Ammersbek. Frau und Sohn von Faheem Majidi aus Stormarn droht im Iran die Auslieferung an die Taliban. Unterstützer protestieren vorm Bundestag.

Faheem Majidi (Name geändert) sitzt an einem Gartentisch und blickt gedankenverloren auf die bunten Spielzeugautos, die das Kind einer befreundeten Familie dort aufgestellt hat. Solche Autos besitzt auch der drei Jahre alte Sohn des früheren afghanischen Politikers. Zu gern würde er mit Ali spielen, lachen, ihn in den Arm nehmen.

Doch sein Sohn und seine Frau Sakina durften ihm bislang nicht nach Stormarn folgen. Sie warten im Iran seit Monaten darauf, dass die deutschen Behörden den Familiennachzug genehmigen. Mittlerweile spitzt sich die Lage für sie zu. In ein paar Tagen läuft ihr Aufenthaltstitel ab. Dann droht die Auslieferung an die Taliban.

Was dann geschehen könnte, mag sich Majidi gar nicht erst ausmalen. Er hat zu viele Bilder im Kopf von Toten und Gefolterten, die er persönlich kannte. Vor der Machtübernahme der Taliban in seinem Heimatland war er für die afghanische Regierung tätig und ein populärer Politiker und Aktivist für Demokratie und Frauenrechte.

Faheem Majidi konnte seine Familie nicht mit nach Deutschland nehmen

Das machte ihn jedoch zu einer Zielscheibe für die neuen Machthaber. Die Schergen des neuen Regimes gehen mit einer unfassbaren Brutalität gegen Andersdenkende vor. Sie töteten seine Freunde, Kollegen, Mitstreiter. Auf seinem Tablet hat er Beweisvideos und Fotos abgespeichert. Zwei Bilder zeigen einen Arbeitskollegen Majidis. Auf einem hält der Mann sein Kind auf dem Arm. Auf dem anderen ist er als Leichnam zu sehen.

Majidi drückt eine dicke Aktenmappe mit Dokumenten an die Brust, zeigt darauf und sagt: „Das ist das Wichtigste, was ich mit nach Deutschland gebracht habe.“ Die Nachweise über sein Leben hat er Tausende Kilometer mitgeschleppt auf der Flucht. Seine Familie konnte er nicht mitnehmen. Zu gefährlich die Reise für Frau und Kind.

Majidi berichtet, dass schreiende oder weinende Kinder die Flüchtlingskolonnen in Gefahr brächten, entdeckt zu werden. Weil mit allen Mitteln versucht würde, sie zum Schweigen zu bringen, erstickten manche Kinder dabei. Frauen würden hingegen als Freiwild angesehen. Sie gegen die bis an die Zähne bewaffneten Schlepper zu verteidigen, sei aussichtslos.

Faheem Majidi ließ Frau und Kind im Iran zurück

So blieb der Familie nichts anderes übrig, als sich zu trennen. Majidi schlug sich allein durch. Im August 2022, sechs Monate nach seiner Flucht aus Afghanistan, erreichte er Deutschland. Frau und Kind harrten im Iran aus und hofften, dass er sie bald nachholen würde. Bilder aus glücklicheren Tagen zeigen ihn mit Ali und Sakina. Selbstbewusst und unbeschwert blickt er in die Kamera.

In der Heimat gehörte die Familie zur gebildeten Oberschicht. „Wir stammen aus aufgeschlossenen Elternhäusern. In unseren Familien sind alle gut ausgebildet. Es ist bei uns nicht üblich, dass die Frauen zu Hause bleiben, sondern sie bringen sich aktiv in der Gesellschaft ein.“

Faheem Majidi spricht mehrere Sprachen, kann ein erfolgreich abgeschlossenes Studium vorweisen. Seine Frau war Leiterin einer Bildungseinrichtung und arbeitete die letzten Jahre vor der Flucht als Anwältin. Doch zwischen damals und heute liegen Welten.

Ohne seine Familie ist das Leben des Vaters freudlos

Majidi ist für die strikte Trennung von Politik und Religion. In der einen Hand den Koran, in der anderen eine Waffe, so beschreibt er die Taliban. In Deutschland lebt er in relativer Sicherheit. Doch auch hier, so erzählt er, sei er schon erkannt worden. Er startet ein Video, das ihn im Gespräch mit einer TV-Moderatorin zeigt. Häufig war er in afghanischen TV-Talkshows zu Gast. Auf Bildern ist er bei Vorträgen zu sehen, im Vordergrund eine Vielzahl Mikrofone verschiedener Sender.

In Deutschland ist er keine bekannte Persönlichkeit, sondern ein Geflüchteter unter vielen. Immerhin ist er inzwischen als asylberechtigt anerkannt, hat eine eigene Wohnung, einen Teilzeitjob und engagiert sich zusätzlich ehrenamtlich für soziale Belange. „Alles hier ist perfekt“, sagt er bescheiden. Dann fügt er nachdenklich hinzu: „Aber nichts macht mich glücklich.“

Dabei hat er alle Voraussetzungen erfüllt. Sobald es möglich war, beantragte er die Visa für den Familiennachzug. Genauer gesagt stellte er den Antrag auf Antragstellung. Hört sich nach Bürokratie an und ist es auch. Denn zunächst muss ein Termin bei der deutschen Botschaft im Iran beantragt werden, bei dem der Visa-Antrag überhaupt erst gestellt werden kann. Acht Wochen vor dem Termin geht eine Benachrichtigung per E-Mail ein. Doch bisher blieb das Warten darauf vergeblich.

Behörden nehmen Konsequenzen billigend in Kauf

Dabei sind die deutschen Behörden über die Zwangslage von Ali und Sakina Majidi und die Konsequenzen der verzögerten Bearbeitung der Unterlagen informiert. Ammersbeker Freunde der Familie appellieren seit Monaten an die zuständigen Stellen und Politiker, den Familiennachzug zu genehmigen, solange der Aufenthaltstitel im Iran noch Gültigkeit hat.

Wenn er in wenigen Tagen ausläuft, müssten Mutter und Sohn das Land eigentlich verlassen. Anderenfalls halten sie sich illegal dort auf. Doch raus dürfen sie auf keinen Fall, denn dann ist der Antrag hinfällig, und das Prozedere müsste von vorn beginnen. Ein Teufelskreis für die Betroffenen. Doch das sind die Vorgaben der deutschen Behörden. Menschlichkeit spielt bei diesem Vorgehen offensichtlich eine untergeordnete Rolle.

Denn laut einer Auskunft des Auswärtigen Amts müssen Terminregistrierungen „chronologisch abgearbeitet werden“. Wenn es wenigstens so wäre, dass sie rechtzeitig abgearbeitet würden.

Doch so entsteht leicht der Eindruck, dass es mehr Verständnis für mit der Bearbeitung überforderte Stellen als für Menschen, die dadurch in eine existenziell lebensbedrohliche Situation geraten, gibt. Mehr Personal für die Antragsbearbeitung einzusetzen wäre eine Lösung.

Ammersbeker Unterstützer ziehen vor den Bundestag

Mit jedem Tag, jeder Stunde sinkt die Chance darauf, dass Faheem Majidi seine Familie wieder in seine Arme schließen kann. Die Uhr tickt unbarmherzig in seinem Kopf, oft kann er vor Sorge nicht einschlafen.

Weil sie mit ihren schriftlichen Appellen nichts erreicht haben, sind Majidis Unterstützer vor Kurzem mit Plakaten vor den Bundestag in Berlin gezogen. Darauf forderten sie Außenministerin Baerbock, Bundeskanzler Scholz und Bundespräsident Steinmeier zum sofortigen Handeln auf. Die Aktion hatten sie zuvor angekündigt und die Politiker zum Gespräch vor Ort eingeladen. Gekommen ist keiner.

Ammersbeker Unterstützer von Faheem Majidi vor dem Bundestag. „Deutsche Behörden vertrösten und sind überfordert – Mutter und Kind haben nur noch 21 Tage!“ steht auf einem Plakat. Die Aktion fand am 29. Juli statt. Inzwischen ist die Anzahl der verbleibenden Tage auf neun geschrumpft.
Ammersbeker Unterstützer von Faheem Majidi vor dem Bundestag. „Deutsche Behörden vertrösten und sind überfordert – Mutter und Kind haben nur noch 21 Tage!“ steht auf einem Plakat. Die Aktion fand am 29. Juli statt. Inzwischen ist die Anzahl der verbleibenden Tage auf neun geschrumpft. © Privat

In dem Zusammenhang scheint es fast paradox, dass eine aus der Ammersbeker Gruppe bereits eine Einladung zu einem Treffen mit Steinmeier in der Tasche hat. Sie soll für ihr ehrenamtliches Engagement unter anderem für Geflüchtete ausgezeichnet werden.

Doch bis sie im September endlich Gelegenheit hat, persönlich mit Steinmeier zu sprechen, ist es für die Rettung von Sakina Majidi und den drei Jahre alten Ali vielleicht längst zu spät. Laut einer Meldung der Presseagentur dpa vom 4. August soll der Iran nach Angaben der Taliban innerhalb eines Monats mehr als 43.000 geflüchtete Afghanen in ihr Heimatland abgeschoben haben.