Ahrensburg. Kita-Bedarfsplan zeigt regional differenziertes Bild. Neues Zahlenwerk berücksichtigt mehr Daten. Aber sind es auch die richtigen?

Glaubt man dem Recherchenetzwerk Correctiv, dann stehen viele Kitas in Deutschland vor dem Kollaps. Eine verlässliche, vertragsgemäße Betreuung könne oftmals nicht mehr gewährleistet werden. Wegen des chronischen Fachkräftemangels kämen viele Einrichtungen nicht umhin, Betreuungszeiten einzuschränken oder gar komplette Gruppen zumindest temporär zu schließen. Der Kreis Stormarn macht hier keine Ausnahme.

Laut einer Abfrage der Kreiselternvertretung (KEV) aus dem Vorjahr habe der durchschnittliche Betreuungsausfall pro Kind bei 3,42 Wochenstunden gelegen, aus einzelnen Kitas seien für konkrete Gruppen wöchentliche Ausfallzeiten von bis zu zwölf Stunden gemeldet worden. „Vor diesem Hintergrund muss nun auch der Bedarfsplan für das laufende Kitajahr betrachtet werden, der von der Kreisverwaltung jüngst vorgelegt wurde“, sagt Marco Heidorn, Co-Vorsitzender der KEV.

Kitas vor dem Kollaps? In Stormarn fehlen gut 220 Plätze

Laut dem 172 Seiten umfassenden Bedarfsplan lebten in den 55 Stormarner Kommunen am 1. August dieses Jahres 33.936 Kinder unter 14 Jahre. 10.500 von ihnen werden aktuell in 161 Kitas betreut, weitere 591 in der Tagespflege. Der Großteil der Kinder dort gehört zur Altersgruppe der unter Dreijährigen (U3), einige wenige haben das dritte Lebensjahr bereits vollendet.

„Den vorhandenen Plätzen steht eine hohe Nachfrage gegenüber“, heißt es im Bedarfsplan. So fehlten im laufenden Kitajahr vor allem im Krippenbereich rund 220 Betreuungsplätze, während es im Elementarbereich der Drei- bis Sechsjährigen (Ü3) ein Überangebot von mehr als 500 Plätzen gebe. Dort liegt die durchschnittliche Versorgungsquote bei 86,3 Prozent, im Krippenbereich bei 34,8 Prozent und in der Tagespflege bei knapp 20 Prozent.

Kitas Stormarn: Bedarfe der Eltern sind noch nicht eingeflossen

Auch wenn sich in den einzelnen Kommunen durchaus „ein strukturell differenziertes Bild“ ergebe, so entspreche das Angebot an Betreuungsplätzen im Ü3-Bereich sowohl bei der Stichtagsbetrachtung am 1. Juni 2023 als auch in der Fortschreibung für die kommenden drei Jahre „dem nachgefragten Bedarf in quantitativer Hinsicht“, heißt es in dem Bedarfsplan.

Das sieht die Kreiselternvertretung allerdings ganz anders. „Die qualitativen und quantitativen Bedarfe vieler Eltern dürften deutlich höher und anders sein“, sagt Heidorn. Der aktuelle Bedarfsplan sei rein statistisch gesehen zwar ausführlicher und detaillierter als seine Vorgänger, als Planungsinstrument aber nach wie vor völlig unzureichend.

Auf viele Fragen gibt es noch keine Antworten

„Die pauschale Zählung von Gruppen sagt doch nichts über deren zeitliche und qualitative Ausgestaltung aus“, moniert Heidorn. Fünf Stunden pro Tag mindestens mögen zwar dem formalen rechtlichen Anspruch genügen, hätten nur leider mit der Lebenswirklichkeit vieler Eltern wenig zu tun. „In diesen Zeiten, in denen nicht selten beide Elternteile einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen, reichen solche Angebote oft nicht aus“, so der Vater zweier Kinder.

Wie werden etwa die sogenannten Randzeiten von 7 bis 8 Uhr und von 15 bis 17 Uhr abgedeckt? Passen die angebotenen Öffnungszeiten überhaupt zu den Bedarfen der Eltern? Sind die gemeldeten Gruppen tatsächlich regelmäßig im Betrieb, oder stehen sie nur auf dem Papier? Und werden neue Kita-Kapazitäten schon eingerechnet, ohne genau zu wissen, ob Neu- und Zubauten überhaupt planmäßig an den Start gehen?

In Bad Oldesloe fehlen besonders viele Plätze

„Auf all diese Fragen gibt der vorliegende Bedarfsplan nach wie vor keine Antworten“, sagt auch Thomas Bellizzi, Chef der FDP-Kreistagsfraktion und Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses. Er freue sich wie die KEV, dass die neue Fachbereichsleitung in der Kreisverwaltung mehr Zahlen für den aktuellen Bedarfsplan erhoben habe. Wirklich ausreichend und aussagekräftig sei die Datenlage hingegen noch immer nicht.

Aus Sicht des Freidemokraten müsse das Werk vor allem stärker regionalisiert werden. „Offenbar gibt es im Süden des Kreises derzeit ein Überangebot an Plätzen, während der Norden teilweise unterversorgt ist“, sagt Bellizzi. Aus dieser Erkenntnis müssten konkrete Schlussfolgerungen und Gespräche mit den Kita-Trägern erwachsen. Während Städte wie Ahrensburg, Bargteheide, Reinbek und Glinde zum Teil erhebliche Überhänge gemeldet haben, fehlen in Bad Oldesloe offenbar besonders viele Plätze: Im Krippenbereich sind es 76, im Elementarbereich 35, Tendenz steigend.

Jetzt erfolgt jährliche Fortschreibung und Prognose

„Wir sind uns der noch begrenzten Aussagekraft des vorliegenden Bedarfsplans wohl bewusst“, sagt Carsten Reichentrog, Leiter des Fachbereichs Jugend und Schule. Angesichts der kurzen Zeitspanne, die seinem neuen Team seit Anfang April für die Bedarfsplanung zur Verfügung stand, sei er mit dem Ergebnis aber durchaus zufrieden. Im Gegensatz zum Vorgängerplan aus dem Jahr 2019 gebe es jetzt eine jährliche Fortschreibung samt Prognose.

„Wir befinden uns hier mitten in einem Prozess. Wir werden fortan mehr Manpower und Energie aufwenden, um die Datenlage zu verbessern und sie mit dem Kitaportal zu verknüpfen, um so belastbarere Aussagen als bisher zu ermöglichen“, erklärt Reichentrog. Geplant sei unter anderem, künftig auch die täglichen Betreuungsumfänge, respektive -ausfälle, und die Personallage in den Kitas zu untersuchen sowie die konkreten Bedarfe der Eltern abzufragen und einfließen zu lassen.

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Außerordentlich gelobt hat der Fachbereichsleiter unterdessen die Anstrengungen der Kreispolitik zur Fachkräftegewinnung. Wie bereits berichtet, hatte der Kreistag bereits im Vorjahr beschlossen, selbst in die praxisintegrierte Ausbildung (PiA) von Erziehern und sozialpädagogischen Assistenten (SPA) zu investieren. So haben im August statt 30 nun 110 Bewerber ihre dreijährige Ausbildung in den Berufsschulen Bad Oldesloe und Ahrensburg aufgenommen.

„Das im Jahr 2023 gestartete Pilotprojekt hat sich längst als Erfolgsmodell erwiesen“, so Carsten Reichentrog. Wichtig sei nun aber, das Angebot und dessen Förderung zu verstetigen und auszubauen. Dabei sei mehr denn je auch die Landesregierung gefordert. Die Träger von Kitas und anderen Einrichtungen der Jugendhilfe müssten jedoch auch andere Modelle prüfen. „Wir werden auf jeden Fall den überaus erfolgreichen Matching-Day wiederholen, um weitere Quereinsteiger für eine verlässliche Kinderbetreuung zu gewinnen“, versprach er.