung ihres Sohnes zu scheitern, muss sie während der Ausbildung doch auch früh morgens, spät abends und nachts im Einsatz sein. Abisur: „Ich habe mich ungehört, ob es Kitas gibt, die auch zu Randzeiten eine Betreuung anbieten.“ Die nächste, die sie gefunden habe, sei in Hamburg gewesen, die Kosten hätten zwischen 2000 und 3000 Euro im Monat betragen. „Das kann ich mir, wenn ich in der Ausbildung bin, nicht leisten“, sagt sie.
Für viele berufstätige Eltern reichen die gewöhnlichen Betreuungszeiten nicht aus
Was also tun? Den Kopf in den Sand zu stecken, kam für die Oldesloerin nicht infrage. Also nahm sie die Sache kurzerhand selbst in die Hand, war sie sich doch sicher, dass sie mit dem Problem nicht allein sein kann. Sie hatte recht. Ob Polizist, Ärztin, Koch, Bäckereifachverkäufer oder Feuerwehrfrau: In vielen Branchen sind die gewöhnlichen Betreuungszeiten der Kitas nicht ausreichend.
Lynn-Sue Abisur kam eine Idee: nämlich die Gründung eines Elternnetzwerkes, deren Mitglieder gegenseitig auf die Kinder aufpassen, wenn die Kitas geschlossen sind – kostenlos und nach dem Prinzip „Eine Hand wäscht die andere“. Bei einem Vortrag lernte Abisur Ursula Frömming-Gallein vom Kreis Stormarn kennen, die ihr bei der Idee half. Unterstützung bekam sie auch von Iris Hoffmeyer vom Familienzentrum der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Oldesloe. „Sie hat uns angeboten, dass wir einen Raum im Familienzentrum nutzen können.“ Abisur erstellte Flyer, verteilte sie in verschiedenen Einrichtungen.
Etwa zehn Elternteile haben sich bislang gemeldet und wollen mitmachen
Die Werbung brachte den gewünschten Erfolg. Etwa zehn Elternteile haben sich bislang gemeldet, die Mitglied des Netzwerkes werden wollen. Sie arbeiten in Berufen mit sehr frühen und sehr späten Arbeitszeiten, zum Beispiel in der Pflege, als Schichtarbeiter in der Industrie oder im sozialpädagogischen Bereich, manche sind alleinerziehend und noch in der Ausbildung. Die meisten haben keine Familie in der Nähe.
„Wir haben uns bis jetzt dreimal zusammen mit den Kindern getroffen, um einander kennenzulernen“, sagt Abisur. „Das war total schön, wir verstehen uns gut.“ Ihr ist wichtig, dass unter den Beteiligten ein Vertrauensverhältnis geschaffen wird, bevor das eigentliche Projekt an den Start geht. „Das Ganze soll sehr familiär sein“, sagt die Mutter. Immerhin vertraue man den anderen ja auch seine Kinder an.
Interessierte können sich bis Jahresende beim Familienzentrum melden
„Wir planen aktuell, dass das Elternnetzwerk Ende des Jahres startet“, sagt Abisur. Bis dahin können sich weitere interessierte Elternteile aus Bad Oldesloe und der näheren Umgebung unter familienzentrum@kirche-oldesloe.de melden. Ungefähr dann möchte die Mutter auch mit ihrer Ausbildung starten. „Ich habe in Frankreich eigentlich Fremdsprachen studiert und war viele Jahre Sachbearbeiterin im Export“, sagt sie.
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Ein Freiwilligendienst führte sie nach Deutschland. Sie blieb, wohnte ab 2013 zunächst in Hamburg, seit 2018 in Bad Oldesloe. Zur Pflege sattelte sie aus Leidenschaft um. „Eigentlich wollte ich meine Ausbildung schon früher beginnen, aber das war wegen der Betreuung meines Sohnes bislang nicht möglich“, sagt sie.
Einzigartige Idee: Vorbilder hatte Initiatorin für das Elternnetzwerk nicht
Auch Sohn Spencer soll von dem Elternnetzwerk profitieren. „Er ist ein Corona-Baby“, sagt Abisur. „Wir haben in den vergangenen Jahren viel Zeit zu zweit verbracht. Sämtliche Angebote wie Krabbelgruppe oder Elterncafé waren geschlossen. Das hat mir für ihn sehr leid getan.“ Sogar die Spielplätze waren zeitweise gesperrt. „Dabei liebt Spencer es, unter anderen Kindern zu sein.“ Er wird sich also sicher freuen, bald auch abseits der Kita ein paar Spielgefährten mehr zu haben.
Vorbilder für das Elternnetzwerk habe Abisur nicht gehabt, ähnliche Angebote seien ihr nicht bekannt. „Es war meine Idee“, sagt sie. Dass ihr innovativer Vorschlag überhaupt nötig war, dass Familie und Beruf ansonsten nicht miteinander vereinbar gewesen wären, ärgere sie aber nicht. Abisur: „Ich finde es schade. Aber solange ich eine andere Lösung habe, ist alles gut. Hauptsache, die Kinder sind gut betreut.“