Bonn. Trotz einer gesunkenen Arbeitslosenquote haben es Menschen mit einer Schwerbehinderung auf dem Arbeitsmarkt schwerer als ohne. Bei der Aktion Mensch sorgt dieser Befund einmal mehr für Kopfschütteln.
Menschen mit Behinderung werden auf dem Arbeitsmarkt laut einer neuen Studie weiterhin strukturell benachteiligt. Vor allem die unzureichende Einstellungsbereitschaft von Unternehmen stehe einer Verbesserung entgegen, berichtete die Aktion Mensch in Bonn in ihrem neuesten Inklusionsbarometer.
„Nach wie vor beschäftigt mehr als ein Viertel der dazu verpflichteten Betriebe in Deutschland keine Menschen mit Behinderung“, hieß es.
Ab 20 Mitarbeitenden sind Arbeitgeber dazu verpflichtet, schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Erfüllt ein Arbeitgeber die Pflichtquote von fünf Prozent nicht, muss er für jeden unbesetzten Pflichtarbeitsplatz monatlich eine Ausgleichsabgabe bezahlen.
Die Anzahl der arbeitslosen Menschen mit Behinderung ist 2022 laut der Studie des Handelsblatt Research Institutes gegenüber dem Vorjahr im Jahresschnitt zwar um rund fünf Prozent gesunken - auf 163.500. Seit April 2023 liege der Wert jedoch wieder höher als 2022, zuletzt im Oktober bei 165.700. „Der konjunkturelle Abschwung ist mittlerweile auch auf dem Arbeitsmarkt angekommen“, erklärte Institutspräsident Bert Rürup. Die für 2023 erwartete, schrumpfende gesamtwirtschaftlichen Leistung trübe auch die Arbeitsmarktchancen von Menschen mit Behinderung einmal mehr ein.
Bessere Perspektiven für Schwerbehinderte gefordert
Die IG Metall forderte vor dem Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember bessere Perspektiven für schwerbehinderte Menschen. Die Gewerkschaft kritisierte einen geringen Stellenwert dieser Beschäftigten bei Unternehmen und Gesetzgeber. Einen stiefmütterlichen Blick auf Menschen mit Behinderungen könne sich das Land nicht leisten, sagte IG Metall-Vorstand Hans-Jürgen Urban laut Mitteilung. „Der Arbeitsmarkt braucht dringend Beschäftigte. Und behinderte Beschäftigte brauchen echte Teilhabechancen statt Mitleid.“
Jeder Betrieb müsse barrierefrei und damit aufnahmebereit für Behinderte werden, forderte die Gewerkschaft. Bislang seien Betriebe erst verpflichtet, barrierefreie Umbauten vorzunehmen, wenn sie Schwerbehinderte beschäftigten. „Dies wird nicht zuletzt bei Einstellungen zum enormen Hemmschuh“, hieß es.
Aktion Mensch: Keine Gleichberechtigung
Laut Integrationsbericht lag die Arbeitslosenquote bei Menschen mit Behinderung 2022 mit fast elf Prozent immer noch mehr als doppelt so hoch wie die allgemeine Quote. Auch hätten Menschen ohne Behinderung eine mehr als doppelt so hohe Chance, einen neuen Arbeitsplatz zu finden als Menschen mit Behinderung. „Von einer Gleichberechtigung ist Deutschland noch immer meilenweit entfernt - und das fast 15 Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention, die das Recht auf Teilhabe am Arbeitsmarkt beschreibt“, kommentierte Aktion-Mensch-Sprecherin Christina Marx die Lage.
Die Organisation wies darauf hin, dass in Deutschland fast 175.000 Unternehmen gesetzlich dazu aufgefordert sind, mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze an Menschen mit Behinderung zu vergeben. Der Anteil der Arbeitgeber, die alle Pflichtarbeitsplätze besetzt hätten, sei 2022 jedoch auf 39 Prozent gefallen. Dies sei der niedrigste Wert seit Erscheinen des ersten Inklusionsbarometers 2013. Dagegen beschäftige noch immer mehr als jedes vierte Unternehmen keinerlei Menschen mit Behinderung. Diese Unternehmen würden trotz des Fachkräftemangels leichtfertig auf die Potenziale von Inklusion verzichten, so Marx. Unter Menschen mit Behinderung gebe es im Vergleich mehr gut qualifizierte Fachkräfte, betonte sie.