Reinbek. Der Wolfgang-Borchert-Experte ist mit einem Band über den bekannten Schriftsteller auf der Shortlist von „HamburgLesen“ gelandet.

Er war ein echter Hamburger Jung – der Schauspieler, Dramatiker, Dichter und Autor von Kurzgeschichten Wolfgang Borchert. Borchert starb am 20. November 1947 im Alter von nur 26 Jahren. Nur wenige Tage zuvor ist ein ausgewiesener Kenner seines Werkes geboren worden: Der Reinbeker Bernd Kraske ist gefühlt „seit 1000 Jahren“ Vize der Internationalen Wolfgang-Borchert-Gesellschaft und als solcher Mitherausgeber der Jahreshefte.

Eine besondere Anerkennung hat jetzt der Sammelband der Jahrgänge 2021 und 2022 zum 100. Geburtstag und 75. Todestag des Schriftstellers erhalten: Unter dem Titel „Horch hinein in den Tumult deiner Abgründe“ hat er es auf die Shortlist der Auszeichnung „HamburgLesen“ geschafft. „Das freut mich natürlich sehr – für die Borchert-Gesellschaft“, sagt Bernd Kraske, obschon er sich für den literaturwissenschaftlichen Band wenig Chancen ausrechnet. „Ich sehe das als Dankeschön für unsere Arbeit.“

Reinbeker Buch über Wolfgang Borchert auf Hamburgs Shortlist

Seiner Ansicht nach hätten der Schriftsteller Wolfgang Borchert und sein Werk in der Hansestadt sehr viel mehr Anerkennung verdient. „In Basel etwa, die Stadt, in der er gestorben ist, wird sein Andenken gehegt und gepflegt - ganz im Gegensatz zu Hamburg“, mahnt Kraske. Der ehemalige Leiter des Schlosses Reinbek ist im Ruhestand und liegt aktuell mit einem gebrochenen Sprunggelenk im Krankenhaus, weil er im Schlosspark auf dem regennassen Rasen ausgerutscht ist. Von dem Preis habe er bislang noch nicht einmal gewusst, gesteht Kraske. „Unser Verlag hat angerufen und mich informiert“, erzählt der 76 Jahre alte Literaturwissenschaftler.

Wolfgang Borchert, hier in Lüneburg 1941, war ein lebensbejahender Mensch.
Wolfgang Borchert, hier in Lüneburg 1941, war ein lebensbejahender Mensch. © Staats- und Universitätsbibliot | Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg - Carl von Ossietzki

Auf der Auswahl-Liste befindet er sich in bester Gesellschaft mit sechs anderen Autoren und Herausgebern. „Wenn ein anderer den Preis erhält, ist das vollkommen in Ordnung“, sagt Bernd Kraske, der auch einige andere Titel hochinteressant findet. Von 1240 Vorschlägen hat es eine Vorauswahl gegeben. Neben Kraske und seinem Mitherausgeber, der Germanist Hans-Gerd Winter, stehen unter anderem noch Michael Batz, in Hamburg eher als Lichtkünstler bekannt, die Botaniker Barbara Engelschall und Hans-Helmut Poppendiek oder auch René Senenko von der Willi-Bredel-Gesellschaft auf der Liste.

Wolfgang Borchert schrieb Deutschlands meistgespieltes Drama

Wolfgang Borchert hat Bernd Kraske schon während seiner Schulzeit fasziniert: „Ich habe als Schüler Gedichte in seinem Stil geschrieben – gar nicht schlecht“, erinnert er sich mit einem Lächeln. Borchert wird der Trümmerliteratur zugeordnet, sein bekanntestes Werk ist wohl das Drama „Draußen vor der Tür“ – laut Untertitel „Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will“. Dessen Premiere hat der junge Dramatiker nicht mehr erlebt: Tragischerweise ist er einen Tag zuvor gestorben. „Heute ist es das meistgespielte deutsche Theaterstück“, bekräftigt der Reinbeker Literaturwissenschaftler.

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Kraske nennt ihn oft „Borchert mit dem schwarzen Rand“ in Anspielung auf seinen frühen Tod und die Düsternis in der Nachkriegsliteratur. Dennoch, sagt er, sei Wolfgang Borchert ein lebensfreudiger Mensch gewesen. „Als Schauspieler hat er Goebbels parodiert und landete dafür im Zuchthaus. Typisch Schauspieler, er konnte nicht die Klappe halten. Dann wurde er als Melder ohne Waffe unter der russischen Front eingesetzt – als Kanonenfutter. Trotzdem ist er wie ein Hans im Glück durch den Krieg gekommen. Dann ist er an dessen Folgen gestorben, weil es in Deutschland keine Medikamente gab.“ Viel zu spät, erst nach einem halben Jahr, sei er nach Basel gelangt.

„Borchert ist so lange aktuell, so lange es Kriege gibt“

Bernd Kraske hat nicht allein Aufsätze für den Band geschrieben, so hat er beispielsweise – erstmals den Briefwechsel zwischen Wolfgang Borchert und Karl Ludwig Schneider, Mitglied der Weißen Rose in Hamburg, Germanistik-Professor an der Uni Hamburg und als solcher akademischer Lehrer Kraskes, editiert. Er hat auch andere Artikel des Bandes redigiert und sie zusammengestellt.

„Borchert ist so lange aktuell, so lange es Kriege gibt“, erklärt Bernd Kraske. Deshalb habe er das Borchert-Zitat am Ende des Bandes im Angesicht des Krieges in der Ukraine ausgewählt: „Und erzähl deinen Kindern nie von dem heiligen Krieg: Sag die Wahrheit, das sei so rot wie sie ist: voll Blut und Mündungsfeuer und Geschrei“, heißt es darin.