Bargteheide. Bargteheider haben den Verein Geschichtswerkstatt gegründet. Welche Recherchen zum Magnet wurden und was jetzt erforscht werden soll.

Bürgermeisterin Gabriele Hettwer sprach von einem historischen Augenblick für die Stadt Bargteheide, als sich kürzlich im Ratssaal der Verein Geschichtswerkstatt gründete. „Um Demokratie zu sichern, ist ein Blick in die Geschichte wichtig. Weil wir aus ihr lernen können, damit sich Entwicklungen wie nach 1933 nicht wiederholen“, so die Rathauschefin. Dazu könne die lebendige Aufarbeitung der Stadtgeschichte einen wertvollen Beitrag leisten.

Anschub durch ein Bundesprogramm für Demokratie

Bereit dazu sind offenbar 20 Menschen, die beim Gründungstreffen des neuen Vereins ihre Aufnahmeanträge stellten, einen Vorstand wählten und eine Satzung beschlossen. „Zweck des Vereins ist vor allem die Förderung von Heimatkunde und Heimatpflege. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, als gemeinnützig anerkannt zu werden. Nur so kann der Verein auf eine solide finanzielle Basis gestellt werden, um wirklich etwas bewirken zu können“, sagt Initiatorin Ruth Kastner, die zur ersten Vorsitzenden gewählt worden ist.

Das Vorstandstrio (v.l.) Doris Krogh, Ruth Kastner und Jonas Bewig.
Das Vorstandstrio (v.l.) Doris Krogh, Ruth Kastner und Jonas Bewig. © HA | Lutz Kastendieck

Die Geschichtswerkstatt ist ein Herzensanliegen der promovierten Historikerin, die nach vielen Jahren als engagierte Stadtvertreterin für die Fraktion der Grünen im Vorjahr nicht mehr kandidiert hatte. Hervorgegangen aus einem Anschub durch das Bundesprogramm „Partnerschaft für Demokratie“ Anfang Januar, fand Kastner rasch zahlreiche Mitstreiter.

Recherchen zum Dritten Reich wurden zur Initialzündung

Zu ihnen zählten unter anderen Stadtarchivarin Doris Krogh und Jonas Bewig, angehender Abiturient an der Anne-Frank-Schule, die gemeinsam mit Kastner den geschäftsführenden Vorstand bilden. Als Beisitzer werden die Professorin Heidi Höppner, der ehemalige Geschichtslehrer Rainer Richard, die Familienforscherin Constanze Apel, Vira Sprotte, sowie die Schüler Tim Kottler und Maris Jentsch agieren.

„Unser erster Forschungsschwerpunkt, die lokale Alltagsgeschichte in den Jahren nach Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945, erwies sich als Volltreffer“, so Kastner. Die erste öffentliche Veranstaltung, bei der Jugendliche Mitte Januar vergangenen Jahres Zeitzeugen aus Bargteheide vor mehr als 280 Zuhörern im Kleinen Theater befragt haben, sei wie eine Initialzündung gewesen.

Interesse durch Formate wie das Erzählcafé enorm gewachsen

„Anschließend haben sich noch viele weitere Zeitzeugen bei uns gemeldet, die aus erster Hand über das Leben in Bargteheide während des Dritten Reichs und in der Nachkriegszeit berichten wollten, oder uns Fotos und Dokumente zur Verfügung stellten“, berichtet Kastner. Das sei ein wichtiger Fundus, der nicht verloren gehen dürfe.

Gehörten zu den Gründungsmitgliedern: Geschichtslehrerin Lisa Kunze und der zwölf Jahre alte Schüler Maris Jentsch.
Gehörten zu den Gründungsmitgliedern: Geschichtslehrerin Lisa Kunze und der zwölf Jahre alte Schüler Maris Jentsch. © HA | Lutz Kastendieck

Inzwischen umfasst der Verteiler der Geschichtswerkstatt bereits knapp 50 Adressen. „Das Interesse an unserer Arbeit ist auch durch andere Formate wie das Erzählcafé und Veranstaltungen an Schulen enorm gewachsen“, sagt Kastner. Zu den Arbeitstreffen der Werkstatt kämen bis zu 35 Personen, auch Nichtmitglieder seien stets willkommen.

Volkshochschule und Heimatmuseum sind Kooperationspartner

Ausgebaut wurden zudem die Beziehungen zu wichtigen Kooperationspartnern. Dazu gehören der Verein „Bunte Vielfalt“ und die Volkshochschule Bargteheide ebenso wie das Heimatmuseum der Stadt. Wo noch etliche Schätze schlummern sollen, die es wert sind, gehoben zu werden. Interesse an einer Zusammenarbeit gibt es zudem mit dem Seniorendorf, wo sich die Akteure der Geschichtswerkstatt noch weitere wichtige Zeitzeugen erhoffen.

Kinder und Jugendliche aktiv einzubeziehen, ist ein großes Anliegen des jungen Vereins. „Geschichtsaufarbeitung ist wichtig, um revisionistischen und populistischen Tendenzen etwas Substanzielles entgegensetzen zu können, gerade in diesen Zeiten des zunehmenden Rechtsradikalismus“, findet Jonas Bewig (19), nunmehr stellvertretender Vorsitzender des Vereins. Außerdem gehe es ja um die eigenen Wurzeln und das Verständnis dafür, warum die Demokratie verteidigt werden müsse.

Das jüngste Mitglied ist erst zwölf Jahre alt

So sieht das auch Maris Jentsch. Der Zwölfjährige ist jüngstes Mitglied des Vereins und hat sich gleich zum Beisitzer wählen lassen. „Wir sollten wissen, was da früher in unserer Stadt passiert ist. Geschichte muss wachgehalten werden, weil sie sonst verloren geht“, sagt der Schüler der Anne-Frank-Schule. Das funktioniere aber nur, wenn man jetzt die noch bestehenden Quellen erschließe, bevor das nicht mehr möglich sei.

Stadtarchivarin Doris Krogh (l.) und die Vereinsvorsitzende Ruth Kastner bei Recherchen im Stadtarchiv.
Stadtarchivarin Doris Krogh (l.) und die Vereinsvorsitzende Ruth Kastner bei Recherchen im Stadtarchiv. © HA | Melissa Jahn

Lisa Kunze, die im kommenden Schuljahr das Geschichtsprofil an der Anne-Frank-Schule leiten wird, freut sich schon auf eine enge Kooperation mit der Geschichtswerkstatt als außerschulischem Lernort. „Wenn es gelingt, dass Schüler einen persönlichen Bezug zur lokalen und regionalen Geschichte finden, kann das Bildung in historischem Kontext erleichtern“, weiß die Lehrerin, die ebenfalls Vereinsmitglied geworden ist.

Siedlungsgeschichte der Stadt soll aufgearbeitet werden

Die nächsten Forschungsschwerpunkte sind bereits fixiert. So besteht etwa ein starker Wunsch, sich intensiver mit der Nachkriegszeit zu beschäftigen. „Hier gibt es zum Beispiel ein großes Interesse an der Siedlungsgeschichte Bargteheides“, sagt Ruth Kastner. Wann und wie große Quartiere wie die Vogelsiedlung und das Areal rund um Ostpreußenstraße, Westpreußenstraße, Pommernstraße, Breslauer und Danziger Straße sowie den Masurenweg entstanden seien und welche bekannten Bargteheider dort gewohnt haben.

Ein weiterer Schwerpunkt wird sein, was aus Familien geworden ist, die Anfang 1945 aus dem pommerschen Regierungsbezirk Schneidemühl geflohen sind und mit einem Güterzug in Bargteheide gestrandet sind. Ein anderer soll sich mit der Entstehung der Freikirche unweit der Wurth beschäftigen. Außerdem soll der Geschichte der Villa Hemsen (aka Wacker) unweit des Bahnhofs und der Rolle von Frauen in der Stadt nachgegangen werden.

Mehr zum Thema

Um die Ergebnisse ihrer Geschichtsforschung zu dokumentieren und einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren, will der Verein eine professionelle und interaktive Homepage aufbauen. „Das ist nicht nur wichtig, um wissenschaftlichen Standards zu genügen. Es erleichtert zugleich, Fördergeld von Bund, Land und Stiftungen beantragen zu können“, erklärt Ruth Kastner. Natürlich werden auch die Vereinsmitglieder in doppeltem Wortsinn ihren Beitrag leisten. Beim Gründungstreffen einigte man sich auf eine Summe von 36 Euro im Jahr, für Kinder und Jugendliche soll die Mitgliedschaft kostenlos sein.

Das nächste Treffen ist für Mittwoch, 27. März, um 18.15 Uhr, anberaumt. Dann sollen Arbeitsgruppen gegründet und weitere Vorhaben geplant werden. Wer Interesse an einer Mitarbeit hat, kann per Mail an geschichtswerkstatt-bargteheide@web.de jederzeit Kontakt zum Verein aufnehmen. Das gilt auch für Hinweise zu Fotos, Briefen, Aufzeichnungen von Familiengeschichten und anderen Quellen, die die Lebensumstände der Menschen in Bargteheide und Umland widerspiegeln.