Ammersbek. Nächtlicher Lärm, Gewalt und Gefahr durch Brände: Polizei und Feuerwehr immer öfter vor Ort. Verein fordert Lösungen von der Politik.
Der Ammersbeker Verein „Für Dich Stormarn“ unterstützt Menschen in schwierigen Lebensumständen. Ein Projekt des Vereins ist die Obdachlosenhilfe. Wer nicht auf der Straße leben will, landet zumeist in einem Heim für Wohnsitzlose. So ist es auch Manfred Schmidt (81) und Sandra Weber (48) ergangen (Namen von der Redaktion geändert), die in der Obdachlosenunterkunft in der Ohlstedter Straße in Ammersbek untergekommen sind. Bei beiden war der Krebstod des Ehepartners Auslöser für eine Abwärtsspirale. Sonja und Adrian Borowski vom Verein begleiten sie seit geraumer Zeit bei Behördengängen und Wohnungssuche.
Doch die Helfer sind zunehmend frustriert, weil sie sich mit den vielen Problemen von der Verwaltung und der Politik alleingelassen fühlen. Sie haben daher einen runden Tisch zum Thema einberufen. Eingeladen waren Vertreter von Politik, Verwaltung, Vereinen, Kirche und Anwohner. Mitglieder aller Fraktionen waren ebenso zugegen wie Bürgermeister Horst Ansén. Gemeinsam mit den Obdachlosen wurden Lösungen für eine Verbesserung der Situation in der Unterkunft diskutiert. Denn die dortigen Zustände sind für den Senior und die berufstätige Frau kaum zu ertragen und beeinträchtigen zunehmend ihre seelische und körperliche Gesundheit. Sie berichten, dass es gehäuft zu Streitigkeiten und Handgreiflichkeiten zwischen Bewohnern und zu Vandalismus kommt. Außerdem würden Feuer gelegt. Drogen- und Alkoholkonsum seien an der Tagesordnung. Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst seien immer öfter vor Ort.
Bewohner der Unterkunft können nachts wegen Lärm nicht schlafen
Die Polizei bestätigt, dass es seit Oktober in der Obdachlosenunterkunft zu insgesamt zehn Einsätzen gekommen ist. Aus unterschiedlichen Anlässen: Körperverletzungen, Ruhestörungen, Sachbeschädigung und Streitigkeiten. Gemeindewehrführer Norbert Wolfrath berichtet von zwei Einsätzen der Feuerwehr Ammersbek im Herbst und der ersten Januarwoche. Einmal seien Fahrradakkus in einem Zimmer angesteckt worden, beim zweiten Mal sei direkt vor einer Wohnung Feuer im Flur gelegt worden, was die Wohnungstür in Brand gesetzt habe. „Der Betreffende, der da wohnt und diesen Mist macht, ist ein Deutscher“, betont Wolfrath. Ausländer seien nicht beteiligt gewesen. „Die Rauchmelder sind so laut, dass die Nachbarn uns informieren, aber irgendwann sind wir vielleicht nicht mehr schnell genug da“, befürchtet er.
Carolin Schierbaum wohnt gegenüber. Sie berichtet von einem Vorfall im Dezember, „der mich nachhaltig beschäftigt“. Ein Heimbewohner sei auf der Straße gefunden worden, nachdem er versucht hätte, sich das Leben zu nehmen. „Bis dato habe ich noch nie einem so verzweifelten Menschen direkt in die Augen geblickt.“ Er habe behauptet, in der Unterkunft bedroht und bestohlen worden zu sein. Er könne nachts wegen des Lärms nicht schlafen und fühle sich dem ständigen Drogenkonsum als auch -handel dort ausgeliefert. Trotz allem sei er völlig verzweifelt gewesen, weil er sich selbst diesen Platz nicht mehr hätte leisten können, obwohl er jeden Tag für Hinz & Kunzt arbeite. „Kein Wunder bei einem Quadratmeterpreis von 27 Euro“, findet Schierbaum.
Es fehlt sozialpädagogisches Fachpersonal in der Obdachlosenunterkunft
Schierbaum war beim runden Tisch zugegen, wollte mehr über die Unterkunft erfahren. Sie könne sich durchaus vorstellen, einen Bewohner ehrenamtlich zu begleiten, sagt sie. Es müsse aber mehr Kontrolle und Zuspruch beispielsweise durch Streetworker geben, die auf Augenhöhe mit den Betroffenen – die teils traumatische Schicksalsschläge erlitten hätten – sprechen könnten.
Seit Mitte 2002 dient das Gebäude als Unterkunft. Laut Ansén wohnen dort aktuell zwölf Menschen: acht Obdachlose und vier Geflüchtete. „Das Gebäude gehört der Gemeinde und wird auch von uns betreut“, so Ansén weiter. „Natürlich haben wir Kenntnis von den Vorgängen in der Unterkunft, sowohl unsere Hausmeister als auch die Mitarbeitenden des Sozial- und des Ordnungsamtes.“ Auf die Frage, warum Sandra Weber als einzige Frau in einer Unterkunft mit vielen Männern untergebracht wird, geht Ansén nicht ein. „Zur Belegung und zu konkreten Vorgängen, die zum Teil auch Gegenstand von polizeilichen Ermittlungen sind, werde ich mich nicht öffentlich äußern.“
CDU und FDP halten sich in Sachen Wohnunterkunft bedeckt
CDU und FDP wollten sich auf Anfrage ebenfalls nicht zur aktuellen Situation in der Unterkunft äußern und verwiesen auf die Stellungnahme der Bürgermeisters. Die SPD setzt auf die Sozialraumanalyse, die die Verwaltung in Auftrag gegeben hat. Fraktionsvorsitzender Holger Lehmann sagt: „Die SPD hat jetzt einen Antrag gestellt, die Empfehlung der tohus gGmbH umzusetzten und hier in der Einzelfallarbeit beispielsweise durch Beratung, Begleitung und Vermittlung Hilfestellung zu leisten.“
Oliver Mende von der Wählergemeinschaft UWA zieht ein positives Fazit der runden Tischs. Er habe es als sinnvoll empfunden, dass Betroffene sich selbst geäußert hätten. So sei es für alle anderen leichter nachzuempfinden gewesen, „was es bedeutet, sich in einem Raum permanenter Unruhe zu befinden, die auch, wenn sie nicht auftritt, in ihren Spitzen doch immer Erwartungen impliziert, was wieder geschehen könnte“.
Die Position der Grünen erläutert der Vorsitzende des Ortsverbandes Andreas Rieschick so: „Wir setzen uns dafür ein, dass Mindestanforderungen an Notunterkünfte erfüllt sind, und möchten die Verwaltung zunächst beauftragen, die Einhaltung entsprechender Standards und Handlungsempfehlungen zu prüfen.“ Ergebe sich ein Nachholbedarf, „werden wir uns für eine zeitnahe Umsetzung einsetzen“. Für Frau Weber und Herrn Schmidt „wünschen wir uns die Unterbringung in einer notfalls von der Gemeinde bereitgestellten Wohnung“.
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Dass sich dieser Wunsch erfüllt, darauf hat Schmidt lange vergeblich gehofft. Auch bei der Wohnungsanzeige, die eine Freundin vor wenigen Tagen Sonja Borowski zugeleitet hat, hat er sich kaum Chancen ausgerechnet. Angesehen hat er sie trotzdem, gemeinsam mit ihr, am Sonntag. Die Borowskis würden die Bürgschaft übernehmen, und der Bürgermeister hat eine Vorabzusage gegeben, dass die Gemeinde die Mehrkosten von etwa 80 Euro übernimmt. Als am Abend tatsächlich die Zusage vom Vermieter kommt, kann Schmidt sein Glück kaum fassen. Ohne die Eigeninitiative der Ehrenamtlichen hätte er keine Aussicht gehabt, jemals wieder in einer eigenen Wohnung leben zu können. „Für mich sind das Engel“, sagt er.
Klar ist: Der runde Tisch hat etwas ins Rollen gebracht. Auch für Frau Schmidt zeichnet sich eine Lösung ab. Die Verwaltung hat ihr jetzt geschrieben, dass sie zeitnah in eine andere Wohnunterkunft umziehen soll. Doch auch an diejenigen, die in der Unterkunft zurückbleiben, muss gedacht werden. Burghard Jürgensen wohnt nahe der Anlage. Auch er war Gast beim runden Tisch. „Die Hilflosigkeit der Verwaltung angesichts Drogenkonsums, Übergriffigkeit/Sachbeschädigungen innerhalb des Hauses – ohne jegliche Möglichkeit der Sanktionierung – ist beklemmend und scheint ausweglos“, sagt er. „Die geschilderten Zustände in dem Haus empfinde ich als nicht mit der Würde des Menschen vereinbar.“ Der einzige Weg aus der Misere sei die persönliche Ansprache der Bewohner. Seinen Eindruck der Sachlage fasst er so zusammen: „Desolat – hilflos – verzweifelt.“