Ahrensburg. Seit 1967 liefen die Maschinen der Tiefdruckerei ununterbrochen im Drei-Schicht-Betrieb. Wie es für 545 Mitarbeiter weitergeht.

Mit der „Hörzu“ fing alles an, mit der „Hörzu“ hörte alles auf. Die Fernsehzeitschrift war das erste Produkt, das am 23. Juni 1967 in der Tiefdruckerei im Ahrensburger Gewerbegebiet durch die Rotation lief. Und sie ist auch das letzte Heft, das 56 Jahre und sieben Monate später die Verladerampe von Prinovis verlassen hat. Der Kreis für den über lange Zeit größten Arbeitgeber der Schlossstadt hat sich geschlossen.

Erstmals nach mehr als 20.600 Tagen am Stück stehen alle Maschinen still, sind die Hallen menschenleer. Seit der Einweihung 1967 durch Verleger Axel Springer (unter anderem Gründer vom seit 2014 zur Funke Mediengruppe gehörenden Hamburger Abendblatt) wurde rund um die Uhr im Drei-Schicht-Betrieb gearbeitet. Aus wirtschaftlichen Gründen hat die Bertelsmann-Tochter Prinovis wie vor einem Jahr angekündigt die Produktion in ihrer letzten verbliebenen Tiefdruckerei jetzt eingestellt.

Prinovis in Ahrensburg: Emotionaler Abschied von der Druckerei

„Die vergangenen Monate waren für viele Kollegen sehr emotional, denn die Druckerei war für sie oft über Jahrzehnte weit mehr als nur eine Firma“, sagt Prinovis-Geschäftsführer Cord Schuster. Das sei auch für ihn persönlich nach 24 Jahren in Ahrensburg nicht anders. Sogar etliche pensionierte Beschäftigte hätten zuletzt angefragt, ob sie noch einmal durch „ihre Hallen“ gehen könnten. „Wenn sich das in den laufenden Betrieb integrieren ließ, haben wir es natürlich ermöglicht“, sagt Schuster.

Das war‘s: Die „Hörzu“ Nummer 5/2024 mit der Hamburger Speicherstadt auf dem Titel ist das letzte Druckprodukt bei Prinovis Ahrensburg.
Das war‘s: Die „Hörzu“ Nummer 5/2024 mit der Hamburger Speicherstadt auf dem Titel ist das letzte Druckprodukt bei Prinovis Ahrensburg. © Harald Klix | Harald Klix

Hunderte Ahrensburger Familien haben – zum Teil über Generationen – einen Bezug zu dem lange Zeit mit Abstand größten Arbeitgeber in der Stadt. Das Druckzentrum beschäftigte in den 1980er-Jahren mehr als 2400 Menschen. Zuletzt waren es noch 545 bei Prinovis und 120 in der benachbarten Offsetdruckerei von Springer. Deren Tage sind ebenfalls gezählt. Sie schließt Ende Juli.

„Hörzu“ erreichte mit 4,3 Millionen Exemplaren europaweite Rekordauflage

Die „Hörzu“ steht beispielhaft für die Entwicklung der Branche. 1969 erreichte das TV- und Radiomagazin die europaweite Rekordauflage von 4,3 Millionen Exemplaren. Jetzt werden noch gut 800.000 Stück gedruckt.

Die letzten Druckmaschinen in der Rotation stehen für immer still.
Die letzten Druckmaschinen in der Rotation stehen für immer still. © Harald Klix | Harald Klix

Ähnlich ist es bei der Mitgliederzeitschrift „ADAC Motorwelt“, berichtet Gernot Wolf, Leiter Unternehmenskommunikation Bertelsmann Marketing. „Zu besten Zeiten wurden jeden Monat mehr als zwölf Millionen Hefte gedruckt“, sagt er. Heute erscheint das Club-Magazin noch viermal im Jahr und wird knapp zwei Millionen Mal in Supermarkt-Filialen abgeholt. Und Versandhäuser wie Otto und Quelle haben den gedruckten Katalog längst eingestellt.

Gründe fürs Aus: Weniger Aufträge, hohe Papier- und Energiepreise

„Corona und der Krieg gegen die Ukraine haben den Trend noch mal beschleunigt“, sagt Geschäftsführer Schuster. Auf der einen Seite wurden die Aufträge kleiner und weniger, auf der anderen Seite stiegen die Papier- und Energiepreise drastisch. „In der Pandemie gab‘s plötzlich nicht mehr ausreichend Versandkartons, wodurch die Nachfrage nach Papier explodierte“, nennt er ein Beispiel.

Alles aufgeräumt: Teile der Einrichtung stehen schon zum Abtransport bereit.
Alles aufgeräumt: Teile der Einrichtung stehen schon zum Abtransport bereit. © Harald Klix | Harald Klix

Für die 545 Beschäftigten wurde bereits im Mai ein Interessenausgleich abgeschlossen. Grundlage war ein Vorratssozialplan, den Vertreter von Arbeitgeber und Arbeitnehmern wegen der anhaltend schwierigen Bedingungen auf dem Druckmarkt bereits einige Jahre zuvor vereinbart hatten. Ein persönliches Weiterbildungsbudget (etwa für IT-Kurse oder Staplerführerschein) von 3000 Euro sei fast vollständig ausgeschöpft worden.

80 Prozent der Beschäftigten haben neue Jobs oder gehen in Rente

Für circa 80 Prozent der Mitarbeiter ist die Zukunft geklärt: Der Großteil konnte in neue Beschäftigungsverhältnisse vermittelt werden, ältere Kolleginnen und Kollegen nehmen Ruhestandsregelungen in Anspruch. Die restlichen knapp 120 Beschäftigten wechseln in einer Transfergesellschaft, die sie ein Jahr lang auf neue Aufgaben vorbereitet. Zu einem Abschlusstreffen mit Foodtrucks und Getränken kam das gesamte Team in einer schon weitgehend leeren Halle zusammen. Außerdem bekam jede Schicht einen Betrag für eine interne Feier.

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„70 Mitarbeiter sind noch einige Monate im Einsatz, um den Rückbau zu organisieren“, sagt Cord Schuster. Bis Ende Oktober muss zudem die Versorgung der nebenan gelegenen Zeitungsdruckerei gewährleistet werden. Denn alle notwendigen Leitungen (Wasser, Energie, Druckluft, Wärme) kommen von Prinovis.

Es gibt mehrere Interessenten für das 139.000 Quadratmeter große Grundstück

Viele Geräte und Teile stehen bereits zum Abtransport bereit. Die tonnenschweren, stählernen Maschinen werden wohl verschrottet. Wie der Auszug genau abläuft, hängt vom Zukunftsszenario ab. Es gebe Gespräche mit verschiedenen Interessenten für das fast 139.000 Quadratmeter große Grundstück (entspricht 20 Fußballplätzen) und die 52.000 Quadratmeter großen Hallen. Alles erfolge in enger Abstimmung mit der Stadt Ahrensburg, die derzeit einen neuen Beauungsplan aufstellt.

Möglich ist vieles, wie andere Standorte zeigen. In Dresden hatte der Halbleiterkonzern Infineon die Gebäude von der Ende 2022 geschlossenen Prinovis-Druckerei gekauft. In Nürnberg folgte nach dem Aus im April 2021 dagegen ein Komplettabriss. Die Stadt erwarb einen Großteil des Areals, um ein Schulzentrum zu errichten. Der Rest bleibt Gewerbegebiet.

Im Ahrensburger Gewerbegebiet wird‘s auf jeden Fall zunächst einmal etwas ruhiger. Bis zu 100 Lastwagen, die Prinovis angesteuert haben, fallen jetzt weg. Und das „Druckhaus der Superlative“, das die Ahrensburger Zeitung zur Einweihung 1967 bejubelte, ist Stadtgeschichte. Von der ersten bis zur letzten „Hörzu“.

1967: Firmenchef Axel Springer weiht die „größte und modernste Tiefdruckerei des Kontinents“ mit rund 1700 Beschäftigten am 23. Juni persönlich ein.

1968: Die Kapazität steigt auf 13 Maschinen mit 89 Druckwerken.

1977: Der Auftrag für die Mitgliederzeitschrift „ADAC Motorwelt“ wird übernommen. Die Auflage steigt von rund 5,1 auf 10,3 Millionen im Jahr 1991.

1984: Am 2. Oktober wird die benachbarte Offsetdruckerei eröffnet.

1965: Im Februar beginnt der Axel Springer Verlag mit dem Bau einer Tiefdruckerei im Ahrensburger Gewerbegebiet. Allein die Rotations- und Weiterverarbeitungshalle ist 165 mal 67 Meter groß.

2001 bis 2004: Alle Produktionsbereiche werden umfassend modernisiert.

2005: Die Axel Springer AG sowie die Bertelsmann-Unternehmensbereiche Arvato und Gruner+Jahr führen ihre Betriebe im neuen Tiefdruckunternehmen Prinovis zusammen. In Ahrensburg arbeiten etwa 800 Beschäftigte.

2010 bis 2015: Investition in weitere neue Maschinen.

2015: Die Axel Springer AG verkauft ihren 25,1-Prozent-Anteil an Prinovis an den Haupteigentümer Bertelsmann.

2017: Mehr als 1800 Gäste kommen zur Feier zum 50-jährigen Bestehen.

2023: Mitte Januar gibt Prinovis die Einstellung der Produktion in einem Jahr bekannt.

2024: Am 31. Januar endet mit einwöchigen Werksferien die mehr als 56-jährige Geschichte der Tiefdruckerei Ahrensburg.