Reinbek. Reinbekerin gründet besonderes Reisebüro: Aufforstung im Jemen, Müll sammeln in Norwegen – darf man dafür wohl per Flugzeug anreisen?
Reisen vom Sofa aus sind eigentlich am nachhaltigsten: Bilder anschauen im Internet oder im Fernsehen. „Die Diskussion, ob man für nachhaltige Reisen fliegen darf, führen wir natürlich auch immer wieder“, sagt Fabienne Gorges. „Aber man kann den Menschen das Reisen nicht verbieten.“ Gemeinsam mit Lena Goßens (23) aus Wesel und Martin Kaiser (29) aus Niederbayern hat die 27-Jährige kürzlich in Reinbek das Start-up ExpeditionXplore im Bereich Expeditionsreisen gegründet. Das erklärte Ziel des Teams mit heute zwölf Mitgliedern: neue Maßstäbe im Tourismus setzen und die Mitreisenden dabei aus ihrer Komfortzone locken.
„Wir haben es uns zum Ziel gemacht, unvergessliche Reisen an entlegene Orte anzubieten mit einem Expeditionsziel, das die ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stellt. Für Norwegen oder Schweden empfehlen wir für die Anreise den Zug“, sagt Gorges. „Wir bieten allerdings auch Reiseziele an, zu denen müssen normal Berufstätige mit nicht mehr als fünf Urlaubswochen im Jahr einfach hinfliegen. Das ist sonst zeitlich nicht anders zu machen.“
Nachhaltig reisen: Öko-Abenteuer, Urlaub – und dabei sinnvolle Projekte umsetzen
Die Lösung für sie und ihre Gleichgesinnten sei es, den Menschen in den Zielländern etwas Sinnvolles, Nachhaltiges zu hinterlassen: Gemeinschaftlich mit ihrer Reisegruppe bauen sie Gewächshäuser in der Mongolei für die harten Winter dort, sie errichten Wildfutterstände in Kirgisistan, sammeln auf Kajak-Touren Plastikmüll an entlegenen norwegischen Stränden oder forsten auch die klimaempfindlichen Drachenblutbäume auf der Insel Sokotra im Jemen auf.
Diese Projekte werden nicht von den Organisatorinnen und Organisatoren der Reise vorgeschlagen, sondern von ortsansässigen Nicht-Regierungs-Organisationen. „Wir fragen die Initiativen vor Ort, was die Menschen dort brauchen“, sagt Fabienne Gorges. „Die Touren arbeiten wir immer zu zweit aus, mit einem Guide vor Ort.“ Der begleite die Tour auch, so sei die Kommunikation gesichert. Dabei geht es außerdem um die Reiseroute, mögliche Plätze für Pausen, Zeltplätze zum Übernachten oder eben, wo die Tat- und Arbeitskraft der Reisenden sinnvoll eingesetzt werden soll: Alles wird sorgfältig geplant.
Nachhaltig reisen: Jede Reise wird sorgfältig geplant
Aber auch die Sicherheitsaspekte für den Notfall werden vorbereitet. „Wir sind alle gründlich in erster Hilfe geschult. Sollte doch einmal ein Notfall eintreten, sind wir in der Mongolei beispielsweise per Notknopf über GPS und Satellitentelefon mit den Rettungssystemen verbunden“, erklärt Gorges. „Allerdings ist das Risiko, im Autoverkehr zu sterben, größer als beim Wandern in der Wildnis.“
Während der Reise wird in Zelten übernachtet, und die Gruppe versorgt sich mit mitgebrachter Verpflegung selbst. Alles, was mit in die Natur gebracht wird, wird von den Reisenden wieder mitgenommen und erst in der Zivilisation entsorgt – bis hin zum Klopapier. Sieben Touren sind dieses Jahr geplant, von der Kajaktour in Norwegen bis zum Aufforstungsprojekt in Marokko (www.expedition-xplore.com).
Abenteuerlust und unvergessliche Reisen auch anderen ermöglichen
Die 27-Jährige ist in Reinbek groß geworden, draußen in der Natur zu spielen war in ihrer Kindheit selbstverständlich. Zur Schule gegangen ist sie am Gymnasium Wentorf. Die Liebe zur Natur, zu den Bergen und zum Skifahren wurden ihr quasi in die Wiege gelegt. Heute liebt sie das pure Naturerlebnis, wandert und zeltet am liebsten in der Wildnis. „Für mich ist die aktive Erholung das Richtige“, sagt die Jungunternehmerin. „Auf entschleunigte Weise in der Natur so viel wie möglich aufnehmen, das erdet mich.“
Vor etwa zweieinhalb Jahren sei sie auf eine Gruppe Gleichgesinnter aus der Outdoor-Szene gestoßen, die wie sie in den Zielländern, in denen sie wandern ging, etwas Bleibendes hinterlassen wollte. „Wir haben uns und anderen coole Reisen ermöglicht“, sagt Fabienne Gorges. Schließlich hätten sie gemerkt, dass sie sich dies auch beruflich vorstellen könnten. Im Dezember 2023 haben sie ExpeditionenXplore gegründet.
Noch kann niemand von dem Start-up leben
„Dabei geht es uns nicht darum, Profit zu machen“, sagt die 27-Jährige. „Es ist total toll, Menschen das weiterzugeben: Die Natur schweißt auch die Gruppe zusammen. Es ist eher wie in jedem Start-up: Wir müssen uns alle voll dahinterklemmen, Arbeit hineinstecken und sehen dann, ob und wie es sich auszahlt.“ Alle drei aus dem Gründungsteam haben noch einen Brotjob, Fabienne Gorges arbeitet für ein Unternehmen in Innsbruck, das aus E-Bikes Streetfood-Bikes herstellt.
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Für die Organisation von ExpeditionXplore werden unnötige Anfahrten vermieden. „Wir arbeiten vollständig remote“, sagt die Jungunternehmerin, die sich als Teamworkerin versteht. „Wir haben flache Hierarchien, alle können Reisen vorschlagen und planen. Wir drei behalten nur den Überblick und fassen die letzten Entscheidungen.“
Körperliche Fitness ist Voraussetzung für die Reisen
Die Expeditionen erfordern allerdings eine gewisse körperliche Grundfitness. Wer sich für eine Reise interessiert, wird vorher umfassend über die Anforderung informiert. Zuerst müssen alle einen Fragebogen ausfüllen, mit Fragen wie: „Hast du schon einmal in einem Zelt übernachtet?“ Oder: „Schaffst du es, mit einem 25 Kilogramm schweren Rucksack auf dem Rücken 15 Kilometer zu wandern?“ Außerdem lernen alle Teilnehmenden ihre Guides und die Gruppe per Videocall kennen. „So können alle schon eine erste Einschätzung vornehmen und gleichzeitig die Fragen aus der Gruppe beantworten“, erläutert Fabienne Gorges.
Jede Reise hat ihre eigenen Anforderungen. Auch Gorges ist schon mit sieben Litern Hafermilch im Rucksack die Berge in Österreich hinauf gewandert, um sich auf eine Reise vorzubereiten. Die Preise beginnen bei 1600 Euro für sieben Tage Trekking in Norwegen inklusive einer Übernachtung im Hostel bis zu 17 Tagen im letzten Inselparadies Sokotra inklusive Flug und Taucherlebnis in den Tropfsteinhöhlen. Mit einkalkuliert ist auch eine Ausgleichszahlung des Unternehmens an die Klimaschutzprojekte der Universität für Bodenkultur in Wien.