Reinbek. Die Werke des berühmten Schriftstellers sind noch heute sehr geschätzt. Der Reinbeker Bernd M. Kraske verrät aber noch mehr.

Dunkle Haare, ebenmäßiges Gesicht, geschwungene Nase, markanter Blick: Der Schriftsteller und Schauspieler Wolfgang Borchert war ein attraktiver Mann. Einer, der bei den Frauen gut ankam. „Borchert hatte Charisma, war kess, pfiffig, humorvoll. Er liebte die Frauen und die Frauen liebten ihn“, sagt Bernd M. Kraske. Der 75-Jährige Reinbeker muss es wissen und zeichnet ein anderes Bild des ansonsten als vehementen Friedensmahner und Kriegsgegner bekannten Autors. Auf beide Seiten des berühmten Hamburger Schriftstellers mit Wurzeln in den Vier- und Marschlanden wird Kraske während der Lesung am 20. November im Reinbeker Schloss eingehen. Anlass ist der 75. Todestag Borcherts. Der fällt in diesem Jahr auf den Totensonntag.

In Kriegsgebieten wird das Heimkehrerdrama oft gespielt

Viele Jahre hat sich Bernd M. Kraske als Literaturwissenschaftler, Leiter der Reinbeker Kultureinrichtungen und stellvertretender Vorsitzender der Internationalen Wolfgang-Borchert-Gesellschaft in Hamburg mit dem Schriftsteller und dessen Werk beschäftigt. Gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Gesellschaft Hans-Gerd Winter hat er mehrere Aufsätze über den berühmtesten Vertreter deutscher Trümmerliteratur herausgebracht und eine international gezeigte Borchert-Ausstellung kuratiert. Aktuell trägt Kraske Briefe Borcherts an Zeitgenossen wie den Schriftsteller Carl Zuckmayer zusammen. „Borchert war ein leidenschaftlicher Briefeschreiber“, sagt Kraske. Geplant ist, dass die Briefe im nächsten Jahr bei Rowohlt veröffentlicht werden.

Im vergangenen Jahr, dem 100. Geburtstag Wolfgang Borcherts, wurde die Ausstellung im Schloss gezeigt, im nächsten Jahr wird sie im Heinrich-Heine-Haus in Lüneburg ausgestellt. Dass gerade in Borcherts Jubiläumsjahr sein mahnendes Werk durch den Angriffskrieg in der Ukraine wieder aktueller denn je geworden ist, ist trauriger Zufall der Geschichte. „Während viele andere Nachkriegsschriftsteller in Vergessenheit geraten, wird Borchert immer noch gelesen und aufgeführt – meist da, wo gerade Krieg ist“, weiß Kraske. Borcherts Kurzgeschichten sind Klassiker der Schullektüre, sein Heimkehrerdrama „Draußen vor der Tür“ ist das meistgespielte deutsche Nachkriegsdrama und machte den Hamburger international berühmt. Zum Todestag legen Fans regelmäßig Blumen auf seinem Grab am Stillen Weg auf dem Ohlsdorfer Friedhof ab. „Darunter sind viele junge Menschen, ist Borchert unvergessen“, sagt Bernd M. Kraske.

Liebesgedichte und Kurzgeschichten werden im Schloss zu hören sein

Erlebt hat der Schriftsteller seinen großen Erfolg nicht mehr. Er starb einen Tag vor der Hamburger Uraufführung von „Draußen vor der Tür“ – mit gerade mal 26 Jahren am 20. November 1947 an den Spätfolgen des Krieges. Borchert lag eineinhalb Jahre in hohem Fieber danieder, seine Leber war aufgrund von Mangelernährung und schlecht auskurierten Infektionen stark vergrößert. Diese Tragik gehört zur Legende Wolfgang Borcherts.

Der 75. Todestag soll Anlass sein, um den Schriftsteller im Reinbeker Schloss mit einer Lesung zu würdigen. Ab 11.30 Uhr tragen Bernd M. Kraske und die Glinderin Melanie Mergler, Borchertliebhaberin und designierte Präsidentin der Borchert-Gesellschaft, Auszüge aus seinem Werk vor.

Kraske: „Borchert war lebenslustig, fröhlich und vielfach begabt“

Kurzgeschichten werden darunter sein, aber auch Gedichte, die Borchert für seine geliebte Heimatstadt Hamburg geschrieben hat sowie Gedichte über die Liebe. Denn verliebt war der attraktive Borchert oft. „Man könnte auch sagen, er war ein Hallodri“, sagt Kraske mit einem Schmunzeln, „aber ein sehr sympathischer, der kein Blatt vor den Mund nahm. Er war lebenslustig, fröhlich und vielfach begabt“, sagt der Literaturwissenschaftler. Dieses umfassende Bild von Wolfgang Borchert soll auf der Lesung mit dem vielversprechenden Titel „Ich möchte Leuchtturm sein“ am Sonntag, 20. November, gezeichnet werden. Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten.

Wie begabt Wolfgang Borchert war, können Interessierte auch in dem jüngst erschienenen Jahresheft der Wolfgang-Borchert-Gesellschaft nachlesen. Es ist anlässlich seines 100. Geburtstags und 75. Todestags entstanden, enthält Texte von und über ihn, beschreibt Ausstellungen und ist mit 200 Seiten umfangreicher als vorherige Jahreshefte. Darin sind auch Zeichnungen Borcherts abgedruckt sowie zwei bislang unbekannte Gedichte. Das Heft hat den Titel „Horch hinein in den Tumult deiner Abgründe“, ist im Buchhandel erhältlich und kostet 25 Euro.