Reinbek. War das Unglück zu vermeiden? Stadtverwaltung Reinbek und Eigentümer widersprechen einander. Und welche Rolle spielt ein Gutachter?
Die mächtige Eiche an der Sophienstraße in Reinbek ist längst Brennholz, doch die Streitigkeiten um ihren plötzlichen Fall auf die alte Villa in einer windstillen Nacht Ende August nehmen jetzt richtig Fahrt auf. Die Eigentümer der Villa an der Sophienstraße, in deren Vorgarten die Eiche stand, hatten gegenüber unserer Redaktion erklärt, dass das Unglück vermeidbar gewesen wäre. So hätte die Stadt einer Fällung des auffällig schräg stehenden Baumes einfach zustimmen sollen.
Die Stadt wiederum weist jede Schuld von sich. „Wir konnten einer Fällung gar nicht zustimmen, da es dafür keinen Antrag gab“, sagt Jürgen Vogt-Zembol, Fachbereichsleiter Umwelt. Seine Fachabteilung habe alle Unterlagen durchgesehen und lediglich zwei Anträge gefunden. In dem einen ging es um eine Kronenkürzung, der unter Auflagen stattgegeben worden sei, in dem anderen um die Entnahme von Totholz. Letzteres müsse gar nicht beantragt werden.
In den Unterlagen der Stadt findet sich kein Antrag auf Fällung der alten Eiche
Einen Antrag auf Fällung hat auch Torsten Relling, Leiter der Moeller-Bornemann Hausverwaltung, in seinen Unterlagen nicht gefunden. Die Hausverwaltung hat ihren Sitz in der Villa und vertritt die Eigentümergesellschaft mit allen Befugnissen. Auf die Frage, warum keine Fällung beantragt wurde, sagt Relling: „Wie denn auch, ein Antrag war gar nicht möglich.“ Denn ein hinzugezogener Baumgutachter sei zu dem Schluss gekommen, dass die rund 120 Jahre alte Eiche schützenswert, erhaltenswürdig und erhaltungsfähig ist. Das hatte der Gutachter ihr zuletzt bei einer Kontrolle im September 2022 für weitere zehn Jahre bescheinigt.
„Wir haben uns an alle Auflagen gehalten, haben die Pflege und den Erhalt der alten Eiche sehr ernst genommen“, sagt der Verwalter. „Mehr konnten wir nicht tun“, so Relling. Er findet es enttäuschend, wie einfach es sich die Stadt nun mache und nicht das Gepräch suche. Denn dass es nicht gut um die stattliche Eiche bestellt war, sei seit Jahren bekannt und habe bereits ein Gutachten aus dem Jahr 2008 nahegelegt. Von deutlich „herabgesetzter Vitalität, Pilzbefall, Totholz und Borkenverlust“ ist darin die Rede. Die umfangreiche Sanierung der Sophienstraße und die zunehmende Bodenverdichtung werden als mögliche Ursachen genannt. Das Gutachten hat der Vorbesitzer an die neue Eigentümergesellschaft übergeben, die die Villa samt Eiche 2018 erworben hat.
Gebäudeversicherung will Schaden in windstillen Nacht nicht übernehmen
Doch die Schuldzuweisungen nützen der Eigentümergesellschaft nichts. „Wir stehen nun vor der Frage, wer die Schäden an Dach, Fassade und Fenster in Höhe von rund 65.000 Euro bezahlt“, sagt Relling. Die Gebäudeversicherung argumentiert, dass es sich nach einer windstillen Nacht um keinen Elementarschaden handele und verweist auf die Haftpflichtversicherung des Gutachters. Auf die Antwort wartet der Verwalter noch und rechnet mit dem Schlimmsten: „Am Ende wird der Fall womöglich juristisch geklärt werden müssen“, sagt Relling, der auf den Ärger gern verzichtet hätte und die Schäden am Dach noch vor dem Winter beseitigt wissen will.
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Trotz alledem ist der Verwalter weiterhin froh und dankbar, dass bei dem Baumfall in Reinbeker Zentrum gegenüber dem Bahnhof niemand verletzt wurde.
Ganz anders hingegen auf einem Spielplatz im Sommer 2021 in Augsburg: Hier war laut Bericht der Deutschen Presse Agentur ein 23 Meter hoher Ahornbaum plötzlich umgestürzt und war auf eine Wippe gekippt, auf der eine Mutter und ihre 20 Monate alter Tochter spielten. Beide wurden schwer verletzt, das Kind starb später im Krankenhaus. Ein Baumkontrolleur der Stadtverwaltung hatte den Baum erst 14 Monate zuvor untersucht.
Wie die Reinbeker Eiche stand auch der Ahorn in Augsburg deutlich schräg und war ebenso von einem Pilz befallen und verfault. Ein Gericht hat den Verwaltungsmitarbeiter in dieser Woche vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Der Mann ist nach dem Unglück nicht mehr arbeitsfähig. Einer der drei hinzugezogenen Gutachter habe vor Gericht ausgesagt, dass Kommunen das Personal fehlt, um jeden einzelnen Baum mit großem Aufwand zu untersuchen und ein Restrisiko immer bestehen bleibt. Ansonsten müssten große Teile der Baumbestände gefällt werden.