Bargteheide. Warum der Stadt Bargteheide mit dem Erweiterungsbau am Haferkamp in Rekordzeit ein echtes Vorzeigeobjekt gelungen ist.
„Ich hoffe, wir müssen nie wieder darüber nachdenken, ob wir eine Turnhalle umwidmen müssen, um dort Flüchtlinge unterzubringen.“ Das sagte Bargteheides Bürgermeisterin Gabriele Hettwer jüngst bei der Präsentation des dritten Gebäudes für Schutzsuchende am Haferkamp. Ob das angesichts der Eskalation im Nahen Osten und des forcierten Kriegs Russlands gegen die Ukraine nur ein frommer Wunsch bleibt, wird sich zeigen. Auf jeden Fall wird die Turnhalle der Dietrich-Bonhoeffer-Schule im Schulzentrum nach den Frühjahrsferien ab Montag, 22. April, wieder dem Schul- und Vereinssport zur Verfügung stehen.
Mit Hochdruck hat die Stadt in den vergangenen Monaten den Bau neuer Flüchtlingsunterkünfte vorangetrieben. Neben der Notunterkunft an der Alten Landstraße, einem Containerkomplex für bis zu 56 Schutzsuchende in unmittelbarer Nachbarschaft zum Neubau der Waldorfschule, entstand am Haferkamp in Rekordzeit von neun Monaten ab Baugenehmigung ein weiteres Gebäude mit vier Wohnungen à 62 Quadratmetern für bis zu 24 Personen.
Flüchtlingsquartier in Bargteheide: Rohbau innerhalb von drei Tagen hochgezogen
„Dabei handelt es sich um einen zweigeschossigen Holzständerbau, dessen Elemente zu großen Teilen vorgefertigt waren und vor Ort nun noch zusammengefügt werden mussten“, erklärt Projektleiterin Katja Liebehentschel. So sei etwa das Bad als fertiges Modul eingesetzt worden, was die Bauzeit enorm verkürzt habe.
Den Rohbau hatte die Firma Holzbau Gehrmann aus Hoisdorf bereits in der Vorweihnachtswoche an nur drei Arbeitstagen hochgezogen. Seit Januar lief dann der Innenausbau und Anfang April war mit der Möblierung begonnen worden. Acht Jahre nach dem Bau der ersten beiden Gebäude gilt der dritte Riegel nun als bezugsbereit.
Flüchtlingsquartier in Bargteheide: Decken sind nicht gestrichen, sondern getäfelt
Mit dem Neubau ist der Stadt ein echtes Vorzeigeobjekt gelungen. Es bietet den Bewohnern einen Komfort, der sich bei Containerbauten kaum realisieren lässt. Die abgeschlossenen Wohneinheiten bieten drei Schlafräume mit jeweils zwei Betten und Schränken sowie ein Bad und eine Küche mit Aufenthaltsqualität.
Im Bad steht neben WC, Dusche und Waschbecken auch eine Waschmaschine zur Verfügung. In der Küche finden sich neben einer Kühlkombination mit Gefrierfach auch eine Grundausstattung an Besteck, Geschirr und Töpfen. Zudem sind alle Decken nicht einfach weiß gestrichen, sondern mit gemaserten Paneelen getäfelt.
400.000 von Investitionsbank eingeworben
1,16 Millionen Euro hat die Stadt investiert, von denen 400.000 Euro durch die Investitionsbank Schleswig-Holstein (IB.SH) gefördert worden sind. Trotzdem wurde immer wieder die Frage laut, ob das nicht zu viel Geld für vergleichsweise wenig Wohnraum ist. „Ja, die Frage kann man stellen“, räumt Bürgermeisterin Hettwer ein. Dafür genüge der Bau aber eben allen heutzutage geltenden Baustandards für Wohnraum.
„In Zeiten angestrebter Klimaneutralität hatte die Kommunalpolitik auf eine energie- und ressourcensparende Ausstattung gedrängt, dem sind wir als Verwaltung nachgekommen“, sagt Hettwer. So hätten alle Räume eine Fußbodenheizung, die die durch eine Wärmepumpe gespeist wird, angetrieben durch eine Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 8,5 kWp auf dem Dach des Hauses. „Zudem stammt das Ständerwerk aus nachhaltig angebautem Holz und die Fassaden sind so ausgestaltet, dass sich die Innenräume bei starker Sonneneinstrahlung nicht übermäßig erhitzen“, ergänzt Projektleiterin Katja Liebehentschel.
Unterkünfte sollen später Sozialwohnungen werden
Ein weiterer wichtiger Teil des Konzepts besteht in der Option, die Flüchtlingsunterkünfte in Sozialwohnungen umzuwandeln zu können. „Durch die Entfernung einer nichttragenden Wand zwischen Küche und einem der Schlafräume kann alternativ eine wohnlichere Raumaufteilung ermöglicht werden“, sagt Sven Dutschmann, Fachbereichsleiter Bauen im Rathaus.
Anders als vor zehn Jahren ist die Erweiterung des bestehenden Quartiers von den Anwohnern diesmal weitaus wohlwollender aufgenommen worden. Im Oktober 2015 hatte das noch ganz anders ausgesehen. Als die ersten Pläne zur Bebauung des städtischen Grundstücks bekannt wurden, sind nicht wenige Nachbarn Sturm gegen das Projekt gelaufen.
Bürgerproteste wie vor zehn Jahren blieben aus
Auf einer Sondersitzung des Haupt- und Sozialausschusses mit rund 80 besorgten Bürgern waren seinerzeit mehrere Unterschriftenlisten gegen die Flüchtlingsunterkunft übergeben worden. Befürchtet wurden unter anderem ein Werteverfall der Grundstücke im Umfeld, ein Ansteigen der Einbruchskriminalität, sowie eine drohende Ghettoisierung.
Nichts davon wurde in der Folgezeit zu einem ernsthaften Problem. Als Sven Dutschmann die Nachbarn jetzt zu einer Begehung des neuen Gebäudes einlud, war er vielfach auf reges Interesse gestoßen. „Von Beschwerden ist im Rathaus jedenfalls nichts vernommen worden“, betont Dutschmann.
Stadt konnte Zuweisungsquote längere Zeit nicht erfüllen
Derweil erhofft sich die Stadt durch die Zubauten am Haferkamp und an der Alten Landstraße eine spürbare Entspannung bei der Flüchtlingsunterbringung. „Die Stadt lag längere Zeit unter dem Soll ihrer Zuweisungsquote durch den Kreis, deshalb gab es dringenden Handlungsbedarf“, sagt Bürgermeisterin Gabriele Hettwer. Das soll sich möglichst nicht wiederholen.
Wie und von wem das dritte Gebäude am Haferkamp tatsächlich belegt wird, stehe indes noch nicht genau fest. So ist etwa eine Umverteilung der bereits in Bargteheide lebenden Flüchtlinge geplant. 336 Geflüchtete, Asylbewerber und Obdachlose waren zuletzt in mehr als 46 Wohnungen untergebracht.
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„Es ist ja sinnvoller, die Wohneinheiten mit Familien zu belegen als mit sechs Personen, die sich untereinander völlig fremd sind“, erläutert Hettwer. Jedenfalls zeigte sie sich hochzufrieden, dass die neue Unterkunft nur sechs Monate nach Baubeginn fertiggestellt werden konnte.
Ob angesichts der weiter schwelenden kriegerischen Konflikte damit genug Kapazitäten geschaffen worden seien, bleibe abzuwarten. Die Bürgermeisterin schließe keineswegs aus, dass künftig weitere potenzielle Standorte für Unterkünfte betrachtet werden müssten. Dazu zählen unter anderem das Areal der „Villa Wacker“ am Bahnhof, Baulücken am Erich-Kästner-Weg und am Fischbeker Weg/Am Krögen, aber auch Grünflächen zwischen Friedhof und Pferdeklinik nördlich der Alten Landstraße, sowie an der Ostpreußenstraße.