Kiel/Berlin. Krankenhausschließungen sind nicht auszuschließen, sagt Kerstin von der Decken. Ihre Kritik: Es gibt kein verlässliches Miteinander.
Die Verhandlungen um die große Krankenhausreform ziehen sich in die Länge. Der ursprüngliche Zeitplan ist gerissen. Die Folge: Zahlreichen Kliniken droht die Insolvenz. Die schleswig-holsteinische Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken (CDU) erhöht jetzt den Druck auf Karl Lauterbach (SPD). Sie wirft dem Bundesgesundheitsminister im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt vor, in den Gesprächen mit den Ländern Vertrauen verspielt zu haben.
Hamburger Abendblatt: Deutschland droht das große Kliniksterben. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach rechnet mit 100 Klinikinsolvenzen in diesem Jahr. Übertreibt er?
Kerstin von der Decken: Es ist nicht nur Karl Lauterbach. Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft publiziert immer wieder Zahlen über erfolgte oder drohende Klinikinsolvenzen. Wie viele Kliniken betroffen sein werden, wird sich zeigen. Aber dass die Krankenhauslandschaft vor weiteren Insolvenzen steht, ist unstrittig.
Sollten 100 Kliniken bundesweit vor dem Aus stehen, dürften rechnerisch vier in Schleswig-Holstein gefährdet sein. Erscheint Ihnen die Zahl realistisch?
Wir hatten 2023 bereits drei Klinikinsolvenzen in Schleswig-Holstein. Das war ein klares Alarmsignal. Solange es vom dafür zuständigen Bund keine Anpassung der Vergütung gibt, müssen wir mit weiteren Insolvenzen rechnen.
Krankenhausreform: Kieler Gesundheitsministerin kritisiert Karl Lauterbach
Mit der Krankenhausreform sollen die Kliniken eine solide finanzielle Grundlage bekommen. Nur: Wann wird sie beschlossen und vor allem – wann wird sie umgesetzt?
Selbst, wenn der Bund noch in diesem Jahr ein neues Bundesgesetz erlässt, das die Klinikfinanzierung auf neue Füße stellt, würde die Wirkung erst 2026 oder später einsetzen. Das heißt, wir sind in einer Überbrückungsphase, in der Kliniken überleben müssen, bis die neue Finanzierung greift. Noch ist unklar, wie der Bund diese Phase überbrücken will und wie anschließend die Klinikfinanzierung aussieht.
Wie weit ist die Reform?
Wir müssen die Kliniklandschaft reformieren, Spezialbehandlungen in bestimmten Häusern konzentrieren, gleichzeitig die Grund- und Notfallversorgung in der Fläche sichern und dabei insbesondere sektorenübergreifende Strukturen ausbauen, in denen ambulante und stationäre Versorgung eng miteinander verzahnt werden. Dieser Veränderungsprozess wird viele Jahre dauern. Der ursprüngliche Zeitplan des Bundes ist mittlerweile obsolet. Demnach sollte die Reform schon 2023 beschlossen sein. Der neue Zeitplan des Bundesgesundheitsministers ist ehrgeizig. Er will den Gesetzentwurf noch im April in den Bundestag bringen.
Was spricht dagegen?
Die Länder hatten Ende 2023 sieben Punkte genannt, die im Gesetz Berücksichtigung finden müssen. Die Aufnahme dieser Punkte hat uns der Bundesgesundheitsminister zugesagt. Versprochen war ebenso, den Ländern den entsprechend überarbeiteten dritten Arbeitsentwurf des Gesetzes bis Anfang Dezember 2023 vorzulegen. Für dessen Prüfung sollten die Länder vier Wochen zur Bearbeitung bekommen. Erst danach sollte ein Referentenentwurf erarbeitet werden und das Gesetzgebungsverfahren starten. Diese Zusage wurde nicht eingehalten. Zwar gibt es mittlerweile vage Ankündigungen zum weiteren Verfahrensablauf, aber im Augenblick stehen wir vor einer Blackbox. Ich appelliere an den Bundesgesundheitsminister, zurück, zum gemeinsamen und echten Austausch in der Sache zu kommen.
Bund und Länder wollen das bisherige System der Fallpauschalen größtenteils abschaffen. Die Kliniken sollen künftig 60 Prozent der Vergütung allein schon für das Vorhalten von Leistungsangeboten bekommen. Nimmt das den Kliniken den ökonomischen Druck?
Wenn es so umgesetzt würde, wie es gedacht war, ja. Aber die vom Bund geplante Vorhaltefinanzierung wird, nachdem was bislang bekannt ist, nicht funktionieren. Die ursprüngliche Idee war eine Art Feuerwehrprinzip für Kliniken im ländlichen Raum: Die Feuerwehr bezahlen wir ja auch, egal wie viele Einsätze sie fährt – einfach weil sie da sein muss. Aber so wie die Vorhaltefinanzierung im uns bekannten zweiten Arbeitsentwurf des Bundes konstruiert ist, ist sie gekoppelt an Erlöse und Fallzahlen. Das führt dazu, dass es bei einer nicht auskömmlichen Finanzierung bleibt. Das löst die Probleme nicht. Schlimmer noch, das Gesetz schafft neue Fehlanreize und noch mehr Bürokratie. Es ist, wenn es so kommt, schlicht schlecht gemacht.
Der Reformentwurf sieht vor, dass die Kliniken sich stärker differenzieren. Man will weg vom Prinzip, dass jede Klinik alles macht. Fachlich klingt das gut. Aber worauf müssen sich die Menschen in Schleswig-Holstein einstellen?
Es wird Konzentrationsprozesse für hochkomplexe und planbare Eingriffe geben. Ein fiktives Beispiel: Eine komplexe Schulteroperation – das kann nicht jede Klinik, das wird künftig auch nicht mehr jede Klinik machen. Für planbare komplexe Operationen durch Fachleute sind Patienten auch bereit, weitere Strecken mit zwei oder drei Stunden Fahrtzeit auf sich zu nehmen. Daneben wird es Häuser für die Notfall- und Grundversorgung in der Nähe geben. Klinikschließungen sind nicht auszuschließen, jedoch ist unser Ziel, die Umstrukturierung der Kliniklandschaft gemeinsam mit den Beteiligten vorzunehmen. Die begrenzten Ressourcen, sowohl wertvolle Fachkräfte als auch finanzielle Mittel, erfordern diesen Umstrukturierungsprozess.
Nach welchen Kriterien wollen Sie festlegen, welche Klinik welche Leistungen erbringen darf und welche eventuell geschlossen wird?
Wir erstellen aktuell für Schleswig-Holstein mit Unterstützung durch externe Experten eine Versorgungsbedarfsanalyse. Damit wird der Istzustand – wo leben wie viele Menschen, in welche Kliniken gehen sie mit welchen Erkrankungen – und der erwartete Zustand – wie entwickeln sich diese Zahlen – mit den Kliniken, deren Leistungsspektrum, Fallzahlen, Fahrtzeiten und vielen weiteren Parametern zusammengetragen und bewertet. Dann können wir sehen, wo Überversorgung und wo Unterversorgung für welche Art von Behandlung und Versorgung gegeben ist bzw. droht. Das wird die Grundlage für die Überarbeitung der Planung unserer Krankenhauslandschaft, die wir dann im nächsten Jahr mit der Vergabe neuer Versorgungsaufträge an die Krankenhäuser umsetzen wollen. Mir ist dabei besonders wichtig, die Akteure in dem Prozess mitzunehmen, denn es kann nur gemeinsam gut funktionieren.
Sie wehren sich gegen das sogenannte Klinik-Transparenzgesetz. Was soll falsch daran sein, wenn die Daten zur Behandlungsqualität aller Kliniken als Information für Patienten und Patientinnen veröffentlicht werden sollen?
Transparenz ist gut, das Transparenzgesetz ist es nicht. Denn damit will der Bund den Krankenhäusern Leistungsgruppen zuordnen, die bislang weder gesetzlich definiert, noch von den Ländern zuvor den Krankenhäusern zugewiesen worden sind. Das ist nicht im Interesse der Patientinnen und Patienten. Und es stellt einen Eingriff in die Planungshoheit der Länder dar. Das Transparenzgesetz wird zu großer Verunsicherung führen. Und es wird ein neues Bürokratiemonstrum für die Kliniken geschaffen.
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Fühlen Sie sich von Bundesgesundheitsminister Lauterbach ausgetrickst, indem er versucht, mit dem Transparenzgesetz und mit der Krankenhausreform Gesundheitspolitik an den Bundesländern vorbei zu machen?
Wir sind willens und bereit, das Gesundheitswesen gemeinsam mit dem Bund zu reformieren. Aber das geht nur unter zwei Prämissen: Erstens, wir arbeiten tatsächlich inhaltlich zusammen. Und zweitens, man hält sich an Zusagen. Wir brauchen Verlässlichkeit. Es gibt aber derzeit kein verlässliches Miteinander. So geht Vertrauen verloren.