Glinde. Natalia Lenz hat genug vom Angestelltendasein in der Pflege. Ihre Firma mit Sitz in Glinde bietet Patienten besonderen Service.
Der Standort ihres Büros in der Glinder Marktpassage ist zwar nicht die erste Wahl, weil sie eigentlich in Oststeinbek Räume mieten wollte in unmittelbarer Nähe des Wohnsitzes. Dort war für Natalia Lenz aber nichts zu bekommen. Sie hatte keine Lust, noch länger zu warten, um etwas Passendes in der 9000-Einwohner-Gemeinde zu finden. Der Drang, sich beruflich umzuorientieren und sein eigener Chef zu sein, ist einfach zu groß gewesen. Die Frau hat sich selbstständig gemacht in einem Alter, in dem eine Existenzgründung für viele nicht mehr infrage kommt. Sie ist 51 Jahre, führt mit einem Partner einen ambulanten Pflegedienst, der jetzt den Betrieb aufgenommen hat.
„Der Job als Angestellte war für mich nicht mehr tragbar. Es gab keinen Freiraum, Entscheidungen zu treffen, dazu der Zeitdruck. Man hatte keine Verschnaufpause mehr“, sagt die examinierte Krankenschwester. Sie werde mit ihrem Personal anders umgehen und es besser machen. „Ein gutes Betriebsklima ist mir wichtig. Bei den Vorstellungsgesprächen bin ich auf Wünsche eingegangen, die Freizeitplanung und Familie betreffen.“ Lenz hat elf Jahre als Pflegedienstleiterin in drei Unternehmen gearbeitet, ihre letzte Stelle kündigte sie nach nur drei Monaten.
Ziel sind 20 Mitarbeiter und 200 Patienten
Pflegekräfte hierzulande klagen über hohe körperliche Belastung und Personalmangel. Zahlreiche Überstunden und nicht kalkulierbare Dienstpläne sind keine Seltenheit. Insgesamt arbeiten mehr als 1,7 Millionen Menschen in der Pflege, davon rund 40 Prozent in Krankenhäusern. In den kommenden neun bis elf Jahren werden 500.000 Fachkräfte in Rente gehen – und die Zahl der Bedürftigen steigt ob des demografischen Wandels. Nicht wenige möchten in den eigenen vier Wänden betreut werden. An Klientel dürfte es Lenz demnach nicht mangeln.
Bislang hat sie 20 Kunden. Diese leben in Glinde, Reinbek, Oststeinbek und Billstedt. Die Unternehmerin darf nach eigener Aussage in einem 30-Kilometer-Radius ihre Dienste anbieten. Zum Start hat sie zwei Personen in Voll- und eine in Teilzeit angestellt. Lenz macht selbst Hausbesuche genauso wie ihr Geschäftspartner Jama Norestanee. Der 47-Jährige ist gelernter Gesundheits- und Pflegeassistent, kommt also vom Fach. Er sagt: „Wir wollen natürlich wachsen. 20 Mitarbeiter und 200 Patienten sind das Ziel.“ Das Duo hat zwei Fahrzeuge angeschafft. Beide sind zu 50 Prozent an der Firma beteiligt.
Angestellte wurden bereits einen Monat vor Betriebsstart bezahlt
Dagmar Broszehl aus Bergedorf wurde als Pflegedienstleitung gewonnen. Die 60-Jährige und Lenz haben bereits vor der Firmengründung an anderer Stelle zusammengearbeitet. Sie sagt: „Wir haben dieselbe Vision, wie man Pflege gestaltet. Das ist der Hauptgrund für meinen Wechsel hierher.“ Allerdings verdiene sie auch mehr und habe jetzt 32 statt 30 Tage Urlaub im Jahr. Bezahlt werden Broszehl und die Kollegen schon seit Februar. Denn geplant war die Betriebsaufnahme vor einem Monat. Nun ist es der 1. März geworden.
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„Wir haben erst am vergangenen Dienstag die mündliche Zusage der Innungskrankenkasse für die Zulassung erhalten. Wenn das entsprechende Schriftstück eingegangen ist, dürfen wir abrechnen“, sagt Lenz. Das Gesundheitsamt habe bereits im Januar das Einverständnis erteilt. Bedingung sei gewesen, dass man über ein Büro verfüge. Das ist seit Jahresbeginn gemietet. Bereits im Oktober 2023 hatte Lenz eine spezialisierte Agentur aus Berlin mit dem Verfassen der Anträge beauftragt. Sie wollte sicher gehen, dass die Dokumente fehlerfrei sind.
Das Abrechnungswesen regelt ein externer Dienstleister
Die Unternehmerin wurde in Kaliningrad in der früheren Sowjetunion geboren, siedelte im Alter von 26 Jahren nach Deutschland über. Ihre beiden Kinder sind inzwischen erwachsen. Die Ausbildung wurde hier nicht anerkannt, sie arbeitete zunächst in einem Behindertenheim und machte das Krankenschwester-Examen ein zweites Mal in neuer Umgebung. Danach war Lenz unter anderem in einer Klinik im Harz beschäftigt. Zusätzlich machte die Frau eine Ausbildung zur Heilpraktikerin. Mit dieser Bezeichnung wollte sie sich vor drei Jahren selbstständig machen in ihrem Haus in Lauenburg. „Dann hat sich die Lebenssituation schlagartig geändert.“ Lenz lernte ihren heutigen Partner kennen und zog nach Oststeinbek.
Der ist im Ort kein Unbekannter und hat eine soziale Ader. Jakob Rohde (57) unterstützt Schwächere ehrenamtlich, nicht nur als Vorsitzender des Flüchtlingshilfevereins. Seit 2016 organisiert er jedes Jahr ein Charity-Golfturnier, zuletzt ging die Spende an die Glinder Tafel. Rohde hatte bereits im Alter von 19 eine Firma gegründet und ist jetzt Privatier. Er berät Lenz in kaufmännischen Angelegenheiten. Das Abrechnungswesen des Pflegedienstes mit dem Namen „Lenz & Nores“ wird über einen externen Dienstleister geregelt. „Wir konzentrieren uns ausschließlich auf Pflege und Betreuung“, sagt die Gründerin.
Wenn Lenz über ihre jahrzehntelange Tätigkeit in der Pflegebranche spricht, nimmt man es ihr ab, dass sie nicht auf ein möglichst hohes Einkommen schielt, sondern in erster Linie das Wohl der Klienten im Vordergrund steht. Die Expertin kümmert sich auch als Geschäftsführerin um Tracheostomapatienten und wechselt Kanülen für die künstlich angelegte Luftröhrenöffnung. Sie wird mehr Zeit im Außendienst verbringen als im 100-Quadratmeter-Büro in der zweiten Etage des Rotklinkergebäudes. Für Kunden gibt es zudem einen besonderen Service. Natalia Lenz: „Wenn jemand in die Kirche möchte, fahren wir ihn gratis dahin.“ Das Interesse, Teil ihres Unternehmens zu werden, ist offenbar groß. Sie habe mehrere potenzielle Mitarbeiter auf einer Warteliste registriert. Um diese einzustellen, bedarf es jedoch zusätzlicher Patienten.