Bad Oldesloe. Christdemokraten kündigen juristische Prüfung an. Welche Rolle dabei ein Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig von 2019 spielt

Als es nach den Kommunalwahlen im Mai dieses Jahres zur Bildung einer neuen Fraktion im Stormarner Kreistag kam, war das Erstaunen in Kreisen der etablierten Parteien groß. Weniger über die Tatsache an sich als vielmehr darüber, wer da fortan in einem Boot rudern wollte. Denn den Zusammenschluss eingefädelt hatten ausgerechnet zwei Frauen, die zuvor an entgegengesetzten Rändern des politischen Spektrums verortet worden sind: die bekennende Linke Heidi Beutin und Ute Wocker von den Freien Wählern mit einer AfD-Vergangenheit. Diese Liaison war insbesondere von der CDU kritisch beäugt worden. Dies umso mehr, als jetzt ein Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig aufgetaucht ist, das für die Fraktion Freie Wähler/Linke zum ernsthaften Problem werden könnte.

Fraktionsbildung in Schleswig nicht zulässig

In der Schleswiger Ratsversammlung war es 2019 zu einer ähnlichen Konstellation gekommen. Nachdem das Bündnis für Bürger (BfB) durch den Austritt eines Abgeordneten seinen Fraktionsstatus verloren hatte, tat sich der verbleibende Ratsherr nur einen Tag später mit einem Abgeordneten zusammen, der zu Beginn der Ratsperiode noch Mitglied der Grünen-Fraktion gewesen war.

Per mehrheitlichem Ratsbeschluss durch Vertreter von CDU, SPD, SSW und Freien Wählern (22:8) wurde der Fraktionsbildung allerdings gegen die Stimmen von FDP und Grünen die Anerkennung verwehrt. Weil sie rechtswidrig sei, könnten dem neuen Bündnis die Rechte einer Fraktion nicht zugebilligt werden, hieß es. Dagegen hatte das BfB geklagt, war mit einer juristischen Intervention vor der 6. Kammer des Verwaltungsgerichts aber gescheitert.

Vereinzelte gemeinsame Aktionen reichen nicht

Die grundsätzliche politische Übereinstimmung der Fraktionsmitglieder sei Voraussetzung für die Bildung einer Fraktion, hieß es in der Urteilsbegründung (Az. 6 B 22/19). Rein formale Zusammenschlüsse, die ausschließlich zur Erlangung finanzieller Vorteile, wie etwa Fraktionszuschüssen, oder einer stärkeren Rechtsposition für die Verfolgung uneinheitlicher individueller politischer Ziele dienten, seien hingegen rechtlich unzulässig.

Die Beurteilung sei anhand vertraglicher Abmachungen und deren Anwendung, sowie an Aussagen der Mitglieder des Zusammenschlusses vorzunehmen, soweit sich deren Erklärungen als glaubhaft erwiesen. Die bloße Bekundung der Absicht gleichgerichteten Wirkens reiche ebenso wenig aus wie vereinzelte gemeinschaftliche Aktionen. Vielmehr müsse ein nachhaltiges, gleichgerichtetes Zusammenwirken nachgewiesen werden. Das habe das Gericht im konkreten Fall nicht erkennen können.

Beutin spricht selbst von „Zweckgemeinschaft“

Zudem gelte es danach zu differenzieren, ob es sich bei einem Fraktionsbündnis um Angehörige der gleichen Partei oder einer Wählergemeinschaft handele. Hierbei seien „grundsätzliche politische Übereinstimmung“ ohne Weiteres anzunehmen. Beim Schleswiger Zusammenschluss des ehemaligen Mitglieds einer Wählergemeinschaft und eines Grünen sei diese Übereinstimmung indes nicht ausreichend erkennbar gewesen.

So beurteilt das die CDU nun auch für die neue Fraktion im Stormarner Kreistag. „Frau Beutin hat in einem Zeitungsbeitrag unlängst selbst von einer Zweckgemeinschaft gesprochen“, sagt CDU-Fraktionschef Joachim Wagner. Diesen Eindruck bestätige das eigentümliche Bündnis unter anderem durch ein unterschiedliches Abstimmungsverhalten in den Ausschüssen. „Dass es da viel Übereinstimmung und Konsens in der Fraktion Freie Wähler/Linke gibt, ist nur selten erkennbar“, so Wagner.

Vertreter verschiedener politischer Strömungen

Das bestreiten Wocker und Beutin unisono. Und führen als jüngsten Beleg die gemeinsame Erklärung gegen Antisemitismus, Rassismus und Sexismus ins Feld. „Die ist zwar von uns Linken initiiert worden, wurde von den Freien Wählern aber vorbehaltlos unterstützt“, sagt Beutin. Als Vertreter „verschiedener politischer Strömungen“ sehe man eine gemeinsame Verantwortung, diese Formen der Diskriminierung in all ihren Erscheinungsformen zu überwinden.

Absolute Einigkeit herrsche zudem im Umgang mit der AfD. „Auch hier gab es eine Abstimmung in der Fraktion, dass keinem Antrag dieser Partei zugestimmt wird, unabhängig vom konkreten Inhalt“, berichtet Wocker. Mit ihrer Programmatik sei sie eine Gefahr für die Demokratie.

Ein Zusammenschluss ohne Fraktionszwang

Bevor sich die 66 Jahre alte Oldesloerin den Freien Wählern anschloss, war sie selbst ein halbes Jahr bei der AfD. „Dass mir das immer noch vorgehalten wird, halte ich für diskriminierend. Da sind sehr viele Vorurteile im Spiel, um mich und uns permanent zu diskreditieren“, wehrt sich Wocker vehement. Mal einen falschen Weg zu gehen, sei nicht verwerflich und menschlich. „Viel wichtiger ist doch aber, einen Fehler zu erkennen und die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Das gesteht man mir aber offenbar nicht zu“, moniert sie.

Jedenfalls gebe es trotz unterschiedlicher Standpunkte in Sachfragen ein sehr gutes, respektvolles und ehrliches Einvernehmen in der Fraktion. Man ergänze sich ohne Fraktionszwang und ideologische Verbohrtheit. „Wohin die Reise geht, weiß ich heute noch nicht. Und ebenso wenig, ob unser Bündnis tatsächlich fünf Jahre hält“, erklärte Wocker.

Linken ist nur eine Kreistagsmandat geblieben

Beutin und Wocker sehen ihre Allianz zudem als praktische Folge der von der schwarz-grünen Landesregierung im Vorfeld der jüngsten Kommunalwahlen durchgepeitschten Reform, wonach Fraktionen ab einer bestimmten Gremiumsgröße nur noch mit mindestens drei Abgeordneten gebildet werden können. Das trifft auch auf den Kreistag zu, der mit 66 Sitzen so groß ist wie niemals zuvor.

Nach einem desaströsen Wahlergebnis war den Linken von ehemals drei Sitzen nur ein Mandat für Beutin geblieben. „Als Einzelkämpfer ist man in den Mitwirkungsrechten so stark eingeschränkt, dass es praktisch kaum noch echte Einflussmöglichkeiten gibt“, sagt Heidi Beutin. In den Ausschüssen, in denen der Hauptteil der kommunalpolitischen Arbeit geleistet wird, haben Solisten zwar Rede-, aber kein Stimmrecht, können dort keine Anträge stellen und auch keine Wählbaren Bürger entsenden.
„Ich habe das bereits eine Wahlperiode erlebt und empfand das als wirklich frustrierend“, gesteht sie. Deshalb sei es vernünftig gewesen, sich zusammenzuschließen. Und mit den Freien Wählern habe es nun mal „die größte Schnittmenge“ gegeben.

FDP-Fraktionschef Thomas Bellizzi zeigt für das Vorgehen Verständnis. „Die schwarz-grüne Koalition in Kiel hat solche Fraktionsgemeinschaften mit ihrer Wahlrechtsnovelle praktisch provoziert. Deshalb sollten sich die Christdemokraten nun auch nicht wundern“, sagt der Freidemokrat. Mit Blick auf die eingeschränkten Mitwirkungsrechte seien solche Zusammenschlüsse nachvollziehbar. Auch wenn es sich im konkreten Fall um eine „interessante Mischung“ mit dem Potenzial zu Überraschungen handele.

CDU-Fraktionschef Joachim Wagner kündigte derweil an, die Zulässigkeit der Fraktionsbildung von Freien Wählern und Linken jetzt juristisch prüfen zu lassen. „Ich halte diese Allianz nach wie vor für grotesk“, so Wagner. Zumal der Verdacht im Raum stehe, dass es den ungewöhnlichen Koalitionären auch um das Erlangen finanzieller Vorteile gegangen sei. Immerhin gebe es für die Fraktionen einen Grundbetrag von 2500 Euro im Jahr plus 800 Euro pro Kreistagsmitglied sowie 779 Euro monatlich für den Fraktionsvorsitz. „Auch dieser Punkt wäre gemäß dem vorliegenden Urteil aus Schleswig nicht zulässig. Deshalb gehört das alles aus unserer Sicht nun auf den Prüfstand“, kündigt Joachim Wagner an.