Grabau. Melvin Griese hat 20.000 Kilometer zurückgelegt, 27 Länder und vier Kontinente bereist. Zeitweise wurde es auch ungemütlich.
Als Melvin Griese seinen zwanzigtausendsten Kilometer radelte, war er gerade irgendwo in Niedersachsen. „Es war ein kleines Dorf bei Bremen“, sagt der 20-Jährige. Es war der Rückweg von seiner einjährigen Reise mit dem Fahrrad um die Welt. Bis in sein Heimatdorf Grabau war es nicht mehr weit.
Kurz vor dem Ziel entschloss er sich kurzerhand zu einer kleinen Planänderung: „Eigentlich war meine Rückkehr erst für den übernächsten Tag geplant, ich wollte noch durch ein paar deutsche Orte fahren“, sagt er. Doch weil seine Schwester am nächsten Tag ihr Abiturzeugnis bekommen sollte, entschied sich der große Bruder, seine Familie zu überraschen – und trat auf den letzten Kilometern so richtig in die Pedale.
Für seine Schwester fuhr er die Nacht durch und legte 330 Kilometer am Stück zurück
„Ich bin die Nacht durchgefahren“, sagt Griese. 330 Kilometer waren das. „Eine Viertelstunde, bevor die Entlassungsfeier losging, war ich da.“ Die Überraschung sei auf ganzer Linie geglückt, sagt Schwester Johanna: „Als ich meinen Bruder sah, habe ich vor Freude sofort angefangen zu heulen. Ich war den ganzen Tag durch den Wind.“ Auch die Eltern waren überglücklich, ihren Sohn nach einem Jahr wieder in die Arme nehmen zu können.
Was sich manche ihr ganzes Leben nicht trauen, nämlich ganz allein zu reisen, das hat Melvin mit gerade einmal 20 Jahren gemacht. Noch dazu war es eine unvergleichbare Tour: Mit seinem Fahrrad ist er einmal um die Welt geradelt, hat 27 Länder und vier Kontinente bereist. „Ich weiß auch gar nicht so richtig, woher ich den Mut genommen habe“, sagt er. „Ich habe es einfach gemacht.“
An den Tag, an dem er losfuhr, kann Melvin Griese sich gut erinnern
Warum er sich überhaupt für dieses Abenteuer entschieden hat? „Ich wusste, dass ich nach dem Abi ein Jahr Pause machen und etwas von der Welt sehen möchte“, sagt er. Als er überlegte, wie er das möglichst günstig anstellen könnte, kam er auf das Rad. Der Plan sei aufgegangen. „Ich hatte etwas Geld gespart und habe ein bisschen Unterstützung von meinen Eltern bekommen“, sagt der Grabauer. „So konnte ich die Reise gut finanzieren.“
An den Tag, an dem er losfuhr, kann er sich gut erinnern. „Es war der 11. Juli 2022“, sagt er. „Ich war mega aufgeregt und konnte in der Nacht davor kaum schlafen.“ Es habe sich unwirklich angefühlt, die altbekannte Straße vor der Haustür zum vorerst letzten Mal entlangzufahren und erst in einem Jahr zurückzukommen. Der damals 19-Jährige war bis dahin nie länger als ein paar Wochen von zu Hause weg gewesen.
Familie und Freunde begleiteten ihn die ersten Kilometer
„Meine Familie und Freunde begleiteten mich die ersten Kilometer bis nach Barkhorst“, sagt Griese. Danach ging es gemeinsam mit einem Freund weiter, der den Grabauer die ersten sechs Wochen begleitete. Die Strecke führte durch die Tschechische Republik, nach Österreich, Italien, Slowenien, Kroatien, Bosnien, Montenegro und Albanien. Dort verabschiedete Melvin Griese seinen Freund.
„Von da aus fuhr ich allein weiter“, so Griese. Ursprünglich war es nicht unbedingt sein Plan gewesen, allein zu radeln, doch er fand schnell Gefallen daran. „Ich habe es wahnsinnig genossen. Ich habe mich frei gefühlt, weil ich zu hundert Prozent machen konnte, was ich wollte.“
Je länger die Reise dauert, desto spontaner plante der Grabauer seine Route
Die Route hatte er grob vorab geplant. Doch je länger er unterwegs war, desto spontaner entschied er, wo er entlangfuhr. Mit Zelt im Gepäck suchte er sich seinen Schlafplatz. „In den meisten Ländern ist Wildzelten verboten, deshalb habe ich abends meistens Menschen angesprochen und gefragt, ob ich in ihrem Garten zelten darf“, so Griese. „Das hat fast immer geklappt.“
Seine größte Sorge, dass er sich irgendwann total einsam fühlen könnte, sei völlig unbegründet gewesen. Stattdessen sei er auf der ganzen Welt mit offenen Armen empfangen worden. „Es ging fast von selbst, neue Menschen kennenzulernen“, sagt er. Die überwältigende Gastfreundschaft gehöre zu den schönsten Erfahrungen, die er gemacht habe.
Die Zeit im Kosovo ist ihm besonders im Gedächtnis geblieben
„Besonders meine Zeit im Kosovo ist mir im Gedächtnis geblieben“, so Griese. Das war die nächste Station nach Albanien, bevor es nach Mazedonien, Bulgarien und in die Türkei ging. „Ich war vorher oft vor dem Kosovo gewarnt worden, weil es gefährlich sei. Deshalb hatte ich etwas Angst davor“, sagt er. „Aber als ich da war, habe ich das komplette Gegenteil erlebt. Die Menschen waren so offen und freundlich.“
An einem Tag etwa sei er von drei Männern angesprochen und zum Mittagessen in ein Restaurant eingeladen worden. „Der Kellner drückte mir einfach seinen Hausschlüssel in die Hand und sagte, dass ich in seiner Wohnung übernachten könne.“ Diese Art von Vertrauen habe er immer wieder erlebt. Griese: „Die Menschen haben mich zu sich nach Hause eingeladen, mir einen Schlafplatz angeboten, für mich gekocht, mir erlaubt, mich an ihrem Kühlschrank zu bedienen. Das hat mich wirklich berührt.“
Warum die Zeit in Asien für den Radfahrer die schwierigste war
Damit er nicht durch Krisengebiete und unsichere Länder fahren musste, flog er von der Türkei aus nach Asien. Dazu hatte ihn Mutter Regina überredet. Für sie sei das vergangene Jahr nicht immer leicht gewesen, gibt sie zu: „Als Melvin allein durch Asien gereist ist, habe ich mir schon Sorgen gemacht.“ Seie Route führte durch Vietnam, Laos, Thailand, Malaysia, Singapur und Indonesien.
„Die Zeit in Asien war teilweise sehr schwierig für mich“, sagt auch Melvin Griese. Denn obwohl er viele unvergesslich schöne Erfahrungen gemacht habe, habe es natürlich auch Tiefpunkte und Pannen gegeben. „Als ich in Vietnam ankam, habe ich schon einen ziemlichen Kulturschock erlitten“, sagt der 20-Jährige. „Die Luftfeuchtigkeit, der Verkehr und die Asiaten, für die ich als blonder, großer Mann oft eine Attraktion war – das war mir alles zu viel.“
Er dachte nie ernsthaft darüber nach die Reise abzubrechen
Dazu habe es viel geregnet. Er wurde krank, und zu Weihnachten habe ihn das Heimweh geplagt. „Als ich mit meiner Familie videotelefoniert habe, war ich schon traurig, dass ich nicht zu Hause war.“ 14 platte Reifen und drei gebrochene Speichen sorgten für unfreiwillige Verzögerungen. Außerdem musste Griese dreimal die Fahrradmäntel wechseln.
„Ich habe aber nie ernsthaft darüber nachgedacht, die Reise abzubrechen“, so der Grabauer. „Ab und zu wollte ich das Rad zwar wirklich nur in den Graben schmeißen und den nächsten Flieger nehmen, aber das hat nie länger als ein paar Stunden angehalten.“ Von Asien ging es nach Australien und im Anschluss nach Neuseeland. Dort traf er seine Eltern, die Anfang des Jahres Urlaub in dem Inselstaat machten.
Neuseeland und die USA haben Melvin Griese am meisten beeindruckt
„Neuseeland und die USA haben mich landschaftlich am meisten beeindruckt“, sagt der Abenteurer. Kurzzeitig reiste er mit seinem Vater durch Hawaii. Dann ging es die Westküste der USA entlang. Von San Francisco über Los Angeles und Las Vegas fuhr er die Route 66 entlang nach Chicago, machte einen Abstecher nach Kanada, fuhr durch New York. Schließlich flog er von Boston nach Paris, wo die letzte Etappe der Reise durch Westeuropa anstand.
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Seit einem guten Monat ist Melvin Griese nun wieder zu Hause in Grabau. Er hatte Zeit, alle Erlebnisse sacken zu lassen. „Die Reise hat viel mit mir gemacht“, sagt der 20-Jährige. „Ich habe heute überhaupt kein Problem mehr damit, Leute anzusprechen. Außerdem mache ich mir insgesamt viel weniger Gedanken über das Leben, weil ich gelernt habe, dass es für alles immer irgendwie eine Lösung gibt – auch, wenn die Dinge nicht nach Plan laufen.“
Von den Erfahrungen auf seiner Weltreise, da ist er sich sicher, wird er in Zukunft profitieren. Die nächste Etappe des Lebens wartet jetzt auf ihn. Die ist allerdings nicht ganz so weit entfernt: Für ein Architekturstudium geht es ab Oktober nach Hamburg.