Reinbek. Die Politik ist mehrheitlich für eine Erweiterung des Gewerbegebiets. Warum es nun dennoch einen Bürgerentscheid geben soll.

In der Reinbeker Politik ist es eine Premiere: Am 9. Juni 2024, dem Tag der Europawahl, sollen die Reinbekerinnen und Reinbeker entscheiden, ob das Gewerbegebiet Senefelder Ring zwischen Sachsenwaldstraße und Bummereiweg um neun Hektar ins Haidland erweitert werden soll. Und zwar erstmals unter Regie der Reinbeker Verwaltung. Denn die Stadtverordneten haben auf Initiative der FDP einen Bürgerentscheid beschlossen: Dabei ist eigentlich die Mehrheit der Fraktionen, auch die FDP, für die Erweiterung des Gewerbegebietes.

Nur die Reinbeker Grünen sind gegen die Bebauung des Haidlands. Gegen die Stimmen der CDU stimmte die Politik dafür, die Reinbekerinnen und Reinbeker entscheiden zu lassen. Die beteiligten Fraktionen setzen darauf, dass die Bürgerinnen und Bürger sie in ihrer Meinung bestätigen. Die Liberalen wollen eine moderate Erweiterung, um der Reinbeker Wirtschaft die Möglichkeit zur Expansion zu geben. Auch CDU, SPD und Forum21 hoffen, mit mehr Gewerbesteuereinnahmen die Finanzierung von Kinderbetreuung und Schulgebäuden weiter zu sichern.

Gewerbegebiet: Bürgerentscheid zur Erweiterung ins Haidland

Doch bei der Abstimmung hat sich die FDP überraschend enthalten, sodass die Zwei-Drittel-Mehrheit, die einen Bürgerentscheid verhindert hätte, nicht zustande kam. In der Folge setzten die Liberalen den Bürgerentscheid gegen die CDU durch, um sich des Rückhalts in der Bevölkerung für eine Gewerbegebietsentwicklung zu vergewissern. Für Bürgervorsteherin Brigitte Bortz (CDU) eine unnötige Verzögerung: „Ich verstehe das nicht: Wir sind doch gewählt worden, um Entscheidungen zu treffen, nicht um sie uns von den Bürgern abnehmen zu lassen“, sagt sie. „Wir alle wissen, dass Reinbek mehr Gewerbesteuereinnahmen braucht.“

Vor drei Jahren hatten die Grünen bereits gefordert, die Bürgerinnen und Bürger abstimmen zu lassen, waren damit aber bei den anderen Fraktionen abgeblitzt. Gewerbe im Haidland ist schon lange ein Politikum: In den Jahren 2012 bis 2015 scheiterten eine weitere Ansiedlung von Gewerbe und ein Hochregallager der Firma Michaelis im Haidland an Bürgerprotesten.

Ein Ergebnis der Bürgerbeteiligung für den Stadtteilplan Schönningstedt war, dass die Menschen im Viertel keine Bebauung des Haidlands wünschen.
Ein Ergebnis der Bürgerbeteiligung für den Stadtteilplan Schönningstedt war, dass die Menschen im Viertel keine Bebauung des Haidlands wünschen. © Susanne Tamm | Susanne Tamm

Geeignete Gewerbeflächen sind in Reinbek rar

Zwischenzeitlich liegen allerdings weitere Informationen auf dem Tisch: So haben alle Fraktionen beschlossen, dass der Recyclinghof der AWSH an die Sachsenwaldstraße neben das Unternehmen Dello umziehen und vom Senefelder Ring aus angefahren werden soll. Für die Mehrheit der Fraktionen ist es somit selbstverständlich, dass der im Osten an das Gewerbegebiet angrenzende Ackerstreifen mit entwickelt werden muss.

Außerdem gibt es heute eine Erhebung, wie viele ortsansässige Unternehmen sich gern erweitern würden. Demnach haben mehr als 20 Reinbeker Firmen dringenden Bedarf an neuen Gewerbeflächen. Eine Bürgerbeteiligung, in der die Schönningstedterinnen und Schönningstedter nach Wünschen für ihren Stadtteil gefragt worden sind, hat indes ergeben, dass diese keine Bebauung des Haidlandes wünschen. Der Stadtteilworkshop hat die Stadt insgesamt 81.000 Euro gekostet.

Menschen in Schönningstedt wollen keine Bebauung des Haidlandes

Die FDP möchte Reinbeks Arbeitsplätze langfristig sichern und deren Anzahl sogar noch erhöhen. Das neue Gewerbegebiet solle nach neuesten ökologischen Standards maßvoll gestaltet werden, das heißt die Gebäudehöhen sollten auf 14 Meter begrenzt werden. Versiegelung soll durch Ausgleichsmaßnahmen und die Neuanlage von Knicks ausgeglichen werden.

Außer für den Recyclinghof soll Platz für neun weitere Betriebe aus Reinbek geschaffen werden. Die Grundstücksvergabe an die Unternehmen soll in der Hand der Reinbeker Politik bleiben. „Wir unterstützen diese Planungen mit voller Überzeugung, weil die Vorteile die Nachteile aus unserer Sicht deutlich überwiegen“, heißt es auf der Homepage der Liberalen zu der Erweiterung. Und FDP-Fraktionschef Bernd Uwe Rasch erklärt: „Wir sind sicher, das sehen Reinbeks Bürger genauso.“ Außerdem habe man bereits im Wahlprogramm festgelegt, dass man die Reinbekerinnen und Reinbeker per Bürgerentscheid befragen wolle. „Wir stehen zu unserem Wort“, sagt er.

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Grünen hoffen, dass ein Bürgerentscheid Schönningstedt besänftigt

Die Reinbeker Grünen sind zwar komplett anderer Ansicht, nehmen den fast gleichlautenden Antrag der FDP für einen Bürgerentscheid jedoch sportlich. „Ich begrüße es sehr, dass die Bürger über so ein wichtiges Thema wie die Errichtung eines großen Gewerbegebiets in Wohnortnähe abstimmen können“, sagt Grünen-Fraktionschef Günther Herder-Alpen. „In Anbetracht des Flächenfraßes, der zerstörten Naturräume und des zu erwartenden Schwerlastverkehrs ist das eine wichtige Entscheidung. Die Haltung der Grünen dazu ist klar.“

Die Mehrheit der Stadtverordneten habe sich nicht an die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung in Schönningstedt gebunden gesehen und habe für die Gewerbegebietsausweisung votiert. „Ein Unding“, sagte Patricia Böge (Grüne), selbst Schönningstedterin, vor der Abstimmung. „Erst die Bürger zu beteiligen und dann konträr zu beschließen, schafft nur noch mehr Politikverdrossenheit.“

Bürgerentscheid: Fragestellung muss noch formuliert werden

Fraktionschef Herder-Alpen geht jetzt davon aus, dass der Bürgerentscheid den Unmut über das bisherige Vorgehen besänftigen wird: „An das Ergebnis eines Bürgerentscheids wird sich die Politik – anders als bei der Bürgerbeteiligung – zwingend halten müssen.“ Es gehe um die letzte Fläche, die in Reinbek noch bebaut werden kann und darüber sollen die Bürger jetzt abstimmen.

Die genaue Fragestellung soll noch eine Arbeitsgruppe aus Politik und Verwaltung erarbeiten, um sie der Stadtverordnetenversammlung zur Abstimmung vorzulegen. „Das wird bestimmt nicht einfach“, befürchtet Brigitte Bortz. „Denn die Befürworter verfolgen mit dem Entscheid gegensätzliche Interessen.“

Unterschriften sind nicht nötig

Dann geht das Verfahren weiter seinen Gang: „Anders als beim Bürgerbegehren müssen wir für einen von der Politik beschlossenen Bürgerentscheid keine Unterschriften sammeln“, betont Bernd Uwe Rasch. Damit könne der Bürgerentscheid am 9. Juni 2024 zur Abstimmung gebracht werden. Ziel sei es ein Quorum von 16 Prozent zu erreichen.