Ammersbek/Hamburg. Afghane sieht nach zwei Jahren Frau und Sohn wieder. Verein „Für Dich Stormarn“ hat dazu einen großen Beitrag geleistet.
Seit Tagen befindet sich Faheem Majidi im Ausnahmezustand, fahren seine Gefühle Achterbahn. Seit er die Nachricht bekommen hat, dass seine Frau Sakina und sein drei Jahre alter Sohn Ali (alle Namen geändert) ihr Visum für Deutschland erhalten haben. Schon zwei Jahre lang bangt der Stormarner, der aus Afghanistan stammt, um das Leben seiner Liebsten. Denn Frau und Sohn saßen im Iran fest, unmittelbar bedroht durch die Auslieferung an die Taliban.
Am Sonnabend will der Familienvater sie am Hamburger Flughafen endlich wieder in die Arme schließen. Die Flüge sind gebucht, mit einem Zwischenstopp in der Türkei. Vor der Fahrt zum Flughafen hat Majidi sich fein gemacht. Er trägt einen Anzug, hat seine Schuhe auf Hochglanz poliert und ein dezentes Parfüm aufgelegt. Durch den Stress der letzten Monate hat er Gewicht verloren und auch jetzt steht ihm die Anspannung ins Gesicht geschrieben. Denn nach der Ankunft am Istanbuler Flughafen ist der Kontakt zu seiner Frau abgerissen. Er hat keine Infos dazu, ob alles in Ordnung ist und sie es in den Flieger geschafft haben. Majidi macht sich Gedanken, ob in letzter Minute doch noch etwas dazwischengekommen sein könnte.
Nach zwei Jahren im Iran: Vater wartet am Hamburger Flughafen auf Frau und Sohn
Lange haben seine Unterstützer vom Großhansdorfer Verein „Für Dich Stormarn“ unermüdlich für den Familiennachzug und die Rettung von Mutter und Kind gekämpft, unzählige E-Mails an Behörden geschrieben, telefoniert, nachgehakt, sind zu Protestaktionen nach Berlin gereist und haben schließlich eine Petition auf der Onlineplattform change.org gestartet, die mittlerweile mehr als 100.000 Unterstützer unterzeichnet haben. Allen voran die Vereinsvorsitzende Sonja Borowski und ihr Mann Adrian. Die Unterstützer sind es auch, die Majidi zum Flughafen begleiten. Nachdem bunte Luftballons, eine Überraschungstüte für Ali und Blumen für seine Mutter im Auto verstaut sind, geht die Fahrt los.
Faheem Majidi sitzt auf dem Beifahrersitz, immer wieder checkt er die Nachrichten auf seinem Smartphone. „Ich kann meine Gefühle nicht mit Worten beschreiben“, sagt der Familienvater. Er habe zu Hause alles vorbereitet, geputzt, dekoriert, einen Kuchen gebacken und gekocht: Reis, Hühnchen, Fleischklößchen, Salat. Und frische Blumen gekauft. „In Afghanistan hatten wir immer frische Blumen“, sagt er. Vergangene Nacht habe er kaum geschlafen. Er habe zwar niemals die Hoffnung verloren, seine Familie wiederzusehen. Trotzdem habe er geweint, weil er gedacht habe, vielleicht gehe doch noch etwas schief. Dabei sei er doch ein positiv denkender Mensch, genauso wie seine Frau.
Als die Maschine gelandet ist, lassen alle den Gefühlen freien Lauf
Eine Eigenschaft, auf die sie sich immer wieder besinnen mussten. Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan musste der Politiker mit seiner Familie aus dem Heimatland fliehen. Im Iran trennten sich ihre Wege, weil die weitere Flucht zu Fuß zu gefährlich und strapaziös für die junge Mutter und das Baby waren. Der Vater entkam nach Deutschland. Sobald er hier als politisch verfolgt anerkannt worden war, versuchte er seine Familie nachzuholen. Doch obwohl alle erforderlichen Dokumente vorlagen ließen sich die die deutschen Behörden Zeit. Selbst dann noch, als die Bedrohungslage für Mutter und Kind immer größer wurde, weil ihre Aufenthaltserlaubnis für den Iran auslief und sie sich illegal im Land aufhielten und verstecken mussten. Währenddessen deportierte der Iran im großen Stil geflüchtete Afghanen in ihr Heimatland. Mehr als 43.000 innerhalb eines Monats sollen es nach Angaben der Taliban gewesen sein.
Als der Flughafen in Sicht kommt, zückt Majidi sein Handy und macht Fotos. Zwei seiner Schwestern, die in der näheren Umgebung leben, haben sich mit ihren Familien ebenfalls auf den Weg zum Flughafen gemacht, berichtet er. Der Flug kommt verspätet, bis zur Ankunft bleibt viel Zeit, zu viel Zeit für Zweifel. Immer wieder wischt sich Majidi verstohlen über die Augen. Die anderen sprechen ihm Mut zu. Adrian Borowski trackt den Flug online. „Jetzt ist er bei Mölln“, sagt er nach einem Blick aufs Telefon. Nun kommt Leben in die Gruppe: Alle gehen auf die Besucherplattform und halten Ausschau nach der Maschine. Als sie gelandet ist, zeigt die lange Anspannung ihre Wirkung: Nicht nur Majidi, auch seine Begleiter werden von ihren Gefühlen übermannt.
Die Anspannung beim Warten ist fast mit den Händen zu greifen
Als die Passagiere aussteigen, versuchen sie zu erkennen, ob Sakina und Ali unter ihnen sind. Doch die Lichtverhältnisse sind zu schlecht. Bevor Majidi sich auf den Weg zum Gate macht, hebt er den auf der Besucherterrasse herumliegenden Abfall auf und wirft ihn in einen Mülleimer. Sein Herz schlägt schnell, als er die Rolltreppe nach unten nimmt. Nach und nach strömen die Passagiere in den Empfangsbereich. Eine Schar Kinder stürmt voller Freude auf eine ältere Frau mit Kopftuch zu, die einen mit Gepäck beladenen Wagen vor sich herschiebt. Jedes will in den Arm genommen und begrüßt werden.
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Majidis Geduld wird auf eine lange Probe gestellt. Mehr als eineinhalb nervenaufreibende Stunden vergehen. Dann öffnet sich die Schiebetür und Frau und Kind stehen vor ihm. Majidi breitet die Arme aus, nimmt Ali und Sakina abwechselnd in den Arm. Gänsehautfeeling pur, er strahlt vor Glück. Diesen Moment seines Lebens wird er nie mehr vergessen. Als die drei gemeinsam den Rückweg nach Stormarn antreten, ist es zugleich der Weg in ein neues Leben.