Bargteheide. Modernste Technik hebt Ausbildung zur Pflegekraft auf neues Level. Das Konzept geht offenbar auf, erfuhren Chinesen jetzt in Stormarn.

Etwas hübscher könnte Anne schon sein. Aber um Schönheit geht es hier nicht. Denn für die Rolle, die sie spielt, ist ihr Aussehen perfekt: müde, lädiert, kränklich, kurzum – pflegebedürftig. Anne ist eine Hightech-Puppe, der erste Patientendummy, der alle Aspekte für die generalistische Pflegeausbildung abdeckt. Und genau darum geht es im Bargteheider Bildungszentrum Malepartus, das gerade weitgereisten Besuch aus dem Reich der Mitte empfangen hat. Eine hochrangige Delegation aus Schleswig-Holsteins chinesischer Partnerprovinz Zhejiang unter der Leitung von Vizegouverneurin Wang Wenxu weilte in der Stormarner Provinz, um sich dort über die Altenpflege und deutsche Ausbildungsstandards zu informieren.

„Für uns ist der Besuch eine große Ehre und ein Beleg dafür, dass wir in diesem gesamtgesellschaftlich bedeutenden Bereich offenbar sehr gut aufgestellt sind“, sagt Mathias Steinbuck, Gastgeber und Geschäftsführer der stb-care Holding. Als Ende 2021 bundesweit mehr als 35.000 Pflegekräfte fehlten, startete der Unternehmer nicht nur eine weithin beachtete Imagekampagne für den Beruf in den sozialen Netzwerken, sondern sorgte zudem für einen Ausbau der Pflegeschule im Malepartus-Park.

231 Pflegeschüler aus 26 Nationen

Mit Erfolg. Inzwischen zählt die Einrichtung 231 Schüler und damit 60 mehr als Mitte vergangenen Jahres. „Wir hatten noch deutlich mehr Bewerbungen, sind mit der aktuellen Schülerzahl nun aber wirklich an den Grenzen unserer räumlichen Kapazitäten angelangt“, sagt Angela Poling, die Leiterin des Bildungszentrums Malepartus.

Die chinesische Delegation und ihre Gastgeber vor dem Haupteingang des Bildungszentrums Malepartus.
Die chinesische Delegation und ihre Gastgeber vor dem Haupteingang des Bildungszentrums Malepartus. © HA | Lutz Kastendieck

Ein Blick in einen der hellen, modernen Lehrräume, die durchweg mit interaktiven Smartboards und Beamern ausgerüstet sind, zeigt den chinesischen Besuchern, wie buchstäblich bunt gemischt die neun Klassen der Lehreinrichtung sind. „Bei uns lernen angehende Pflegefachkräfte aus 26 verschiedenen Nationen, die mehr als ein Dutzend Sprachen sprechen“, berichtet Poling.

Tablet ist mit 25 Fachbüchern bestückt

Wer in dem Gebäude gleich neben dem ehemaligen Jagdschloss mitten im weitläufigen Malepartus-Park eine Ausbildung aufnehme, bekomme statt einer Schultüte ein iPad überreicht, das mit Dateien aus 25 Fachbüchern bestückt sei. Das habe sich vor allem während der Corona-Pandemie als vorteilhaft erwiesen, weil trotz des ausgesetzten Präsenzunterrichts jederzeit Anleitung durch die Dozenten und Austausch unter den Mitschülern möglich gewesen seien.

Beim Rundgang in der hochmodern ausgestatteten Pflegeschule erregt dann der große Praxisraum im Untergeschoss das besondere Interesse der Gäste. Dort bekommen Vizegouverneurin Wang und ihre Begleiter zuerst zwei besondere Babypuppen in den Arm gelegt, mit denen die Schüler das Wickeln, die Körperpflege und sogar das Füttern von Säuglingen üben können.

Anne ist ein Wunderwerk der Technik

Noch beeindruckender ist allerdings die Stippvisite bei der eingangs bereits erwähnten Anne. Vermeintlich reglos liegt sie da in ihrem Bett. Dabei kann sie, quasi auf Knopfdruck, atmen, röcheln, stöhnen und sogar die Augen bewegen. Ihre wahren Werte schlummern derweil vor allem unter ihrer Plastikhaut.

Angela Poling (l.) zeigt Wang Wenxu (4. v. r.) und ihren Begleitern zwei Babypuppen.
Angela Poling (l.) zeigt Wang Wenxu (4. v. r.) und ihren Begleitern zwei Babypuppen. © HA | Lutz Kastendieck

„Sie ist ein Wunderwerk der Technik und hat unsere Ausbildung auf ein neues Level gehoben“, sagt Poling. Neben auswechselbaren Pupillen, Haaren und Häuten können der Simulationspuppe diabetische Füße in unterschiedlichen Stadien verpasst werden sowie subkutane Injektionspads und diverse Wundmodule, um die praktischen Übungen für die Pflegeschüler noch realitätsnaher zu gestalten.

Pflegedummy hat 35.000 Euro gekostet

„Sie können dank einer computergesteuerten Voreinstellung Anne den Puls fühlen, ihren Blutdruck und Herzschlag messen. Durch verschiedene Tanks im Körper kann sogar das Legen von Blasenkathetern geübt werden, und auch einen Asthmaanfall zu simulieren ist möglich“, beschreibt Angela Poling die unschätzbaren Vorzüge von „Nursing Anne“. Die zwar mit 35.000 Euro den Anschaffungspreis eines Mittelklassewagens habe, aber jeden einzelnen Cent wert sei.

Unverzichtbarer Teil der hochwertigen Ausstattung sind inzwischen auch VR-Brillen. „Sie helfen vor allem bei Ausbildungsinhalten zum ambulanten Pflegedienst“, sagt Mathias Steinbuck. Die Brillen erzeugten per virtueller Realität bestimmte Situationen in Wohnungen, auf die die Schüler dann richtig und fachgerecht reagieren müssten. Etwa Radio oder Fernseher abstellen oder Anwesende auffordern, das Rauchen einzustellen.

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„Alle Handlungen können in Wort und Bild aufgezeichnet werden, um sie dann gemeinsam zu besprechen“, erklärt Angela Poling. Die hochwertige Ausbildungstechnik versetze die Pflegeschüler letztlich in die Lage, den Anforderungen an ihr Curriculum zu genügen, und helfe bei der unmittelbaren Prüfungsvorbereitung.

Die umfassende Digitalisierung der gesamten Ausbildung sei darüber hinaus aber ein wichtiger Baustein, um die Schüler mit einer modernen Lehre für einen Job zu motivieren, der in einer Gesellschaft mit immer älter werdenden Menschen an Bedeutung zunehme. Mathias Steinbuck: „Insofern ist die Tatsache, dass es mehr Bewerber gab, als wir aktuell aufnehmen konnten, ein positiver Trend, der die prekäre Personallage in vielen Einrichtungen der Altenpflege hoffentlich nachhaltig entspannen wird.“