Trittau. Die Firma Wilke Fahrzeugbau aus Trittau ist für erfolgreiche Inklusion ausgezeichnet worden. Doch so vorbildlich läuft es nicht immer.
Wenn Carina Rother ihre Schicht bei der Firma Wilke Fahrzeugbau aus Trittau beginnt, dann darf eines nicht fehlen: ihr Tablet. Damit verständigt sich die Wentorferin. Denn die 23-Jährige hat eine Hörbehinderung und braucht bei der Kommunikation mit ihren Kollegen technische Unterstützung.
Sie ist eine von zwei Mitarbeitern mit Schwerbehinderung, die das Trittauer Familienunternehmen im vergangenen Jahr eingestellt hat. Carina Rother verstärkt das Team, das mittlerweile aus 110 Beschäftigten besteht, seit August. Die gelernte Elektronikerin für Energie- und Gebäudetechnik arbeitet in der Fertigung und kümmert sich um die Fahrzeugelektrik.
Das Trittauer Unternehmen beschäftigt Menschen mit Behinderung
Bereits seit März in dem Betreb arbeitet Dominik Urban, der eine kognitive Behinderung hat. Ebenfalls in der Fertigung ist er als sogenannter Finisher tätig. Er hilft dabei, Quertrennwände in die Kammern für die verschiedenen Temperaturzonen in Lkw-Aufbauten einzubauen. Diese werden individuell gefertigt und können flexibel ein- oder umgebaut werden.
Das Trittauer Unternehmen Wilke Fahrzeugbau GmbH wurde 1905 gegründet. Es ist auf die Fertigung von Mehrkammer-Kühlaufbauten für Lastkraftwagen spezialisiert, die Lebensmittel, Pflanzen, Pharmaprodukte oder Blutkonserven transportieren. Mit den Mehrkammer-Aufbauten ist es möglich, verschiedene Güter, die unterschiedliche Temperaturzonen benötigen, gleichzeitig zu laden und zu liefern.
Menschen mit Behinderung haben es auf dem Arbeitsmarkt oft schwer
Für erfolgreiche Inklusion ist der Betrieb jetzt von der Agentur für Arbeit Bad Oldesloe ausgezeichnet worden. Denn: So vorbildlich wie in der Trittauer Firma läuft es nicht immer. Oft sind Menschen mit Behinderung Verlierer am Arbeitsmarkt und haben Probleme, eine Beschäftigung zu finden. So war auch Carina Rother, die Anfang 2022 ihre Ausbildung abgeschlossen hatte, nur kurz beschäftigt und danach lange auf Jobsuche.
„In Stormarn ist die Zahl arbeitsloser Menschen mit einer Schwerbehinderung im Jahresdurchschnitt von 258 in 2022 auf 253 in 2023 zurückgegangen. Eine leicht positive Entwicklung. Trotzdem bleibt unsere Erfahrung, dass ihnen – einmal arbeitslos geworden – der Zugang zum Arbeitsmarkt trotz des Arbeits- und Fachkräftebedarfes häufig immer noch schwerer fällt als Jobsuchenden ohne Behinderung“, sagt Kathleen Wieczorek, Chefin der Agentur für Arbeit Bad Oldesloe.
Agentur für Arbeit unterstützt und berät Unternehmen
Umso erfreulicher sei es, wenn Unternehmen wie Wilke Fahrzeugbau Menschen mit einer Behinderung eine Chance geben und ihnen einen beruflichen Einstieg ermöglichen. Wieczorek: „Ein Nachahmen ist erwünscht. Mit dem Inklusionszertifikat möchten wir uns für Inklusion am Arbeitsmarkt starkmachen und andere Unternehmen motivieren, Menschen mit Beeinträchtigungen einzustellen.“
Sowohl die Unternehmen als auch die Mitarbeiter mit Behinderung bekommen von der Agentur für Arbeit umfangreiche Unterstützung. Carina Rother erhält technische Unterstützung. Neben einem Tablet wurde ihr auch ein Pager zur Alarmierung zur Verfügung gestellt. „Ich verständige mich über Tablet oder Handy, das klappt gut und kenne ich nicht anders“, so Rother.
Für Carina Rother kommt regelmäßig eine Gebärdendolmetscherin
Zudem kommt regelmäßig eine Gebärdendolmetscherin ins Unternehmen. Die Kosten werden von der Arbeitsagentur übernommen. Sie unterstützt die angehende Kraftfahrzeugelektrikerin bei technischen Einweisungen und Schulungen. Rothers persönlicher Ansprechpartner, Kfz-Technikermeister Michael Melz, betreut sie in der Einarbeitung. Auch Dominik Urban wird von seinem persönlichen Ansprechpartner Michael Günter unterstützt.
Geschäftsführer Stefan Wilke ist froh, Rother und Urban eingestellt zu haben: „Erst waren wir unsicher, wollten aber beiden gerne eine Chance in unserem Unternehmen geben. Da zunehmend Beschäftigte in den Ruhestand gehen, suchen wir auch neue Mitarbeitende.“ Ausbilderin Andrea Wilke sieht es genauso: „Wir freuen uns, nur Positives über unsere beiden neuen Mitarbeitenden berichten zu können. Sie entwickeln sich wirklich gut.“
60 Prozent der jobsuchenden Menschen mit Behinderung haben einen Berufsabschluss
Hilfe bekommt das Unternehmen außerdem von Iris Iburg, die bei der Agentur für Arbeit Unternehmen zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderung und möglichen Förderleistungen berät. So hat die Arbeitsagentur bei Rother und Urban zunächst eine einmonatige Probebeschäftigung gefördert, über die dann die Festeinstellung beider erfolgte. Für die ersten zwei Jahre des Beschäftigungsverhältnisses erhält die Firma jeweils einen Lohnkostenzuschuss.
„Ich freue mich, wenn es so gut gelingt, Menschen mit einer Behinderung in ein Unternehmen zu integrieren. Das zeugt von viel Engagement und sozialem Einsatz“, sagt Wieczorek. Sie appelliert an Unternehmen: „Knapp 60 Prozent der Jobsuchenden mit einer Schwerbehinderung haben einen qualifizierten Berufsabschluss.“ Bei der Personalsuche solle stets an das Potenzial von Menschen mit Behinderung gedacht werden. „Dazu sind Menschen mit einer Schwerbehinderung oft besonders engagiert, wenn sie eine Chance bekommen“, so die Agenturchefin weiter.
Unternehmen haben oft Vorbehalte Menschen mit Behinderung zu beschäftigen
Als Expertin der Arbeitsagentur berät Iburg Unternehmen aus den Kreisen Stormarn und Herzogtum Lauenburg rund um die Einstellung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderung. Zudem klärt sie über die Beratungs- und Förderangebote der Agentur für Arbeit auf. Sie wirbt auch in den Unternehmen initiativ für die Einstellung jobsuchender Menschen mit Behinderung. Dabei arbeitet sie mit Integrationsfachdiensten oder technischen Beratern zusammen, falls zum Beispiel technische Hilfen oder besondere Ausstattungen am Arbeitsplatz notwendig sein sollten.
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„Ich stelle in den Gesprächen mit den Unternehmen immer wieder fest, dass es oft Unsicherheiten oder Vorbehalte gibt. Manchmal sind es Fehlinformationen zu den besonderen Schutzrechten schwerbehinderter Menschen oder Zweifel an deren Leistungsfähigkeit. Diese Unsicherheiten versuche ich zu nehmen“, sagt Iburg. Unternehmen, die sich beraten lassen möchten, erreichen die Expertin bei der Arbeitsagentur unter Tel. 04531/16 71 08 oder per Mail an badoldesloe.161-reha@arbeitsagentur.de.