Bad Oldesloe. Warum die großen Fraktionen die neue Koalition kritisch sehen und welche Rolle dabei die Abgeordnete Ute Wocker spielt.
Bislang waren es nur Gerüchte und Spekulationen. Doch nun haben sich die Anzeichen verdichtet, dass es im Stormarner Kreistag bei der konstituierenden Sitzung am Freitag, 23. Juni, sechs statt fünf Fraktionen geben wird. Nach den Kommunalwahlen Mitte Mai hatten CDU, SPD, Grüne, FDP und AfD genügend Mandate für eigene Fraktionen geholt. Nun kommt wohl eine weitere hinzu, die durch den Zusammenschluss von Freien Wählern und der Linken entsteht. „Ja, wir haben uns auf eine Koalition verständigt, ich denke, es ist den Versuch wert“, sagte Heidi Beutin, Frontfrau der Stormarner Linken unserer Redaktion.
Kreistag ist jetzt so groß wie niemals zuvor
Wie bereits berichtet, waren die Linken die großen Verlierer der zurückliegenden Kreiswahl. Von ehemals drei Sitzen ist nur ein Mandat für Beutin übriggeblieben. Ein schwerer Schlag für die Partei, die insbesondere durch Richtungsdebatten und Dauerquerelen im Ahrensburger Ortsverband viel an Reputation verloren hatte. „Diese öffentlichen Streits waren pures Gift, wir wurden nicht mehr als Einheit wahrgenommen“, gestand Beutin offen ein.
Seit der jüngsten Wahlrechtsreform der schwarz-grünen Landesregierung können Fraktionen fortan ab einer bestimmten Gremiumsgröße nur noch mit mindestens drei Abgeordneten gebildet werden. Das trifft auf den Kreistag zu, der mit 66 Sitzen so groß ist wie niemals zuvor.
Ein Einzelkämpfer hat kaum Einflussmöglichkeiten
Derweil sind Einzelvertreter in ihren Mitwirkungsrechten stark eingeschränkt. Sie haben in den Ausschüssen, in denen der Hauptteil der kommunalpolitischen Arbeit geleistet wird, zwar Rede-, aber kein Stimmrecht, können dort keine Anträge stellen und auch keine Wählbaren Bürger entsenden. Mal ganz abgesehen von erheblichen finanziellen Nachteilen.
„Ich habe bereits eine Wahlperiode als Solistin erlebt, das ist wirklich frustrierend und bedarf durch entfallender Fraktionszuschüsse auch eines erheblichen finanziellen Aufwands“, sagt Beutin. Viel entscheidender sei indes, dass es de facto kaum Einflussmöglichkeiten auf Entscheidungen des Kreistags gebe.
Beutin spricht von einer „Zweckgemeinschaft“
Deshalb hat Beutin kurz nach der Wahl Kontakt zu den Freien Wählern aufgenommen. Sie haben durch Ute Wocker und Oliver Mende zwei Mandate geholt und könnten bei einem Zusammenschluss mit der Linken eine reguläre Fraktion mit allen sich daraus ergebenden Rechten bilden.
„Natürlich handelt es sich hierbei um eine Zweckgemeinschaft. Für beide Seiten gibt es aber mehr zu gewinnen als zu verlieren“, sagt Beutin. Sie hoffe auf eine konstruktive Zusammenarbeit auf Augenhöhe. „Von Unterordnung kann keine Rede sein, ich werde mir die Butter nicht vom Brot nehmen lassen“, kündigt die Linke an. Sie sehe Schnittmengen vor allem in der Friedenspolitik und im sozialen Engagement, darauf lasse sich aufbauen.
SPD zeigt sich entsetzt von der neuen Partnerschaft
Das Gros der anderen Fraktionen sieht den Zusammenschluss eher skeptisch bis offen kritisch. Vor allem deshalb, weil Ute Wocker zuvor die AfD unterstützt habe. „Wir waren entsetzt, als wir von dieser neuen Partnerschaft gehört haben“, sagt etwa SPD-Fraktionschef Frank Schmalowsky.
Beutin, habe sich in den vergangenen Jahren als aufrechte Kämpferin für die Themen der Linken einen Namen gemacht. Der strategische Ansatz, sich mehr Mitspracherechte zu sichern, sei durchaus nachvollziehbar. „Wir sind gespannt, wie sich die neue Fraktion insbesondere bei kontroversen Themen letztlich positionieren wird“, so Schmalowsky.
CDU-Fraktionschef: Die neue Koalition ist „grotesk“
Sein CDU-Pendant Joachim Wagner bezeichnetet die neue Koalition als „grotesk“. Dass sich eine ehemalige AfD-Sympathisantin jetzt mit einer Linken zusammentue, sei schon ein „bemerkenswerter Werdegang“ und deshalb ziemlich überraschend. „Ob das tatsächlich dem Willen der Wähler beider Gruppierungen entspricht, steht für mich dahin. Ich hätte jedenfalls eher andere Koalitionen erwartet“, so der Christdemokrat.
Die Grünen übten sich in einem weitgehend neutralen Kommentar. „Es steht jedem frei, sich mit Partnern seiner Wahl zusammenzuschließen, das ist vollkommen legitim und von den Statuten gedeckt“, erklärte Fraktionschefin Sabine Rautenberg. Ansonsten bleibe abzuwarten, wie sich die neue Fraktion bei Beschlüssen des Kreistags verhalte.
Neue Fraktion kann zum Zünglein an der Waage werden
FDP-Fraktionschef Thomas Bellizzi sieht im Zusammenschluss von Freien Wählern und Linken eine „interessante Mischung“ mit dem Potenzial zu Überraschungen. „Die neue Fraktion kann bei Abstimmungen die Mehrheitsverhältnisse beeinflussen und in bestimmten Fällen auch zum Zünglein an der Waage werden“, so der Freidemokrat.
Darüber sollten sich CDU und Grüne dann aber nicht beschweren. Schließlich sei es die schwarz-grüne Koalition in Kiel gewesen, die die Novelle des Kommunalwahlrechts gegen alle Bedenken und Proteste im Landtag durchgepeitscht habe. Die Anhebung der Fraktionsgröße habe solchen Konstellationen praktisch Vorschub geleistet.
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Heidi Beutin verteidigt hingegen ihr Vorhaben und die bevorstehende Zusammenarbeit mit Ute Wocker. „Deren AfD-Vergangenheit sollte ihr nicht ewig anhängen, das finde ich nicht richtig“, so Beutin. Wenn Wocker ihre Mitarbeit bei der AfD als Fehler erkannt habe, das sei doch erst einmal positiv. Ebenso wie die Tatsache, dass sie sich trotzdem weiter kommunalpolitisch engagieren wolle, jetzt eben bei den Freien Wählern. „Menschen ändern sich, das sollte auch Ute Wocker zugestanden werden“, ist Heidi Beutin überzeugt. Wocker selbst wollte sich auf Abendblatt-Anfrage vorerst nicht äußern.
Durch die sechste Fraktion werden SPD und Grüne in den Ausschüssen, die künftig nur noch aus elf statt zwölf Mitgliedern bestehen, mit je zwei Abgeordneten vertreten sein. Der elfte Platz, auf den beide Fraktionen Anspruch gehabt hätten, geht jetzt an die neue Fraktion FW/Linke, die aber keinen Ausschussvorsitzenden stellen wird.